Straßburg, Cardiff, Kairo: Stuttgart hat Partnerstädte auf der ganzen Welt. Bei solchen Partnerschaften geht es aber nicht nur um Schüleraustausche – es stehen handfeste Kooperationen im Vordergrund. Wie beim Thema Korruption.
Stuttgart - Samara, Straßburg, Stuttgart – so lautet der Dreiklang in diesem Jahr. In wenigen Tagen wird eine Delegation um Bürgermeisterin Isabel Fezer in die russische Stadt an der Wolga reisen, um dort die 20-jährige Städtepartnerschaft mit Samara zu feiern. Im Herbst stößt man dann am Neckar auf die 50-jährige Freundschaft mit Straßburg an, der nächstliegenden der zehn Partnerstädte Stuttgarts.
Die Art der Partnerschaften hat sich gewandelt
Straßburg und Samara, sie stehen auch stellvertretend für die Entwicklung, die die internationalen Beziehungen Stuttgarts in den vergangenen Jahrzehnten genommen haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte Oberbürgermeister Arnulf Klett dazu beitragen, dass sich die Kriegsgegner die Hände reichten; so kam es zur Partnerschaft mit St. Helens in England, Cardiff in Wales, St. Louis in den USA und eben Straßburg. Von 1968 an stand die Hilfe für die Dritte Welt, wie man damals sagte, im Vordergrund: Mumbai, Menzel Bourguiba und Kairo kamen hinzu. Schließlich traten nach der Wende die Länder hinter dem einst Eisernen Vorhang in den Blick: So schloss Stuttgart Freundschaft mit Lodz, Brünn und, als letzter Partnerstadt, mit Samara.
Und heute? Viele verbinden mit einer Städtepartnerschaft noch immer den Schüleraustausch – junge Stuttgarter verbringen zwei Wochen, vielleicht erstmals ohne Eltern, in einem fremden Land, und die Hälfte kommt verliebt nach Hause.
Solche Reisen sind weiter wichtig, weil die persönlichen Beziehungen letztlich eine Partnerschaft tragen. Auf den Schüleraustausch muss eher wieder mehr Wert gelegt werden, weil in Großbritannien und Frankreich immer weniger Schüler Deutsch lernen; da droht manches Selbstverständliche plötzlich wieder wegzubrechen.
Konkrete Projekte statt Sonntagsreden
Aber die Schwerpunkte legen Alexander Kreher und Frédéric Stephan, die Verantwortlichen für die internationalen Beziehungen bei der Stadt Stuttgart, seit Jahren anders. Es geht darum, bei konkreten Projekten zusammenzuarbeiten – nicht mehr das Festbankett mit Sonntagsreden der Oberbürgermeister ist wichtig, sondern die Arbeitssitzungen auf der Ebene der Mitarbeiter.
So tauschen sich Stuttgart und Mumbai beim Thema Korruptionsbekämpfung aus. In Menzel Bourguiba haben die Abfallexperten Stuttgarts geholfen, eine Deponie, die die Umgebung ökologisch belastete, zu sanieren. Und Samara erhofft sich jetzt Unterstützung bei der Organisation der Fußball-WM 2018; Stuttgart war 2006 Austragungsort einiger Spiele.
Kreher betont aber, dass diese Projekte keine Einbahnstraße seien, auch Stuttgart profitiere davon. Er nennt ein kleines Beispiel: Bei der Einführung des Euro vor zehn Jahren hätten die deutschen Experten versucht, alles perfekt zu organisieren und eigentlich zu viel gemacht – in Straßburg habe man sich dagegen gefragt, welche Bevölkerungsgruppen die größten Probleme mit der neuen Währung haben könnten. So kam es, dass man in Stuttgart den Senioren große Aufmerksamkeit schenkte und Veranstaltungen in Altersheimen machte. Es war eine Idee aus dem Elsass.
Das Rathaus als Koordinator der Partnerschaftsaktivitäten
Vor allem versucht Stuttgart, seine Partnerschaften auf eine breite Basis zu stellen. Das Rathaus sieht sich als Koordinator und nicht als Dreh- und Angelpunkt der Beziehungen. Man wolle Akteure zusammenbringen, sagt Kreher. Denn es seien Schulen, Vereine, Unis, Kirchen und Firmen, die die Partnerschaften tragen. Ein wichtiger Akteur ist der Stadtjugendring, der zu Lodz, Straßburg und Menzel Bourguiba enge Kontakte pflegt. „Es geht längst nicht mehr nur um Begegnung“, sagt die verantwortliche Mitarbeiterin Bettina Schäfer: „Die Jugendlichen sollen Projekte entwickeln und umsetzen.“ Sie lobt den freundschaftlichen, ja fast lockeren Umgang, den sie mittlerweile mit vielen Ansprechpartnern in Straßburg oder Lodz habe.
Ein weiteres Beispiel für diesen Ansatz sind die Online-Seminare, die Universitäten in Stuttgart und Mumbai gemeinsam anbieten. Auch die Weltfirma Lapp ist Teil dieses Netzes – sie hat bewusst ihren Russland-Sitz in Samara aufgeschlagen. Die Beziehungen zu vielen Vereinen und Organisationen hat im Übrigen während der arabischen Revolution dazu geführt, dass der Austausch mit Kairo und Menzel Bourguiba nicht ganz abgebrochen ist. „Die Regierungen wechseln, aber unsere Kontakte bleiben“, sagt Stephan.
Jährliches Treffen aller Partnerstädte in Stuttgart
Ein neuer Trend, befördert von der EU und vielen Stiftungen, ist daneben die Zusammenarbeit mehrerer Nationen. Stuttgart hat dies bereits vor zehn Jahren verwirklicht: Seither gibt es jährlich ein Treffen mit Vertretern aller Partnerstädte in Stuttgart, bei dem es um konkrete Themen geht – vergangenes Jahr stand das freiwillige Engagement im Mittelpunkt, zuvor war es die Sicherheit in den Städten. Der Stadtjugendring bindet oft einheimische Jugendliche aus Kroatien oder der Türkei ein.
Eine elfte Partnerstadt wird es übrigens nicht mehr geben, das ist Konsens im Gemeinderat. Aber die internationalen Beziehungen sind heute nicht mehr beschränkt auf die Städtepartnerschaften. So gibt es eine Freundschaft mit Nanjing in China, und mit Bogotá in Kolumbien arbeitet man derzeit im Rahmen einer Entwicklungspartnerschaft zusammen.
Ein Selbstläufer, räumt Alexander Kreher ein, sind alle Beziehungen aber nie: „Man muss sich ständig darum kümmern, sonst schlafen die Kontakte wieder ein.“
Gleich zwei Jubiläen in diesem Jahr
Doppeljubiläum
Im Jahr 1962, also verhältnismäßig spät für eine deutsch-französische Kooperationen, haben die Oberbürgermeister von Stuttgart, Arnulf Klett, und Straßburg, Pierre Pflimlin, den Freundschaftsvertrag unterschrieben. Kurz nach Glasnost und der Wende kam 1992 Samara hinzu. Samara ist mit rund 1,3 Millionen Einwohner sechstgrößte Stadt Russlands.
Samara
Am kommenden Dienstag, 5. Juni, fliegt eine 16-köpfige Delegation für fünf Tage nach Russland. Das Programm sieht natürlich auch eine Wolgarundfahrt vor, vor allem aber themenbezogene Besuche – so in einer Schule, dem Generationenhaus in Samara oder in einer evangelischen Kirche. Eine Gruppe aus Samara war bereits im März in Stuttgart zu Gast.
Straßburg Am 22. September 1962 hat Charles de Gaulle seine berühmte Rede an die Jugend in Ludwigsburg gehalten – Stuttgart plant, um dieses Datum im Herbst das Jubiläum mit Straßburg zu feiern. Die Gäste werden wegen der Nähe Straßburgs wohl nur einen Tag in Stuttgart sein. Am 20. Oktober bei der Kulturnacht präsentiert sich das Rathaus in elsässischem Flair. fal