Die Treppe zwischen Landhausstraße und Stöckachplatz heißt künftig Else-Kienle-Staffel. Diese wurde anonym angezeigt und auch mal verhaftet.
S-Ost - Die Staffel zwischen Landhausstraße und Stöckachplatz bekommt nach dem Wunsch des Bezirksbeirats den Namen der Ärztin Else Kienle (1900 bis 1970). Vorgeschlagen hatte ihn die Literaturwissenschaftlerin und Frauengeschichtsforscherin Mascha Riepl-Schmidt und sie lieferte den Bezirksbeiräten Argument um Argument dafür, dass die für ihre Zeit herausragende Persönlichkeit und Frauenrechtlerin die richtige sei: „Wenigstens ein Stäffele hat sie verdient.“
Riepl-Schmidts Plädoyer fruchtete. Der Bezirksbeirat stimmte mit großer Mehrheit für ihren Vorschlag. Die CDU unterlag mit ihrer Gegenkandidatin Paula Gassner. Die Missionarin leitete Mitte der 1920er Jahre Gebetskreise der Religionsgemeinschaft „Des vollen Heils“ und gilt als Ideengeberin für das nicht unumstrittene Gospel Forum in Feuerbach.
Else Kienles Spuren sind teilweise verwischt
Die Ärztin Kienle habe nicht sehr lange in Stuttgart gelebt, deshalb sei sie ungeeignet für eine solche Namensgebung, konterte die CDU. Der Historiker und SPD-Bezirksbeirat Ulrich Gohl hielt dagegen: „Else Kienle war eine ganz bedeutende Frau. Wenn die Aufenthaltsdauer in Stuttgart das Kriterium für eine Namensgebung sein sollte, dann hätten wir hier viele Straßen nicht“, folgerte er.
Selbst in den USA hatte Mascha Riepl-Schmidt über das Leben der in mehrfacher Hinsicht beachtlichen Else Kienle recherchiert, denn ihre Spuren sind teilweise verwischt. Im Herbst 1932 musste sie untertauchen und emigrierte schließlich in die USA. In New York machte sie sich später einen Namen als Dermatologin und Schönheitschirurgin, vor allem im Bereich der Wiederherstellungschirurgie.
Schon allein die Tatsache, dass sie als Frau Medizin studiert hatte, war ungewöhnlich. In den 1920er Jahren absolvierte sie in Stuttgart an verschiedenen Krankenhäusern ihr Praktikum. Danach arbeitete sie zunächst im städtischen Krankenhaus von Stuttgart in der Abteilung Dermatologie und Geschlechtskrankheiten. Die Chirurgie war damals noch eine reine Männerdomäne. Schließlich wurde sie Assistenzärztin auf der sogenannten „Polizeistation“, der geschlossenen Abteilung für Geschlechtskrankheiten im Stuttgarter Katharinenhospital. Hier wurden Prostituierte behandelt, die als geschlechtskrank gemeldet worden waren.
Kienle soll illegal Abtreibungen vorgenommen haben
Durch die Heirat mit dem wohlhabenden Bankier Stefan Jacobowitz bekam sie die finanziellen Mittel, um sich 1926 selbstständig zu machen. Neben ihrer Praxis betrieb sie zusammen mit dem Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf eine Sexualberatungsstelle in der Neckarstraße, wie Riepl-Schmidt berichtete. Kienle soll auch illegal Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen haben. Sie wurde anonym angezeigt und deshalb verhaftet. Durch einen Hungerstreik erwirkte sie am 28. März 1931 ihre Haftentlassung und tauchte unter. 1932 verließ sie Deutschland.
Der Bezirksbeirat lehnte den Namensvorschlag Paula Gassner der CDU ab und nun soll die Stadt prüfen, ob sie die Missionarin auf ihre Liste der möglichen Straßennamen aufnehmen kann.