Avatar Emma von Medidyne Systems von hilft dem Patienten beim Einchecken in der Praxis, Perosol forscht an einer Miniaturanlage zum Druck von effizienteren Solarzellen und Muwind hat Mini-Windräder für Landwirte im Angebot. Foto: Medidyne Systems/; Ulrich Schreyer; Muwind
Der Start-up-Sektor kehrt zurück auf den Wachstumspfad. Besonders im Fokus stehen die Bereiche Energie und Medizin. Wir stellen fünf Firmen aus dem Land vor, darunter: Solarzellen aus dem Drucker, Mini-Windräder oder die „Notfallpraxis in der Hosentasche“.
Ein Wirtschaftszweig schöpft Hoffnung: Die Zahl der Start-up-Neugründungen ist 2024 wieder gestiegen. Der Start-up-Verband in Berlin spricht von einer „Trendwende und Rückkehr auf den Wachstumspfad“, nachdem die Zahlen im Jahr 2022 eingebrochen waren. Besonders im Fokus stehen Gründungen aus den Bereichen Energie und Medizin. Wir stellen vier davon aus Baden-Württemberg vor.
Perosol: Solarzellen aus dem Drucker
„Perosol befindet sich noch in der Gründungsphase und sucht nach interessanten weiteren Investoren“, sagt Claudiu Mortan, der dem künftigen Unternehmen zusammen mit Professor Michal Saliba von der Universität Stuttgart Leben einhauchen will. Perosol forscht an einer Methode zur Herstellung von Solarzellen, die effektiver als die üblichen Siliziumzellen sind. Dabei werden Metallhalogeniden eingesetzt, ein Stoff, der Salzen ähnelt. Diese werden als Pulver mit einem organischen Lösungsmittel verbunden. Dadurch entsteht einen Art Tinte, die auf Folien gedruckt werden kann. Die Zellen sind leicht, was sie auch für den Einsatz in der Raumfahrt interessant macht. Gerade bei schlechten Lichtverhältnissen wie „im Winter, bei bewölktem Himmel oder im Schatten von Bäumen“ könnte ihr Einsatz laut Mortan interessant sein. In den nächsten Monaten soll Perosol aus der Universität Stuttgart ausgegründet werden.
Muwind: Windräder für Bauernhöfe
„Start-ups im Bereich alternativer Energien sind ein zentraler Hebel für das Erreichen unserer Klimaziele“, sagt Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende des Start-up-Verbands. Ein solches hat Sebastian Diaz de Corcuera 2022 gegründet. Nach 15 Jahren als Entwicklungsleiter in der Windenergiebranche hat de Corcuera mit seinem Unternehmen Muwind aus Ulm Windräder mit einer Höhe von bis zu zehn Metern Höhe entwickelt, die etwa auf Bauernhöfen eingesetzt werden können. Die ersten 50 sollen 2026 von einem Installateur aufgebaut werden, ein Prototyp steht bereits auf einem Hof in Heidenheim.
Ein zehn Meter hohes Rad kostet 15 000 Euro, kann offenbar ohne Baugenehmigung aufgestellt werden und im Jahr 4000 Kilowattstunden liefern – nach Angaben des Gründers entspricht dies dem durchschnittlichen Stromverbrauch eines deutschen Haushalts. Interessenten gibt es aus Europa, Südamerika und Indien. Über 15 Jahre könne das Rad Strom für 0,30 Euro je kWh produzieren. Es gab Fördermittel, aber auch einen Investor, der das Startkapital lieferte. Zur Zeit würden Technologien mit Künstlicher Intelligenz zwar etwas mehr Aufmerksamkeit erhalten, „aber es gibt noch viele Investoren, die Interesse zeigen“.
Vioonic: App erspart die Notfallpraxis
Neben „grünen“ Start-ups, die sich etwa in der Energietechnik tummeln, sieht der Verband nach den Worten von Pausder auch noch „enormes Innovationspotential“ in der Medizintechnik. „Start-ups verbessern den Zugang zu Versorgung, entlasten Ärzte und Ärztinnen und bringen die Digitalisierung des Gesundheitswesens voran“, sagt Pausder. Das ist auch das erklärte Ziel von Barry Fogarty, der 2020 Vioonic aus Reutlingen gegründet hat. Seit Mitte 2023 hat das Unternehmen eine App im Angebot, die Fogarty als „Notfallpraxis in der Hosentasche“ umschreibt. Mit der App kann 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche Kontakt zu Ärzten und Ärztinnen aufgenommen werden. Wie bei der Telemedizin gibt es dann eine erste Einschätzung des Zustands eines Patienten. „In 95 Prozent der Fälle ist nach dem Gespräch kein Besuch in der Notaufnahme nötig“, sagt der Unternehmenschef.
Vioonic bietet „die Notfallpraxis in der Hosentasche“ als App. Foto: Vioonic
Aktuell arbeiten drei fest angestellte Beschäftigte für Vioonic sowie 13 freiberufliche Ärzte, Ärztinnen und Pflegekräfte. Die medizinischen Fachkräfte werden von dem Unternehmen bezahlt. Zu den Kunden gehören Firmen, aber auch Hotels und Reiseveranstalter sowie der Golfclub Schönbuch. Bisher brachte die App Vioonic einen Umsatz von 100 000 Euro, Geld für das Unternehmen gab es zudem von mehreren Investoren.
Medidyne Systems: So soll KI den Ärzten helfen
Mit Eigenkapital haben die drei Gründer Bettina Schindler, Christian Fuchs und Eduard Warth von Medidyne Systems ihr Unternehmen in Tübingen ins Leben gerufen. Die Idee kam vor einem halben Jahr auf, jetzt will man die Automatisierung von Arztpraxen vorantreiben. „Der Fachkräftemangel wird sich in den kommenden Jahren zuspitzen“, vermutet Eduard Warth. So wurde beispielsweise die Software für ein Terminal entwickelt, in das die Patienten ihre Gesundheitskarte bei der Anmeldung in der Praxis stecken können, statt das dem Personal am Empfang zu überlassen. Weiterer Vorteil laut Medidyne: Das Terminal benötigt lediglich Strom und muss nicht in die IT-Infrastruktur der Praxis eingebunden werden. Der Patient wird dann von dem digitalen Avatar „Emma“ begrüßt. Ein Prototyp soll voraussichtlich Anfang Juni in einer Praxis aufgestellt werden . Zudem soll mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und einem Sprachmodell der Arzt bei der Dokumentation der Sprechstunde unterstützt werden. Dabei soll das gesprochene Wort in Schriftform gebracht werden. Ähnliches ist auch beim Dokumentenmanagement vorgesehen. Bisher wird die Arbeit noch von den Gründern selbst finanziert – in der zweiten Jahreshälfte aber sollen die ersten Umsätze Geld in die Kasse bringen.
Robosz Robotic: Putzhelfer für Turnhallen
Dem Fachkräftemangel will auch das 2023 gegründete Start-up Robosz Robotic entgegenwirken, das jüngst auf einer Gründermesse in Reutlingen großen Zulauf hatte und Reinigungsroboter vertreibt. „Der Roboter saugt, schrubbt, wischt und moppt“, berichtet Firmengründer Sebastian Orosz. Gedacht ist er nicht für Privathaushalte, sondern für Schulen, Turnhallen, Fitnessstudios oder Pflegeheime.
Foto: Robosz Robotic
Gereinigt werden sollten große Flächen ab 500 Quadratmeter, damit der rund 20 000 Euro teure Helfer sinnvoll eingesetzt werden kann. Die Roboter können gemietet oder geleast werden. Da auch KI mit im Spiel ist, kann der Roboter auch autonom reinigen. Das Vertriebs-Start-up arbeitet ohne feste Beschäftigte, sondern mit Aushilfen. „Ich bin froh, in meinem eigenen Unternehmen arbeiten zu können, da ich noch ein paar Jahrzehnte vor mir habe“ sagt der aus dem Sondermaschinenbau kommende Unternehmensgründer. Finanziert hat er dieses mit Eigenkapital und einem Bankkredit. Bereits seit 2023 gibt es die ersten Kunden. „Es trägt sich so einigermaßen“, sagt Orosz.
Vielversprechende Start-ups
Energietechnik Fast 50 Prozent der im Deutschen Start-up-Monitor des Start-up-Verbandes aufgeführten Start-ups ordnen sich selbst der Green Economy zu. Insgesamt gibt es nach den Angaben des Verbandes 3000 dieser Firmen. Ein Viertel davon ist im Energiesektor angesiedelt.
Medizintechnik Im vergangenen Jahr gab es nach den Angaben des Verbandes 293 Medizintechnik-Start-ups, neun Prozent mehr als noch im Jahr zuvor.