Peter Hodes schaut auf die Uhr. Zehn nach drei. Kurz nach halb vier fährt der Bus, den er erwischen muss. „Wir brauchen noch etwas Zeit“, sagt Stephanie Weber. Die Laboratoriumsassistentin übergibt drei bis vier Mal pro Woche eine Stammzellenspende an Kuriere aus Deutschland oder dem Ausland. Während die lebensrettende Flüssigkeit vorbereitet wird, erledigen Weber und Hodes den Papierkram, den jede Stammzellenspende mit sich bringt. Sie überprüfen Kennnummern und setzen Haken, tragen Uhrzeiten und das Datum ein und unterschreiben Formulare.

 

Die Zeit läuft. Peter Hodes überlegt, ob er seine Fluggesellschaft sicherheitshalber darüber informieren soll, dass er auf den letzten Drücker eincheckt. Doch der Anruf endet in der Endlosschleife der Hotline. Zehn Minuten später ist alles bereit: Stephanie Weber bringt einen kleinen Plastikbeutel in den Aphareseraum und legt ihn behutsam in Hodes Box. Die rosafarbene Flüssigkeit, die im Beutel schwappt, erinnert etwas an Grapefruitsaft. Wenn alles gut geht, reichen die 110 Milliliter aus, um den Empfänger gesund zu machen.

Stephanie Weber drückt Peter Hodes ein Schreiben in die Hand, in dem die Klinik bestätigt, dass in der Box eine Stammzellenspende steckt. Der Brief soll ihn ohne Scherereien durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen schleusen – und ohne, dass er die Box öffnen muss. „Wenn es gar nicht anders geht, darf sie höchstens 15 Sekunden geöffnet werden“, sagt Hodes und zieht den Reißverschluss am Deckel zu. Das sei nur ein Mal der Fall gewesen.

Auf der Fahrt zum Flughafen läuft alles glatt. Hodes wechselt vom Bus in die U-Bahn, dann steigt er in die S-Bahn zum Flughafen. Die Anspannung lässt nach. Er erzählt, wie er zum ehrenamtlichen Kurier geworden ist. „Am 5. Juli 2005 hat sich mein Leben verändert.“ An diesem Tag hat er seiner besten Freundin seine linke Niere gespendet. Die Seelenfreundin – „my soulbuddy“ – litt an einer genetischen Nierenkrankheit und wurde täglich schwächer. Ihre Familienangehörigen kamen nicht als Spender in Frage, und ein passender Fremdspender war nicht in Sicht. „So bin ich auf die Idee gekommen, meine Niere zu spenden, falls es passt.“ Die Chance war nicht groß, aber einen Versuch war es wert. Er war ein Volltreffer. Peter Hodes musste unzählige Tests über sich ergehen lassen, mit Psychologen sprechen, um jeden Zweifel auszuräumen, dass er unter Druck gesetzt wurde. Die britische Regierung gab grünes Licht für die Operation. Hodes war der erste Mensch im Vereinigten Königreich, der ein Organ an einen Kranken spendete, mit dem er weder verwandt noch verschwägert war.

Der englische Patient

„Ich habe noch nie ein Flugzeug oder einen Zug verpasst, aber ein paar Mal war es knapp“, erzählt Hodes, während er sich im Nieselregen zwischen aufgespannten Schirmen hindurch zur U-Bahnhaltestelle schlängelt. In Jerusalem wäre er fast einmal gestrandet mit seiner Lebensretterbox, die er nie aus den Augen lässt. Doch ein junger Taxifahrer hat ihn in Rekordzeit aufgegabelt und gerade noch rechtzeitig zum Flughafen chauffiert. Und bei der Rückreise aus dem amerikanischen Providence machte ihm ein Hurrikan fast einen Strich durch die Rechnung: Alle Flüge wurden abgesagt. Hodes zeigte der Dame am Schalter seine Box und erklärte in seiner britisch-humorvollen Art, wieso er unter allen Umständen nach London muss. Die Frau setzte alle Hebel in Bewegung, so dass der Kurier in letzter Minute einen Sitz in einer Propellermaschine mit Starterlaubnis ergatterte. Im Flieger war so wenig Platz, dass Hodes die Box zwischen dem Piloten und dem Co-Piloten verstauen musste.

Nun steht Hodes in der Linie 15 Richtung Stammheim, schaut auf die Anzeigetafel und prüft, wo die U-Bahn gerade steckt. Bloß nicht die Haltestelle verpassen: „Pragsattel“. Einige Minuten später sitzt er im Bus zum Krankenhaus. Dicke Regentropfen trommeln auf die beschlagenen Fensterscheiben, im Bus riecht es nach feuchten Kleidern und dem Salamibrot, das ein Schulkind vespert. „Robert-Bosch-Krankenhaus“ tönt es aus dem Lautsprecher. In der Klinik meldet sich Peter Hodes am Empfang, von dort geht es durch lange Flure und vorbei an wartenden Patienten in die onkologische Tagesklinik und durch eine Glastüre, auf der in großen Buchstaben das Wort „Aphareseraum“ prangt. Zwei leere Liegen stehen in dem Zimmer. Auf einer hat bis vor kurzem der Stammzellenspender gelegen. In den vergangenen drei bis vier Tagen haben die Ärzte ihm oder ihr ein Medikament verabreicht, welches die Anzahl der Stammzellen im Blut erhöht.

Am Tag der Spende werden die Stammzellen herausgefiltert: Im rechten und im linken Arm des Spenders steckt eine Nadel, durch eine wird das Blut aus dem Körper in eine Zentrifuge geleitet, in der die Stammzellen gewonnen werden. Danach fließt das Blut durch die zweite Nadel zurück in den Arm. Periphere Stammstellenspende heißt diese Prozedur, die vier bis acht Stunden dauert und mit der 80 Prozent aller Stammzellenspenden gewonnen werden. Der Rest stammt aus Knochenmarksspenden. Dabei wird dem Spender unter Vollnarkose eine geringe Menge Knochenmark aus dem Becken entnommen. Der Stammzellengeber muss zwei bis drei Tage im Krankenhaus verbringen.

110 Milliliter zum Überleben

Peter Hodes schaut auf die Uhr. Zehn nach drei. Kurz nach halb vier fährt der Bus, den er erwischen muss. „Wir brauchen noch etwas Zeit“, sagt Stephanie Weber. Die Laboratoriumsassistentin übergibt drei bis vier Mal pro Woche eine Stammzellenspende an Kuriere aus Deutschland oder dem Ausland. Während die lebensrettende Flüssigkeit vorbereitet wird, erledigen Weber und Hodes den Papierkram, den jede Stammzellenspende mit sich bringt. Sie überprüfen Kennnummern und setzen Haken, tragen Uhrzeiten und das Datum ein und unterschreiben Formulare.

Die Zeit läuft. Peter Hodes überlegt, ob er seine Fluggesellschaft sicherheitshalber darüber informieren soll, dass er auf den letzten Drücker eincheckt. Doch der Anruf endet in der Endlosschleife der Hotline. Zehn Minuten später ist alles bereit: Stephanie Weber bringt einen kleinen Plastikbeutel in den Aphareseraum und legt ihn behutsam in Hodes Box. Die rosafarbene Flüssigkeit, die im Beutel schwappt, erinnert etwas an Grapefruitsaft. Wenn alles gut geht, reichen die 110 Milliliter aus, um den Empfänger gesund zu machen.

Stephanie Weber drückt Peter Hodes ein Schreiben in die Hand, in dem die Klinik bestätigt, dass in der Box eine Stammzellenspende steckt. Der Brief soll ihn ohne Scherereien durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen schleusen – und ohne, dass er die Box öffnen muss. „Wenn es gar nicht anders geht, darf sie höchstens 15 Sekunden geöffnet werden“, sagt Hodes und zieht den Reißverschluss am Deckel zu. Das sei nur ein Mal der Fall gewesen.

Auf der Fahrt zum Flughafen läuft alles glatt. Hodes wechselt vom Bus in die U-Bahn, dann steigt er in die S-Bahn zum Flughafen. Die Anspannung lässt nach. Er erzählt, wie er zum ehrenamtlichen Kurier geworden ist. „Am 5. Juli 2005 hat sich mein Leben verändert.“ An diesem Tag hat er seiner besten Freundin seine linke Niere gespendet. Die Seelenfreundin – „my soulbuddy“ – litt an einer genetischen Nierenkrankheit und wurde täglich schwächer. Ihre Familienangehörigen kamen nicht als Spender in Frage, und ein passender Fremdspender war nicht in Sicht. „So bin ich auf die Idee gekommen, meine Niere zu spenden, falls es passt.“ Die Chance war nicht groß, aber einen Versuch war es wert. Er war ein Volltreffer. Peter Hodes musste unzählige Tests über sich ergehen lassen, mit Psychologen sprechen, um jeden Zweifel auszuräumen, dass er unter Druck gesetzt wurde. Die britische Regierung gab grünes Licht für die Operation. Hodes war der erste Mensch im Vereinigten Königreich, der ein Organ an einen Kranken spendete, mit dem er weder verwandt noch verschwägert war.

Der englische Patient

„Alles ist prima gelaufen“, sagt er im Rückblick. „Die Spende war das Beste, was ich je in meinem Leben getan habe. Mein Leben vorher war schön, aber danach fühlte ich mich als besserer Mensch.“ Hodes wurde Blutspender, lernte die Anthony Nolan Stiftung kennen und unterstützt die gute Sache, wo er kann. Zum Beispiel, indem er Schulkindern erklärt, wieso es so wichtig ist, sich als Stammzellenspender registrieren zu lassen. Seine erste Reise als Kurier hat er im März 2012 gemacht.

Am Flughafen Stuttgart herrscht mäßiger Betrieb. Doch beim Einchecken gibt es Schwierigkeiten. „Ich transportiere Stammzellen“, erklärt Hodes auf Englisch der Frau am Schalter. Sie greift zum Telefon, spricht, legt auf und verweist Hodes an einen anderen Schalter. Auch dort telefoniert die Angestellte, vertröstet den zunehmend nervösen Kurier: „Noch ein paar Minuten.“ Auf der großen Anzeigetafel blinkt beim Flug nach London längst das grüne Licht, das die Passagiere zum Einsteigen auffordert. Einige Telefonate später bekommt Hodes die Erlaubnis und hastet zur Sicherheitskontrolle, die ohne viel Aufhebens verläuft, denn die Klinik hat den Kurier angemeldet.

Eine gute Stunde später landet Peter Hodes in London und verlässt als Erster das Flugzeug. Er darf in Begleitung einer Flughafenmitarbeiterin an der langen Schlange vor dem Einreiseschalter vorbei. Gegen 9 Uhr abends liefert er den Beutel mit der rosafarbenen Flüssigkeit in einem Londoner Krankenhaus ab. Dann macht er sich auf den Heimweg. Schon am nächsten Morgen bricht er wieder auf. Seine hundertste Reise für das Leben anderer.