In der ganzen Republik herrscht Hebammen-Mangel. Das ist ein Problem, wenn viele Geburtshelferinnen kündigen, wie kürzlich in der städtischen Frauenklinik. Einstweilen muss dort der Betrieb in den Kreißsälen reduziert werden.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Die Geburtshilfe der städtischen Frauenklinik ist eine Erfolgsgeschichte. Jahr für Jahr ist die Zahl der Entbindungen gestiegen, vor allem seit dem Umzug in den Neubau mit dem Kinderhospital Olgäle. Jetzt hat diese positive Entwicklung einen Dämpfer bekommen. Eine ganze Reihe von Hebammenhat das Haus verlassen. Das Problem: Der Arbeitsmarkt für Hebammen ist leer.

 

Wenn sich werdende Mütter und Väter über das Angebot der städtischen Geburtshilfe informieren, werden ihnen dort nicht nur die Vorzüge der Einrichtung geschildert. Seit Anfang Juli erhalten sie den Hinweis, dass man sie gegebenenfalls an eine andere Geburtsklinik in der Stadt verweisen werde. Die Paare werden gebeten, wenn die Wehen einsetzen, bitte vorher anzurufen und nicht unangekündigt zu kommen.

Die Leistung ist so groß wie im Vorjahr

Hintergrund dieses ungewöhnlichen Vorgehens: Die städtische Frauenklinik hat in kurzer Zeit zehn Hebammen verloren, bei insgesamt 40 Beschäftigten. Drei Stellen hat man mit Leasingkräften besetzt, aber nach wie vor seien „sieben Stellen offen“, so Geschäftsführer Reinhard Schimandl. Er betont aber: „Wir haben keine Leistungseinbrüche.“ Das belegen die Zahlen. 2015 kamen in der Frauenklinik der Stadt bei 3253 Entbindungen 3404 Kinder zur Welt, im ersten Halbjahr 2016 waren es 1614 Entbindungen, so viele wie im Vorjahr.

Allerdings muss man in den fünf Kreißsälen derzeit mit drei statt mit vier Hebammen pro Schicht auskommen. Das habe wegen des weiter großen Zulaufs zur Folge, „dass wir Frauen auch an andere Häuser weiterschicken“, so die leitende Oberärztin Marion Lübke. Dies ist zwar nichts Ungewöhnliches, auch in anderen Geburtskliniken gibt es Tage, an denen die Kapazitäten der Kreißsäle erschöpft sind, das sagen auch das Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) oder die St.-Anna-Klinik. Aber in der städtischen Frauenklinik kommt das nun doch häufiger vor. „Das tut weh, wenn man das Haus mit viel Herzblut bis dahin gebracht hat und jetzt zurückstecken muss“, erklärt Marion Lübke.

Die anderen Häuser profitieren

In den anderen Frauenkliniken ist dies zu spüren. Angesichts der im ersten Halbjahr in Stuttgart insgesamt erneut gestiegenen Geburten (dazu der nebenstehende Beitrag) nehmen die Zahlen dort ohnehin zu. Dazu kommen jetzt noch Patientinnen aus der städtischen Frauenklinik. „Wir profitieren davon seit vier Wochen stark“, sagt Rainer Kruse, der Pressesprecher des Marienhospitals. Dort hat man einige Jahre auch wegen des Aufschwungs der städtischen Frauenklinik Einbußen hinnehmen müssen. Nun werde man nicht nur die Marke von 1000 Geburten wieder erreichen, sagt Rainer Kruse, sondern „rund 1100 Entbindungen“. Sprecherin Marlies Kepp meldet für das RBK für das Jahr bis jetzt „eine Zunahme der Geburten von knapp zwölf Prozent“. Auch die St.-Anna-Klinik in Bad Cannstatt ist „voller als sonst“, sagt Andreas Schöller, der Verwaltungsleiter der Belegklinik.

Die Probleme in der größten Geburtshilfeabteilung in der Landeshauptstadt haben auch mit ihrem Erfolg zu tun. Zusammen mit der renommierten Neonatologie des Olgäle bildet sie das Perinatalzentrum Stuttgart, arbeitet auf der höchsten Versorgungsstufe und ist nach Berlin das zweitgrößte Zentrum dieser Art in der Republik. Andere Häuser aus Stuttgart und auch aus der Region überweisen dorthin häufig Risikoschwangerschaften. Das anspruchsvolle Profil hat Folgen für die Arbeit, zum Beispiel noch mehr Kaiserschnitte als in anderen Häusern. Und: „Die Schlagzahl ist hoch“, sagt Klinikgeschäftsführer Schimandl. Oberärztin Marion Lübke, die einen guten Kontakt zu den Hebammen hat, weiß: „Viele haben gesagt, das wird ihnen zu viel.“ Zwei Drittel derer, die das Haus verlassen haben, „sind in die Selbstständigkeit gegangen“, erklärt der Geschäftsführer.

Viele Hebammen gehen aus dem Beruf

Christel Scheichenbauer wundert das nicht. „Viele haben wegen der Arbeitsbedingungen gekündigt“, weiß die stellvertretende Vorsitzende des Verbands der Hebammen im Land, die im Kreis Ludwigsburg tätig ist. „Das ist aber fast überall so, auch in Ludwigsburg oder in Bietigheim“, sagt sie. An Problemen wie „permanenter Unterbesetzung, Überlastung und hohem Krankenstand“ werde sich nichts ändern, solange man nicht die veralteten Personalschlüssel ändere, sagt Christel Scheichenbauer.

Die Folge sei, dass Hebammen oft in kleinere Häuser wechseln oder in die Selbstständigkeit, vielfach machen sie dann nur noch Schwangerschaftsvorbereitung und Wochenbettbetreuung. „Und viele Frauen gehen schon nach vier, fünf Jahren aus dem Beruf“, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Verbands, in dem im Land 2800 Hebammen organisiert sind.

Auch andere Häuser waren schon betroffen

So kommt es, dass der Arbeitsmarkt für Geburtshelferinnen bundesweit leer ist, obwohl nicht weniger ausgebildet wird. Das Deutsche Krankenhausinstitut hat festgestellt, dass jedes fünfte Krankenhaus Schwierigkeiten hat, Hebammen zu finden. Andreas Schöller von der St.-Anna-Klinik bestätigt: „Man spürt den Mangel wirklich deutlich.“ Vor einiger Zeit sei eine Hebamme gegangen, erzählt er. „Da ist es nicht einfach gewesen, einen Ersatz zu finden.“