Jetzt erst recht: Baden-württembergische Städte wollen ihre britischen Freunde nicht verlieren. Deshalb bemühen sich Esslingen, Filderstadt und Nürtingen vor dem EU-Austritt ganz besonders um ihre Kontakte auf der Insel.

Esslingen/Nürtingen/Filderstadt - Rund 20 baden-württembergische Kommunen mit britischen Partnerstädten sind beim Städtetag bekannt. Darunter sind auch Städte aus der Region, wie Stuttgart, Esslingen, Böblingen, Nürtingen, Filderstadt, Bietigheim-Bissingen, Schorndorf und Gerlingen. Die Liste des Städtetags ist längst nicht vollständig. All diese Städte bewegt zurzeit der bevorstehende Brexit. Hat das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU negative Folgen für die Städtepartnerschaften?

 

Bürgermeister Steve Powderhill fühlt sich als Europäer

Recht optimistisch antwortet auf diese Frage Katrin Radtke, die im Esslinger Rathaus das Referat für Städtepartnerschaften leitet. „Ich glaube nicht, dass der Brexit negative Auswirkungen hat“, sagt Katrin Radtke mit Blick auf die Beziehung zwischen Esslingen und der in Wales gelegenen Partnerstadt Neath. Vielmehr könne sie sich sogar vorstellen, dass, wenn es auf nationalstaatlicher Ebene eine Trennung gibt, „dies auf der kommunalen Seite zu einer Stärkung der Beziehungen führt“. Denn die Bürger hüben wie drüben, die einen Brexit ablehnen, könnten als Reflex die wechselseitigen Kontakte intensivieren. „Von unserer Seite aus haben wir ein großes Interesse, dass sich die Beziehungen nicht verschlechtern“, fasst Radtke zusammen.

Noch eine weitere Stadt im Kreis Esslingen pflegt eine Partnerschaft mit einer walisischen Kommune: Nürtingen und Rhondda Cynon Taf sind schon lange verbandelt. 2018 blickten beide Städte auf ein halbes Jahrhundert Partnerschaft zurück. „Alle sind sich einig, dass sich für uns und unsere Partner nichts ändern wird“, sagt der Nürtinger Städtepartnerschaftsbeauftragte, Andreas Wallkamm. Im vergangenen Sommer war eine Nürtinger Delegation mit OB Otmar Heirich zu Besuch in Rhondda Cynon Taf. Dabei gaben die Gastgeber ein Statement pro Europa ab und betonten, dass sich der Brexit in keiner Weise negativ auf die Freundschaft auswirken werde. Bei der Gelegenheit erklärte Rhondda Cynon Tafs Bürgermeister Steve Powderhill auch, dass er Brite und Waliser, in erster Linie aber Europäer sei.

Sorge vor Behinderungen im Reiseverkehr

Gleichwohl gibt es auch Sorgenfalten. „Probleme könnten sich in diesem Zusammenhang vor allem ergeben, wenn Großbritannien ungeordnet ohne Abkommen mit einem ,No-Deal-Brexit‘ austritt“, erklärt der Nürtinger Wirtschaftsförderer Christian Franz. Dann nämlich würden die Grenzkontrollen von Waren und Personen deutlich verschärft, „was zu erheblichen Behinderungen im Reiseverkehr führen würde“. Auch die mögliche Einführung einer Visapflicht hätte diesen Effekt. In diesem Punkt steht eine Einigung zwischen Großbritannien und der EU aber noch aus. Laut der Sprecherin der Stadt Nürtingen, Susanne Weisheit, ergibt sich folgendes Fazit: „Sowohl schärfere Grenzkontrollen als auch eine Visapflicht würden letztlich das Reisen zwischen Großbritannien und der EU erschweren, die Städtepartnerschaften aber nicht signifikant beschädigen.“

Ein weiteres Problem droht nach Einschätzung von Christian Franz aber noch von anderer Seite. Bei einem No-Deal-Brexit rechne die Bank von England mit einem Absturz des Britischen Pfunds. „Dies würde die Reisen in die EU für Briten drastisch verteuern. Gerade im Hinblick auf privat finanzierte Schüler-, Bürger- und Vereinsaustausche würde dies die Austauschbereitschaft auf der britischen Seite sicherlich schmälern“, meint Christian Franz.

Neben den offiziellen Kontakten gibt es die private Ebene

Zwischen den Verwaltungen der Partnerstädte gibt es die offiziellen Kontakte. Eine tragende Säule der Partnerschaften sind im Fall von Nürtingen und seinen vier Partnerstädten indessen auch der intensive Schüleraustausch und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Vereinen. In Filderstadt wird das Engagement ebenfalls von Bürgern getragen. Dort gibt es die Deutsch-Britische-Gesellschaft. Der Verein organisiert in Zusammenarbeit mit Filderstädter Verwaltung regelmäßige Besuche mit der englischen Partnerstadt Selby. Beide Seiten wollen „unbedingt an unserer Städtepartnerschaft festhalten“, erklärt die zweite Vorsitzende der Deutsch-Britischen-Gesellschaft, Ingrid Albicker. Viele langjährige Freundschaften seien entstanden, „die weit über den normalen Städteaustausch hinausgehen“.

Die Filderstädter stellen sich dieselben Fragen wie die Nürtinger. Etwa wie sich die Reisekosten entwickeln? Gerade bei den Engländern ist dies „heute schon oft ein Thema“, so Ingrid Albicker. Sie hofft derweil „auf ein vernünftiges Verhalten der Politiker. Wir wollen unsere Freundschaften auch in Zukunft ohne Hindernisse weiter pflegen“, sagt die zweite Vorsitzende.

Stuttgart und St. Helens verbindet eine alte Partnerschaft

Nach der Einschätzung von Norbert Brugger, zuständiger Dezernent beim Städtetag Baden-Württemberg, stehen die Chancen hierfür nicht schlecht. „Insgesamt denke ich, dass die Auswirkungen – wenn man es mit Ungarn nach dem Rechtsruck dort vergleicht – nicht so dramatisch sein werden. „Die Patenschaften bekommen gerade durch den Brexit einen neuen Sinn und eine neue Qualität“, sagt Brugger.

Die Verbindungen mit britischen Städten bestehen teils schon sehr lange – jene Stuttgarts mit St. Helens etwa seit 1948. Im Sommer jenes Jahres hielt sich der Oberbürgermeister von St. Helens in dem von Bomben zerstörten Stuttgart auf. Davon erschüttert bot er Lieferungen von Fensterglas aus St. Helens an, dem Zentrum der englischen Glasmanufakturen. Diese Geste mündete schließlich in eine der ersten zehn Städtepartnerschaften, die in Europa überhaupt geschlossen wurden.

Ein Bekenntnis zu Europa

Signal
Während Großbritannien durch den Brexit von Europa wegdriftet, haben jetzt Überlingen und Epsom ein Zeichen gesetzt. Die Stadt am Bodensee und die rund 70 000 Einwohner zählende Londoner Vorstadt haben vor etwa einer Woche bekannt gegeben, dass sie eine Städtepartnerschaft gründen wollen. In Epsom hatten die Bürger beim Referendum 2016 mehrheitlich gegen ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU gestimmt.

Ziele
Die Stadt Esslingen pflegt partnerschaftliche Beziehungen zu zehn Städten weltweit. Das Engagement der Bürger spielt dabei eine wichtige Rolle. Dieses Netzwerk soll die Achtung, Kooperation und Solidarität zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Nationalität, Sprache und Mentalität fördern. „Zum Selbstverständnis der Stadt Esslingen gehört die Überzeugung, dass Toleranz und Weltoffenheit für das internationale Verständnis unabdingbar sind“, sagt der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger.