Daimler-Chef Zetsche gibt den Startschuss für die Start-up Autobahn – ein mit der Universität Stuttgart und einem US-Investor lanciertes Innovationsprojekt.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Fellbach - Die Geste von Daimler-Chef Dieter Zetsche hatte Symbolwert. Kaum hatte er seine ersten Einleitungsworte gesprochen, landete sein Jackett lässig auf dem von ihm nicht benötigten Rednerpult. Daimler wolle beim Thema Innovation Tempo machen, sagte Zetsche zum offiziellen Auftakt des ambitionierten Projekts Start-up Autobahn. Daimler will hier in Zusammenarbeit mit dem renommierten US-Kapitalgeber Plug and Play und der Universität Stuttgart Gründer aus aller Welt nach Stuttgart locken. Man wolle auf neue Weise mit innovativen Ideen aus dem Bereich der Mobilität in Kontakt zu kommen. „Das ist gut für unser Geschäft“, sagte Zetsche vor den öffentlichen Präsentationen von 23 Finalisten, die sich in einer Vorausscheidung unter 300 Bewerbern weltweit durchgesetzt hatten.

 

Zehn von ihnen werden vom Herbst an für ein Vierteljahr ein intensives Programm durchlaufen, bei dem sie von Daimler-Experten begleitet werden und auch die Infrastruktur auf dem Forschungscampus Arena 2036 nutzen können, bei dem die Universität Stuttgart und Firmen der Autobranche zusammenarbeiten.

Der Stuttgarter Autobauer will damit über seine eigenen Entwicklungsprojekte hinausblicken. Das Konzept ist für Baden-Württemberg Neuland. Neu ist beispielsweise, dass Daimler den Start-ups vollen Freiraum lässt. Der Autokonzern sichert sich nicht von vornherein Anteile oder einen Zugriff auf die Technologien. Innovativ sind auch die Partnerschaften – nicht nur mit der Universität Stuttgart und dem Forschungscampus Arena 2036. Entscheidend ist die Präsenz des US-Investors Plug and Play aus dem Silicon Valley, der große Erfahrung damit hat, aus kleinen Start-ups große Erfolgsgeschichten zu machen und der diesen Ehrgeiz auch nach Stuttgart bringt. Die Amerikaner suchen in Stuttgart die im digital ausgerichteten Silicon Valley fehlende Expertise im Bereich der Produktion. Beides ist beim Thema Auto zunehmend miteinander verknüpft.

Region will das Silicon Valley der Mobilität werden

„Wir können hier nicht nur Programmieren, sondern auch Metall formen“, sagte Zetsche über den Standortvorteil der Region, der ihr das Potenzial gebe, das „Silicon Valley“ der Mobilität zu werden. „Wir wollen besser an Ideen von außerhalb Stuttgarts herankommen“, sagte Mercedes-Entwicklungschef Thomas Weber: „Wir müssen das Auto neu erfinden. Das ist eine Frage des Überlebens“. Auch der Rektor der Universität Stuttgart,Wolfram Ressel, hofft dank der Start-up Autobahn auf mehr internationale Aufmerksamkeit. Man wolle dabei auch kreative Persönlichkeiten enger verknüpfen: „Wir wollen die Nähe, wir wollen, dass Sie ihren Latte Macchiato zusammen mit einem Wissenschaflter trinken“, sagte er auf der ganz in Englisch abgehaltenen Veranstaltung in Richtung der Start-ups im Publikum.

Das Ziel des amerikanischen Partners, der mit seinen Beteiligungen an Unternehmen wie dem Bezahldienst Paypal oder der Cloud-Plattform Dropbox bereits teils milliardenschwere Erfolgsgeschichten geschrieben hat, ist es hingegen, mithilfe des in Stuttgart versammelten technologischen Potenzial eine solche große Erfolgsgeschichte im Mobilitätsbereich zu finden. Fast parallel zum Stuttgarter Projekt eröffnen die Amerikaner im Silicon Valley ein Start-up-Zentrum zum selben Thema. „Ein Erfolg für uns wird es sein, wenn wir in Stuttgart jedes Jahr 20 Start-ups anschieben“, sagte Saeed Amidi, Chef von Plug und Play. „Wir brauchen dafür allerdings einen Kulturwandel“, sagte der Amerikaner.

Voraussetzung für höhere Gründerquoten ist ein Kulturwandel

Insgesamt habe Baden-Württemberg ein enormes, bisher noch nicht angezapftes Potenzial. Wenn man etwa die Gründerquoten kalifornischer Universitäten zum Maßstab nehme, könnten allein schon aus den jährlich 4000 Absolventen der Universität Stuttgart 1000 Menschen hervorgehen, die entweder selber gründen oder zumindest bei einem Start-up mitarbeiten, sagte Amidi. Der Schlüssel dafür sei allerdings ein Kulturwandel: „Man muss auch Entrepreneure produzieren“, sagte er in Anspielung auf das auf die Produktion fixierte Denken in der Region. Dazu müssten beispielsweise die Lehrpläne der Hochschulen konsequent auf die entsprechenden Fertigkeiten ausgerichtet werden. Veranstaltungen wie die rund um die Start-up-Autobahn seien ein Anfang: „Immerhin hat es Dieter Zetsche schon einmal geschafft, mich bei der Coolness seines Outfits zu übertreffen.“

Die sich in Stuttgart präsentierenden Unternehmen zeigten nicht nur einen breiten Ausschnitt der Themen Vernetzung, Autonomes Fahren, Teilen und Emissionsfreiheit, die der Mercedes-Entwicklungschef Weber als strategische Ziele formuliert hatte. Sie sprengten mit ihren Ideen auch schon die thematischen Grenzen. Das israelische Start-up Noveto hat etwa Lautsprecher entwickelt, welche den Klang so gezielt ausrichten können, dass etwa ein Fahrer im Auto nicht vom Musikhören abgelenkt wird. Die Münchner Gründer von 4tiitoo haben eine Technologie zur Verfolgung von Augenbewegungen und für Gestensteuerung entwickelt, die ein autonomes Fahrzeug sicherer machen könnte. Aber auch Start-ups aus dem Bereich der Produktion, etwa das an Airbus angedockte, aus der Nähe von München stammende Unternehmen AP Works, das sich mit dem 3D-Druck von Metallen beschäftigt, stellten sich der Juryauswahl oder beispielsweise die finnische Firma Canatu, die auf Karbonbasis ein Material für Berührungsbildschirme entwickelt hat.