Gelingen Innovationen eher außerhalb eines etablierten Unternehmens oder innerhalb? Der Start-up-Builder Etventure setzt auf externe Einheiten und Unterstützung durch Fachleute von außen. Demnächst auch in Stuttgart.

Stuttgart - Von der hippen und IT-affinen Start-up-Hauptstadt Berlin aus wird der Standort Stuttgart immer gerne belächelt. Zu kleine Netzwerke von ITlern, zu viel Old Economy, außerdem sei die Stadt hässlich, und partytechnisch gehe auch nix. Ein Berliner Branchenportal kam noch im Dezember zu ebenjenem Schluss, stellte gleichzeitig aber überrascht fest, dass sich in der Region was tut bei den Start-ups. So kommt auch der Deutsche Start-up-Monitor, eine jährlich stattfindende Online-Befragung von Start-ups unter Führung des Bundesverbands Deutsche Start-ups in seiner dritten Ausgabe zu dem Schluss, dass die Region Stuttgart/Karlsruhe zu einer der fünf großen Gründerregionen in Deutschland gehört – nach Hamburg, der Metropolregion Rhein-Ruhr, München und natürlich Berlin.

 

„Das Ländle hat’s verstanden“, sagt Philipp Depiereux. Der Marketing-Fachmann und Gesellschafter des Start-up-Builders Etventure mit Sitz in München ist derzeit im Land unterwegs und führt Gespräche mit Firmen. Er will die Expertise seines Unternehmens im Aufbau von Digitaleinheiten für etablierte Firmen verkaufen. Das Geschäftsmodell von Etventure ist mehrgleisig: Einerseits helfen sie Start-ups auf die Beine, andererseits greifen sie etablierten Firmen bei der Digitalisierung unter die Arme. Dazu kommen noch Public-private-Partnerships und eine eigene Digitalgeschäfts-Schule in Berlin. Etventure ist seit fünf Jahren im Geschäft, beschäftigt 170 Mitarbeiter an sieben Standorten. Stuttgart wird der achte: sechs Mitarbeiter ziehen im März in den Co-Working-Space von Accelerate Stuttgart ein.

Der Zugang zum Kunden ist entscheidend

Von der vermeintlichen Digitalisierungsscheu des schwäbischen Mittelstandes merkt Depiereux wenig: „Mehr als die Hälfte der Geschäftsführer, die ich treffe, sind von der Notwendigkeit der Digitalisierung überzeugt“, sagt er. Viele Unternehmer treibe auch die Angst, dass ein großer Onlinehändler in ihr Handelsgeschäft einsteigt. Wer sich in der digitalen Welt behaupten wolle, müsse vor allem einen Zugang zum Kunden und seinen Daten gewinnen. „Kurzfristige Umsatzabsichten sind dabei zunächst zweitrangig“, ist Depiereux überzeugt.

Um möglichen Vorbehalten der Old Economy, also traditionellen, kapital- und materialintensiven Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe, dennoch zu begegnen, bedient sich Etventure eines Tricks: Die neue Digitaleinheit wird außerhalb des Unternehmens aufgebaut, dazu werden sowohl Mitarbeiter aus dem Unternehmen als auch externe Fachleute mit unternehmerischer Digitalkompetenz zusammengezogen. „Wir lassen die Organisation in der Startphase in Ruhe“, sagt Depiereux. Ziel dieser Digitaleinheiten sei, in einem geschützten Raum Innovationen schnell zu entwickeln und zu testen. Depiereux erklärt, warum: „Widerstände gegenüber Neuerungen sind in einer Organisation deutlich geringer, wenn der Erfolgsnachweis im Kleinen bereits da ist.“

Innovation durch trial and error

Der Vorteil dieser Methode laut Depiereux: der „geschützte Raum“ ermögliche erst die Innovation durch Trial and Error. Branchen-Knowhow sei dabei keine Voraussetzung, die Konzentration auf den Nutzer, also den Kunden, sei essenziell. „Es geht im ersten Moment nicht darum, das beste Produkt herzustellen, wie Ingenieure das machen, sondern darum, immer vom Kunden her zu denken und mit hoher Geschwindigkeit Produktinnovationen zu entwickeln, die ein zentrales Kundenproblem lösen“, sagt Depiereux – eine Einstellung, mit der er im Tüftlerland Baden-Württemberg möglicherweise anecken wird. Schwäbische Unternehmen wie Bosch oder EnBW sind anders gefahren und haben ihre IT-Innovationseinheiten auch räumlich ins Unternehmen integriert.

Depiereux bleibt aber dabei: „Die Mitarbeiter der Zukunft wollen nicht in einer klassischen Unternehmenskultur arbeiten.“ Man müsse den Digitaltalenten ein „eigenes Ökosystem schaffen“.

Es muss nicht immer Berlin sein

So geschehen ist es beispielsweise bei der Digital-GmbH des Versicherers Wüstenrot, die Etventure im vergangenen Jahr aufbaute. Nach sechsmonatiger Testzeit in Ludwigsburg wurde die Tochtergesellschaft gegründet – in Berlin. Etventure stieg mit 49 Prozent ein. Die Bereitschaft, unternehmerisches Risiko in Joint Ventures mitzutragen, unterscheide Etventure von anderen Dienstleistern, heißt es dort.

Aber nicht alles, was mit IT zu tun hat, kann sich in Berlin ansiedeln, weil dort das technische Knowhow des produzierenden Gewerbes fehlt. Das räumt auch Depiereux ein. Aktuell baue man die Digitaleinheit eines schwäbischen Anlagenbauers mit einer Milliarde Euro Umsatz auf. „Und diese Einheit wird in Baden-Württemberg sitzen.“