Die Firmen in Böblingen bangen um den Nachwuchs: Landrat Bernhard will nun im Herbst 2012 einen IT-Studiengang in der Stadt etablieren.

Böblingen/Reutlingen - An der Hochschule Reutlingen wird zurzeit an den Plänen für einen Studiengang Wirtschaftsinformatik an der bisherigen Akademie für Datenverarbeitung (ADV) in Böblingen gearbeitet. Dem Vernehmen nach sollen sieben Professorenstellen geschaffen werden, die zunächst 172 Studenten zu IT-Spezialisten ausbilden. Eines Tages soll die Außenstelle der Hochschule Reutlingen in Böblingen bis zu 180 Studenten der Wirtschaftsinformatik aufnehmen können. Um das Vorhaben zu verwirklichen und im Kreis Böblingen den lang ersehnten Hochschulstandort zu schaffen, sind die Stadt Böblingen und der Landkreis in Vorleistung gegangen. "Ich gehe davon aus, dass wir zusammen bis zu vier Professuren tragen werden", erklärt der Landrat Roland Bernhard.

 

Laut Bernhard beteiligt sich die Stadt Böblingen an dem Professurenkontingent mit 1,7 Stellen. Wie berichtet, stellt die Stadt in den kommenden zehn Jahren jeweils 170000 Euro-insgesamt also 1,7 Millionen Euro-zur Verfügung. Der Kreis will 300000 bis 400000 Euro jährlich beisteuern. Zudem überlässt er als Träger der ADV der Reutlinger Hochschule die Räumlichkeiten kostenlos.

Böblingen will weiter IT-Fachkräfte ausbilden

Bernhard hofft, dass der Reutlinger Geschäftsplan für den Studiengang spätestens nach der Sommerpause vorliegt und man dann in Gesprächen mit der Reutlinger Hochschule, den Kooperationspartnern- der Hochschule Esslingen und der Universität Stuttgart-sowie mit dem Wissenschaftsministerium die Gründung der Hochschulaußenstelle unter Dach und Fach bekommt. "Der Startschuss soll im Herbst 2012 erfolgen", sagt der Landrat Bernhard.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten bemüht sich der Kreis Böblingen als Standort von IT-Weltfirmen darum, eine Hochschule zu erhalten. Die Bestrebungen, aus dem Berufskolleg Informatik der ADV einen Bachelor-Studiengang hervor zu bringen, sind am Veto der Stuttgarter Ministerien gescheitert. "Aus Berufsschullehrern konnten keine Professoren gemacht werden", sagt Bernhard. Dessen gute Kontakte zum Vizepräsidenten der Reutlinger Hochschule, Hendrik Brumme, dem Sohn des einstigen Böblinger Oberbürgermeisters Wolfgang Brumme, lassen den Traum aber jetzt wohl Wirklichkeit werden. Auch weil an der renommierten Reutlinger Hochschule Andrang herrscht und es dort offensichtlich ein Raumproblem gibt.

Die Schülerzahlen sinken

An der ADV, an der es Platz für 850 Schüler gibt, sanken die Schülerzahlen zuletzt drastisch. Der ADV-Leiter Peter Rundel führt das auf die wachsende Konkurrenz der Dualen Hochschule oder der IT-Schule in Stuttgart zurück - und auf den verwehrten Bachelor-Abschluss. Vor fünf Jahren hatten noch 268 junge Menschen das Berufskolleg Informatik an der ADV besucht. In diesem Schuljahr gibt es lediglich 191 Schüler, die nach dem Abitur das Zertifikat als staatlich geprüfter Informatiker anstreben. Die Böblinger Bildungsstätte soll deshalb bald aufgelöst werden und schlüpft vom Schuljahr 2012/13 an mit dem Berufskolleg Informatik organisatorisch unter das Dach der Sindelfinger Gottlieb-Daimler-Schule II, die rund 2000 Schülern ähnliche Ausbildungsgänge bietet.

Auch in den anderen Schulzweigen der ADV, in den kaufmännischen Berufsschulklassen sowie an der angegliederten Fachschule für Wirtschaftsinformatik, lässt die Nachfrage zu wünschen übrig. Im Jahr 2004 zählte die ADV noch insgesamt 504 Schüler, in diesem Jahr ist die Gesamtzahl auf 450 geschrumpft. "Das konnte so nicht weiter gehen", sagt Rundel. Aus der Not soll nun eine Tugend gemacht werden. Die kaufmännischen Berufsschulklassen und das einjährige Berufskolleg werden vom Schuljahr 2012/13 an von der Kaufmännischen Schule Böblingen übernommen, die Fachschule für Wirtschaftsinformatik wird an die Stuttgarter IT-Schule abgegeben. Rundel sieht darin einen guten Weg, zumal er den Schulleiter an der Daimler-Schule ablösen wird, der in den Ruhestand geht.

Das bisherige Berufskolleg Informatik der ADV hat Rundel also weiterhin unter seinen Fittichen. Es bleibt vorerst am ADV-Standort angesiedelt. Wenn die Wirtschaftsinformatiker einziehen, soll die Einrichtung in "Hollerith-Zentrum" umbenannt werden. "Die Absolventen des Berufskollegs sind gefragt, auch ohne einen Bachelor-Abschluss. Sie haben immer alle eine Stelle gefunden", sagt er.