Stuttgarts Gründergeist ging dank Daimler und Bosch um die Welt. Mit Witz und Ideen steigen deren Erben auf eine kleine Bühne der bunt leuchtenden Schankstelle. Unser Kolumnist war beim Speed Dating der Startups.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Alte Reifen hängen an der Decke als Lampen, verschiedenfarbig beleuchtete Wasserkanister wirken wie eine Kunstinstallation. Draußen erscheinen die Ziffern auf dem Benzinpreisschild mit den Aufschriften Bleifrei, Sprit und Super ausgeflippt – sie sind bis zu 9,91 Euro pro Liter unkontrolliert nach oben geschossen. Die Schankstelle, die bis 1994 an der Jägerstraße unweit des Hauptbahnhofs eine Agip-Tankstelle war, ist eine der coolsten Locations der Stadt.

 

Würde es diese bunte Bar nicht schon geben, man müsste – so sagt man zu einem Phänomen gern – sie erfinden. Und schon sind wir mittendrin im Thema! Vom Erfinden verstehen die jungen Menschen allerhand, die in dieser Nacht mit Vornamensschilder auf der Brust versammelt sind. Auf Nachnamen hat man verzichtet bei den Aufklebern. Wär’ eh viel zu spießig.

Gründergrillen ist bestes Entertainment

Würden Daimler und Bosch, zwei große Stuttgarter Pioniere, noch leben, sie hätten Gottlieb und Robert bei sich drauf geschrieben. Und dann hätten sie zum Pitchen auf eine kleine Bühne steigen dürfen, die nicht größer ist als drei Bierkästen.

Bestes Entertainment ist einmal im Monat geboten, wenn der Verein Startup Stuttgart zum Gründergrillen bittet. Gegrillt werden nicht die Gründer, sondern Burger, und es gibt Pommes. Männer sind ganz klar in der Mehrheit. In dieser Nacht pitchen, wie das in ihrer Sprache heißt, etwa 30 Jungunternehmer und nur vier Jungunternehmerinnen. Der Pitch ist beim Golfspiel der entscheidende Schlag, der den Ball aus großer Entfernung im hohen Bogen möglichst nah an die Fahne beim Loch befördern soll. Gründer sollen mit dem Pitch mit möglichst knappen Worten ihre Treffer landen.

Kurz und knapp muss eine Geschäftsidee zünden

„Eine Geschäftsidee ist gut, wenn man sie in wenigen Sätzen so erklären kann, dass sie jeder versteht“, sagt Philipp Hagebölling von der Agentur Innovations Heroes, einer der Veranstalter des Digital Heroes Festivals in den Wagenhallen. Als er erstmals selbst gepitcht hat,trug er feinen Zwirn, weil er dachte, in Jungunternehmerkreisen ist man edel gekleidet. Die meisten trugen Jeans.

An diesem Abend genießt es der 28-Jährige, den Kurzreden der anderen zu lauschen und beim Bier mit den Kumpels zu diskutieren, welche Idee was taugt. „Es ist geil, dass es im eher prüden Stuttgart Formate wie das Gründergrillen gibt“, schwärmt er.

Beim herkömmlichen Speed Dating geht es darum, in kurzer Zeit möglichst viele Partner zu checken. In wenigen Sekunden entscheidet sich, ob man sein Gegenüber gut findet oder ob man’s doch lieber beim Nächsten versuchen sollte. Dieses Spiel widerspricht den althergebrachten Vorstellungen von Romantik – ist aber effektiv.

Kaugummis mit Koffein

Beim Business Dating wird dieses Konzept übertragen – nur dass man um Investoren buhlt. So wenig man von Luft und Liebe leben kann, so ist eine Geschäftsidee ohne Kapitel nix wert. In die Schankstelle sind Geldgeber gekommen, etwa von der Daimler AG, die das Gründergrillen sponsert.

Wie man seine Startup-Idee findet? Johannes Ellenberg, einer der besten Influencer in Stuttgart, erklärt dies so: „Man kommt oft im Alltag darauf, wenn man etwa auf ein Problem stößt. Dann überlegt man: Sind viele von diesem Problem betroffen? Wie lässt sich eine Lösung finden? Lässt sich damit Geld verdienen?“ In dieser Nacht haben die Redner Lösungsvorschläge, um etwa dreckige Hemden bei Kunden daheim abzuholen, sie dann gewaschen und gebügelt nach Hause zu bringen. Eine junge Frau brachte aus den USA die Idee mit, Kaugummis mit Koffein vor allem in Sportstudios und auf Golfplätzen anzubieten. Zwei 20-jährige Freunde wollen die Hi-Box für Events auf den Markt bringen, in denen man Videos aufnehmen kann.

Spieluhren mit den Rocksongs der Eltern

Michael Heimrich gibt als Losung aus: „Highway to hell statt La Le Lu.“ Er tüftelt unterm Firmennamen Rock my sleep an Spieluhren, die Lieblingssongs der Eltern in der Kuschelversion zum Besten geben – damit sollen deren Kinder einschlafen.

Ein weiterer Redner verspricht eine Cloud mit Servicestandort Deutschland. Außerdem will jemand bei der Suche nach dem richtigen Arzt helfen. Wer datet wen in dieser Nacht? Eifrig werden Visitenkarten und Flyer getauscht, Handynummern weitergegeben. Die Stimmung ist bestens.

Und doch wissen die meisten, dass etwa 90 Prozent der Startups scheitern werden. Stuttgarts Speed-Dater wollen alles dafür tun, dass sie zur Minderheit gehören. Die Hürden für Startups sind hoch. In der Stadt von Daimler und Bosch ist die Gründerszene besonders lebhaft – hier ist geballte wirtschaftliche Kraft daheim. Und mit ihr viel Leidenschaft. Wen wundert’s, dass digitale Helden ihr Herz im Neckar Valley verlieren?