Der Stuttgarter Architekt Arno Lederer will also das Katzenstift räumen – zugunsten der Oper. Wer seinen Thesen folgt, könnte noch auf ganz andere Ideen kommen, meint unser Lokalchef Holger Gayer

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Was wäre die Welt ohne ihre Helden, die aufbegehrt, rebelliert, Tabus gebrochen haben? Die ohne Rücksicht auf ihr Wohlergehen gegen Despoten und für die Menschlichkeit kämpften – frei nach den Worten Luthers, gesprochen 1521 auf dem Reichstag zu Worms: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ Ein gutes Stück ungerechter wäre sie, diese Welt, und ärmer, weil die Menschen Helden brauchen, zu denen sie aufschauen, denen sie nacheifern können.

 

Doch es gibt auch die anderen, die sich als Tabubrecher inszenieren, um Sexspielzeug oder merkwürdige Meinungen zu verkaufen. Die AfD tummelt sich erfolgreich auf diesem Feld. Mit dem Schlachtruf „Man wird doch noch sagen dürfen . . .“ hat sie es bei der Bundestagswahl auf 12,6 Prozent gebracht – und man erinnert sich an den Philosophen Jürgen Habermas, der schon vor 15 Jahren bemerkt hat: „Das diffuse Geschwätz über Tabus und ihr mutiges Abschütteln schwillt zum Bocksgesang an.“

Die Debatte wird längst geführt

Wie bedauerlich, dass in Stuttgart nun ein Mann von großer Kenntnis und Kreativität meint, sich solcher rhetorischer Figuren bedienen zu müssen, um zu erklären, dass die Schüler und Lehrer des Königin-Katharina-Stifts bitte ihre denkmalgeschützte Bildungsstätte räumen sollen, um Platz für die Oper zu schaffen. Der Architekt Arno Lederer hat diese Position bezogen und in einem Gastbeitrag für diese Zeitung einige bedenkenswerte Argumente gefunden. Doch leider hat er auch behauptet, dass man die von ihm aufgeworfene Frage „nicht einmal im Ansatz stellen“ dürfe. Sie werde als „unanständig“ geächtet: „Das Tabu kann man nicht brechen.“

Doch, Herr Lederer, selbstverständlich! Man kann, man muss sogar darüber streiten, wo die Oper während der Sanierung des Littmann-Baus untergebracht wird und welche Perspektiven sie danach hat. Und wissen Sie was? Diese Debatte wird längst geführt, und sie wird am ehesten zu einem fruchtbaren Ende kommen, wenn sie sachlich bleibt – ohne Popanz von angeblichen Denkverboten und Tabus.

Man könnte ja auch die Markthalle ausräumen

Wer sich lieber der Polemik bedient und beispielsweise darauf hinweist, dass das renommierte Katzenstift erst seit 1903 an seinem jetzigen Platz zwischen Hauptbahnhof und Oper sei (und damit wohl sagen will, dass die Ansprüche der Schule, in ihrem Haus zu bleiben, nicht tief genug gründen), der darf sich gerne auch mit anderen Tabus beschäftigen. Wie wäre es, die Markthalle für die Oper auszuräumen? Sie ist erst 1914 eröffnet worden. Auch der Hauptbahnhof von Paul Bonatz böte sich an: Er wurde 1922 seiner Bestimmung übergeben und wird irgendwann in ferner Zukunft als solcher nicht mehr gebraucht. Oder der Landtag. Dort, wo seit 1961 die Abgeordneten sitzen, stand ja schon einmal eine Behelfsoper. Schließlich die ehemalige EnBW-Zentrale an der Jägerstraße: Obwohl erst 1996 gebaut, sollte das markante Gebäude nach dem Willen der neuen Investoren abgerissen werden. Die Stadt hat das erfolgreich verhindert – auch weil der Architekt des preisgekrönten Klinkerbaus eine solche Schmähung nicht verdient gehabt hätte. Sein Name: Arno Lederer.