Tolle Figuren, große Momente, Zeitschinderei und Vergeigtes: Die zweite Staffel der Horrorserie „NOS4A2“ bei Amazon Prime Video bietet Inspiration und Ödnis.

Stuttgart - Bing Partridge ist ein Bär von Mann, der alles niederwalzen kann, was sich ihm in den Weg stellt, der aber auch erstaunlich höflich, freundlich und rücksichtsvoll wirkt. Bing ist auch ein traumatisiertes Kinderseelchen im Inneren eines Kolosses, ein von vielen Verwundungen und Zurücksetzungen gebeuteltes Sensibelchen, das mit der Welt abgeschlossen hat. Bing träumt nur noch vom Weihnachtsland, von einer endlosen Kitschgemütlichkeit, wo Bescherungen, Ringelreihen und Schleckereien nie aufhören. Die dritte Wesensseite von Bing ist der skrupellose Kidnapper, Erpresser und Serienkiller, der alles tut, um ins Weihnachtsland eingelassen zu werden.

 

Der von Ólafur Darri Ólafsson oft herzquetschend gespielte Bing ist eine der interessantesten Figuren in der Horrorserie „NOS4A2“, die in Deutschland beim Streamingdienst Amazon Prime Video zu sehen ist. Zachary Quinto spielt Charlie Manx, den vampirhaften Herren des Weihnachtslandes, der in einem dämonisch beseelten Rolls Royce (der Serientitel ist das Nummernschild) durch die Lande fährt. Bing führt ihm die Kinder zu, deren Lebensenergie Manx absaugt und die dabei zu kleinen Monstern werden.

Viel zu bieten, viele Fehler

Die erste Staffel der Serie, die auf einem Roman von Stephen Kings Sohn Joe Hill basiert, hat viele interessante Themen und Subtexte angerissen: eine Arbeiterschaft, die sich als Beute besserer Kreise fühlt, eine Konsumgesellschaft falscher Versprechungen, zerfallende Familien, Spiralen aus Sucht, Schuldgefühlen, Gewalt, Versagen, Drogentrost etwa.

Auch die zweite Staffel hat viel zu bieten und ein paar großartige Auftritte, die uns ganz neue Seiten an vertrauten Figuren zeigen. Ebon Moss-Bachrach etwa hält als Vic – in der Kindheit Gewaltopfer, später selbst gewalttätiger Säufer – eine Abschiedsrede auf seinen toten Vater, die man auch als ergreifenden Kurzfilm und losgelöst von allem Kontext genießen könnte.

Aber in der zweiten Staffel geht auch viel schief. Szenen dehnen sich öde, schon gut behandelte Motive werden sinnlos ausgewalzt, oft wird zwischen inspirierenden Passagen erbärmlich Zeit geschunden, als sei der Drehbuchautor mit den guten Einfällen mal eben auf Kurzurlaub. Doch wer die erste Staffel mochte, wird eh nicht widerstehen können – und Bing lohnt das Wiedersehen auf jeden Fall.

Verfügbarkeit: Bei Amazon Prime Video, zwei Staffeln komplett abrufbar