Mit den ersten Sonnenstrahlen wird es auf den Straßen wieder deutlich enger und gefährlicher. Neben Pkw und Lkw gibt es für Radfahrer auch andere potenzielle Unfallquellen.
Berlin - Fahrradfahrten enden immer häufiger tödlich: 2018 starben 455 Radfahrer auf Deutschland Straßen, darunter 89 auf Elektrorädern (Pedelecs). Das waren 15 Prozent mehr Unfälle als 2017, bei den Pedelecs lag der Anstieg bei 27 Prozent. Das geht aus vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor.
Der Anstieg lag nicht nur am langen Sommer: Immer mehr Radfahrer müssen mit Auto- und Lkw-Fahrern um den knappen Platz auf den Straßen kämpfen - vor allem in den Städten. 2018 wurden 4,2 Millionen Fahrräder in Deutschland verkauft, der zweithöchste Wert in diesem Jahrzehnt. Jedes vierte neue Fahrrad ist ein Elektrorad. Ab dem Sommer sollen auch E-Scooter hinzukommen - aus Expertensicht eine weitere Unfallquelle. Ein Überblick über die größten Gefahren für Radfahrer.
Das sind die größten Gefahrenstellen
AUTOS: Die meisten Unfälle zwischen Rad und Auto gibt es laut Unfallforscher Siegfried Brockmann im Kreuzungs- und Abbiegebereich. Hier kollidieren geradeausfahrende Radfahrer oft mit abbiegenden Autos oder Lkw. „Idealerweise müssten die Verkehrsströme getrennt werden, etwa durch Ampelschaltungen“, sagt der Leiter des Berliner Instituts Unfallforschung der Versicherer (UDV). „Immer dann, wenn Radfahrer Grün haben, sollten Autos warten und umgekehrt.“
LASTWAGEN: Immer wieder werden Radler von Lkw-Fahrern beim Abbiegen übersehen. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will den Einbau von Abbiegeassistenten daher vorantreiben. Er setzt sich für eine verpflichtende Einführung dieser Systeme für neue Fahrzeuge ab 2020 ein. Außerdem gibt es ein Förderprogramm zur Nachrüstung. Nach Schätzungen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) verfügen weniger als fünf Prozent der Fahrzeuge über ein etwa 1500 Euro teures System. Unfälle mit Lkw sind laut Brockmann allerdings nur „ein kleinerer Teil des Problems Radfahrerunfall“. 2017 seien 77 Radfahrer bei Unfällen mit Lkw gestorben, davon rund 30 beim Rechtsabbiegen.
INFRASTRUKTUR: Mit extrabreiten und durch Poller geschützte Wege soll das Radfahren in Großstädten wie Berlin sicherer werden. Doch diese vereinzelten Projekte reichten bei weitem nicht aus, sagt Brockmann. Aus Sicht des ADFC ist die „schlechte und völlig unterdimensionierte Fahrrad-Infrastruktur“ das größte Sicherheitsproblem. „Zerschlissene und schlecht einsehbare Bordsteinradwege wechseln ab mit zugeparkten, viel zu schmalen Radfahrstreifen - und die enden dann oft im Nichts oder an der nächsten Baustelle. Das ist frustrierend und gefährlich“, bemängelt Sprecherin Stephanie Krone.
E-BIKES/PEDELECS: Immer beliebter werden Elektro-Fahrräder. Sie bescheren vor allem Senioren eine neue Mobilität, denen sonst womöglich die Puste ausginge oder die Gelenke einen Strich durch die Rechnung machen würden. „Das sind völlig neue Gruppen jenseits der 75, die wir vorher nicht hatten“, so Brockmann. Die Kehrseite: „Die Beherrschung des Fahrzeugs, gerade mit der höheren Geschwindigkeit, ist in vielen Fällen nicht gegeben.“ Statistiken zeigen, dass es vor allem bei Pedelec-Fahrern mehr tödliche Unfälle gibt. „Eine Lösung wäre, die Geschwindigkeit der Räder an die Kraft zu koppeln, die ein Radfahrer mit seiner Muskelkraft aufbringen würde“, so der Experte.
RADFAHRER: Rücksichtsloses Überholen oder fehlender Abstand: Auch Radfahrer werden für andere Radler zur Gefahr. Laut Brockmann gibt es hier eine große Dunkelziffer von Unfällen. „Auf einen von der Polizei registrierten Unfall kommen etwa drei weitere Radunfälle, bei denen Beteiligte mit erheblichen Verletzungen in Krankenhäuser kommen“, so der Experte. Oft werde die Polizei nicht gerufen, weil keine Versicherung im Spiel sei. Stephanie Krone vom ADFC rät, vorausschauend zu fahren, Radwege nicht in Gegenrichtung zu nutzen und im Dunkeln das Licht einzuschalten. Auch Helme können schützen - Minister Scheuer wirbt aktuell mit einer umstrittenen Kampagne dafür. Nur acht Prozent der jungen Radfahrer tragen demnach einen Helm.
E-SCOOTER: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) will Elektrische Tretroller (E-Scooter) zulassen. Möglichst ab dem Frühjahr sollen sie unterwegs sein und rechtlich wie Fahrräder behandelt werden. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h sollen sie auf Radwegen fahren - wenn es keine gibt, darf auch die Fahrbahn genutzt werden. Aus Sicht Brockmanns ein weiteres Risiko. „Ein E-Scooter-Fahrer verhält sich anders als ein Radfahrer, ist aber genauso schnell. Die Dinge sind nur sehr schwer miteinander kompatibel“, so Brockmann. E-Scooter würden Schlaglöchern beispielsweise eher ausweichen als Radler.
UNVERÄNDERT GEFÄHRLICHE UNFALLSCHWERPUNKTE: Viele Unfallschwerpunkte sind laut Brockmann zwar bekannt, werden aber nicht geändert. „Unfallkommissionen kommen in vielen Städten nicht nach, die identifizierten Stellen zu bearbeiten und entsprechend umbauen zu lassen. Oft wird auch das Geld nicht bewilligt“, kritisiert der Experte. Berliner Forscher wollen die Gefahrenstellen mit Hilfe von Radfahrern und der App „SimRa“ sichtbar machen. Sie kann erkennen, wann Radfahrer stark bremsen, beschleunigen oder einer Gefahr ausweichen müssen - also auch Beinahe-Unfälle registrieren.