Im Streit um den Abriss des ehemaligen EnBW-Gebäudes und die Debatte um die städtebauliche Entwicklung Stuttgarts melden sich nun Investoren zu Wort. Diese betonen ihre Bedeutung für den Städtebau.

Stuttgart - Architekten, Stadtverwaltung, Lokalpolitiker, Bürgermeister – die Aufregung über den geplanten Abriss der ehemaligen EnBW-Zentrale an der Kriegsbergstraße hat weite Kreise gezogen. Doch dabei wurde kaum erwähnt, dass dem neuen Eigentümer – dem Immobilieninvestor Reiß und Co. Real Estate aus München – für die Immobilie bereits die Zustimmung der Stadt für den Abriss vorliegt. Nun hat sich an dem Streit um ein einzelnes Grundstück eine grundsätzliche Debatte über die bauliche Entwicklung der Stadt entsponnen. Nicht nur die neuen Eigentümer der ehemaligen Konzernzentrale halten das negativ besetzte Bild des Investors für völlig falsch. Ihr Argument: ohne private Bauherren würde heute kaum mehr Stadtentwicklung stattfinden.

 

„Ohne Immobilieninvestoren würde in Stuttgart am Bahnhof noch das Versatelgebäude stehen. Es gäbe kein renoviertes oder neues Gebäude an der Königstraße. Es würden das Dorotheenquartier oder das Kaufhaus Breuninger fehlen“, so Patricia Rohde-Deutsch, Pressesprecherin von Reiß und Co. „Wo sollen die vielen Arbeitsplätze sonst Platz finden, wenn nicht in Investorengebäuden?“. Und: „Es gäbe wahrscheinlich fast keine Hotels, keine ausreichenden Einkaufsmöglichkeiten, zu wenig Büroarbeitsplätze und noch viel, viel weniger Wohnungen.“

Wichtig beim Erwerb: die Abrissgenehmigung war bereits vorhanden

Patricia Rohde-Deutsch erklärt: „Im Oktober 2015 hat Reiß und Co. das Grundstück an der Kriegsbergstraße von der EnBW erworben.“ Die Gründe für den Kauf: Als Entwickler sei es wichtig, dass eine Immobilie oder ein Grundstück „Potenzial bietet“. „Ein nicht unwesentlicher Aspekt beim Erwerb war deshalb das Vorhandensein einer Abrissgenehmigung der Stadt“, sagt die Pressesprecherin.

Dass die Kommune den Abriss bereits abgesegnet hatte, stellt die Bemühungen zum Erhalt des Ensembles von Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) in ein neues Licht. Viele Stuttgarter Bauträger sehen das kritisch. „Da geht mir die Hutschnur hoch“, sagt einer, der aus Rücksicht auf seine berufliche Abhängigkeit von der Stadtverwaltung nicht namentlich genannt werden möchte. So etwas dürfe nicht passieren, fügt ein anderer Investor hinzu. Bauherren müssten sich auf Zusagen der Stadt verlassen können. Ansonsten gebe es künftig für Gebäude- oder Grundstücksankäufe keine Sicherheit und Geschäftsgrundlage mehr.

Reiß selbst verweist in dieser Frage auf laufende Gespräche mit der Landeshauptstadt. Offiziell betont das Münchner Unternehmen zudem wohl sehr bewusst die „gute und konstruktive Zusammenarbeit“ mit der Stuttgarter Verwaltung. Zusätzlich sei man in Gesprächen mit dem Stuttgarter Architekturbüro Lederer, Ragnarsdóttir und Oei, die den rückwärtigen Teil der ehemaligen Firmenzentrale hin zur Jägerstraße, entworfen haben. Es gebe einen Austausch über eine mögliche Umnutzung, heißt es.

Ist der Investor aus München für ein ungewöhnliches Projekt bereit

„Es gab zwei Termine, weitere Gespräche sind vorerst nicht geplant“, sagt Marc Oei, einer der Büroinhaber. Man habe Vorschläge gemacht, wie das Gebäude umgenutzt werden könnte, so Oei, der für den 1997 fertiggestellten Gebäudeteil als Projektleiter fungierte. Eine ungewöhnliche Art Hotel oder besondere Büros seien seiner Ansicht nach in dem Gebäude problemlos möglich. „Doch ich habe den Eindruck, dass der Investor kein ungewöhnliches Projekt will“, so Oei.

Dem Vernehmen nach strebt der Münchner Investor keine kleinteilige Vermietung, sondern ein homogenes und gewinnträchtiges Projekt an. Gegenüber unserer Zeitung erklärt Pressesprecherin Patricia Rohde-Deutsch, dazu: „Aufgrund der Wohnraumknappheit in Stuttgart enthalten unsere ersten Überlegungen die Erstellung von etwa 300 bis 500 Mietwohnungen.“

Was entscheidet am Ende über Abriss oder Erhalt einer Immobilie? Nachhaltigkeit, Energiebilanz, Erscheinungsbild, Bausubstanz – all diese Schlagworte fallen, sobald diese Frage in Fachkreisen diskutiert wird. Oei sagt dazu: „Es wäre eine Sünde, die ehemalige EnBW-Zentrale abzureißen.“ Neben der prägenden Ästhetik seien die Bausubstanz und die Haustechnik wegweisend und genügten noch immer modernen Standards.

Warum soll einem Bauherrn verweigert werden, was dem anderen genehmigt wurde?

Die Frage, die jedoch am wahrscheinlichsten über die Zukunft des Gebäudeensembles entscheiden wird, dürfte das Ausmaß einer neuen Bebauung sein, die gestattet wird. Ohne den guten Willen des Rathauses, werden Reiß und Co. das Grundstück nicht im selbem Maß ausnutzen dürfen, wie das einst der EnBW erlaubt wurde. Und weniger Baumasse bedeutet weniger Gewinn.

Doch mit welchem Argument würde die Stadt dem einen Bauherrn Freiheiten verweigern, die man hingegen Jahre zuvor einem anderen gewährt hat? „Zwischen Stadt und EnBW gab es einen Deal“, sagt der damalige Projektleiter Oei. Der Bauherr lobte einen Wettbewerb aus, auf den die Stadt über die Jury und die Auswahl der Büros Einfluss hatte. Im Gegenzug seien Freiheiten beim Baurecht gewährt worden. „Ein neuer Investor sollte sich diese Vorteile ebenso verdienen müssen“, so die Meinung von Marc Oei.

Auf Anfrage erklärt die städtische Pressestelle lediglich: Vor einer erneuten Präsentation des Investors im Technischen Ausschuss des Gemeinderats wolle man sich nicht mehr öffentlich äußern. Nur soviel: „Die Abbruchgenehmigung wurde Ende Februar 2016 erteilt. Antragsteller war die EnBW.“