Welches ist die ökologischste Methode, sich die Hände zu trocknen? Und ist diese dann auch noch hygienisch? Die Stadt Stuttgart greift bisher in öffentlichen Einrichtungen auf Papierhandtücher zurück.

Architektur/Bauen/Wohnen: Andrea Jenewein (anj)

Stuttgart - Die Zahl ist beeindruckend: 16 900 Kilometer Papierhandtuch pro Jahr werden in den städtischen Einrichtungen in Stuttgart jährlich verbraucht. In Ämtern, Schulen und Museen werden im Jahr 25,6 Millionen Papierhandtücher aus den Spendern gezogen und 44 100 Papierhandtuchrollen werden Papier für Papier abgerollt. Legt man die Tücher hintereinander, reicht das Papierband von Stuttgart nach Sydney.

 

Die Mühe gemacht, diese Kilometer-Zahl zu errechnen, hat sich das Technologieunternehmen Dyson. Warum, das liegt auf der Hand: Die britische Firma, deren deutscher Sitz in Köln ist, will ihre elektrischen Händetrockner vermarkten – zumal es 2020 eine neue Ausschreibung der Stadt Stuttgart zum Rahmenvertrag über die Lieferung von Hygiene- und Reinigungsmittel geben wird. Und so erstaunt es auch nicht, dass im Text etwa mit erhobenem Zeigefinger angemahnt wird, dass „Papierhandtücher deutlich mehr Müll als etwa Einweg-Kaffeebecher produzieren“ und sie „in der Regel nicht recycled“ würden.

Es geht nicht nur um Umweltschutz, sondern auch um Hygiene

Das klingt wahrlich nicht gut – und sollte in einer von Grün regierten Stadt eigentlich besser gehen. Meint man zumindest. Doch die Alternativen sind begrenzt: Es gibt neben Papierhandtüchern aus Primär- oder Sekundärfasern nur Warmluft-Gebläsetrockner und (Kaltluft) Jetstream-Trockner sowie Baumwoll-Endlosrollen. Des weiteren geht es bei dem Produkt nicht nur um den Umweltschutz, sondern auch um Hygiene. Über beide Aspekte führen die Papierhandtuch-Industrie und Dyson einen Glaubenskrieg – ist der Markt doch sehr groß.

Auch den Studien, die zur umweltfreundlichsten oder hygienischsten Möglichkeit des Handtrocknens erschienen sind kann man nur eingeschränkt Glauben schenken: Sie wurden meist entweder vom European Tissue Symposium in Auftrag gegeben, dem Berufsverband der Zellstoffproduzenten, oder von Dyson.

Studien wurden von Dyson oder dem Verband der Zellstoffproduzenten in Auftrag gegeben

Erwähnt seien zwei Beispiele: 2011 veröffentlichten Wissenschaftler der University of Bradford einen Test mit dem Düsentrockner Airblade, der einen Luftstrom mit einer Geschwindigkeit von mehr als 600 Kilometern pro Stunde erzeugt. Das Ergebnis: „Der Airblade war den Warmlufttrocknern beim Reduzieren des Transfers von Bakterien überlegen.“ Was die Forscher zudem herausfanden, aber nur am Rande erwähnten: Papiertücher waren allen Trocknertypen überlegen. Diese Studie wurde vom Airblade-Hersteller Dyson finanziert. 2016 gab es eine Untersuchung, nach welcher der Turbotrockner mehr als 1300-mal so viele Virenbeläge im Raum wie Papiertücher produzierte. Hier flossen Gelder vom European Tissue Symposium.

Die Stadt Stuttgart bezieht sich bei ihrer Entscheidung, auf Recycling-Papierhandtücher zurückzugreifen, auf diese dünne Beweislage: „Sofern es noch keine eindeutigen Belege für die Vorteile des einen oder anderen Systems gibt, belassen wir es bei den Papierhandtüchern“, so Jana Steinbeck, Pressesprecherin der Stadt Stuttgart. Zudem würden in der Belegschaft die Handtücher als hygienischer wahrgenommen, „was zwar ein subjektives Empfinden ist, aber ein nicht unerhebliches“.

Das Umweltbundesamt bewertet den Jetstream unter ökologischen Aspekten am besten

Dabei ist der ökologische Aspekt allerdings noch nicht bedacht worden. In einer Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) wurde nachgewiesen, dass Airblade die umweltfreundlichste Möglichkeit ist. Demnach erzeugen Papierhandtücher und Warmlufthändetrockner mindestens 70 Prozent mehr Kohlendioxidemissionen als die Drucklufthandtrockner. Der Auftraggeber der Studie: Dyson.

Doch auch das Umweltbundesamt (UBA) hat 2014 Händetrocknungssysteme unter ökologischen Aspekten betrachtet. Das Ergebnis: In den meisten bewerteten Belastungskategorien ist der Jetstream im Vorteil, er weist etwa in der Wirkungskategorie Treibhausgaspotential die geringste Belastung auf. Das Umweltbundesamt empfiehlt allerdings, die Gebläsetrockner nicht in hygienisch sensiblen Bereichen wie Krankenhäusern zu verwenden. Auf Grund des hohen Schalldruckpegels könnten zudem insbesondere Kinder in direkter Nähe einer mittleren Gehörgefährdung ausgesetzt sein.

Ökologie versus Hygiene

Wiegen in Stuttgart also Hygiene und Gesundheit mehr als Ökologie? Das Haupt- und Personalamt gibt dazu folgende Stellungnahme ab: „In der Ausschreibung werden durchaus alternative Trocknungsmethoden wie die Gebläsetrockener abgefragt. Gleichzeitig sollen dabei auch nicht die Hygiene und Gefährdungen außer acht gelassen werden.“ Die Betrachtung erfolge ganzheitlich: Es sei zu berücksichtigen, dass es überall bestehende und funktionierende Papierhandtuchhalter gibt. „Diese wären komplett zu entsorgen und dafür neue Halterungen für die Gebläsetrockner zu installieren. Dies ist weder wirtschaftlich noch nachhaltig.“

Das Amt schließt damit, dass man „allen Bedarfen gerecht wird, wenn verschiedene Systeme zum Einsatz kommen können oder wenn sowieso der Austausch von Halterungssystemen ansteht“. Gut wäre auch, wenn die Wissenschaft die Frage abschließend klärt. Mit einer ganz trockenen Studie.