Neckar-Eschach heißt ein Gründerverbund dreier Kommunen in der Nähe von Rottweil. Die Initiative zeigt, wie das Gründen auf dem Land funktionieren kann.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Rottweil - Ein Stück vor Rottweil geht es von der Autobahn herunter Richtung Schwarzwald. Auf und Ab führt die Straße durch kleine Wälder, über Felder und durch die Dörfer. Hier auf dem Land liegt der wohl ungewöhnlichste Gründerort in Baden-Württemberg. Nur 6000 Einwohner hat Niedereschach, zusammen mit seinen Teilorten Fischbach, Kappel und Schabenhausen. Was der sogenannte Strukturwandel ist, hat man hier bitter erleben müssen. Die Uhrenbranche, die hier einst zu Hause war, hat in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorgeführt, was es heißt, in den Strudel des digitalen Umbruchs zu geraten.

 

Damals waren es die digitalen Uhren, die eine über mehr als ein Jahrhundert gewachsene Uhrenindustrie im Rekordtempo hinwegfegten. „Wir sind schon lange ein Industriedorf gewesen“ sagt Bürgermeister Martin Ragg. Mit seinem Arbeiterstolz fühlte man sich immer ein wenig als etwas Besseres. Umso bitterer war der rapide Verlust des ökonomischen Rückgrats.

Den Strukturwandel überstanden

Und dennoch kann der 43-Jährige, der seit 2010 Bürgermeister ist, stolz seine stetig wachsenden Gewerbegebiete vorzeigen. Offenheit für junge Unternehmen sei der Schlüssel: „Zu uns kommen auch Gründer, die anderswo abgelehnt wurden.“ Es sind nicht nur Traditionsnamen, sondern teilweise recht junge Betriebe, die dort das Rückgrat bilden. Dazu gehört beispielsweise Touratech, ein Spezialist für Motorrad-Accessoires. Gegründet wurde der größte Arbeitgeber am Ort als kleines Garagen-Startup im Jahr 1990. Das Unternehmen hat auch schon Turbulenzen überstanden, die für junge Firmen nicht untypisch sind. Nach der Insolvenz 2017 macht die Firma unter einem neuen Eigentümer weiter – und stellt mit ihren 400 Arbeitsplätzen weiterhin das Rückgrat der lokalen Wirtschaft. Denn das Problem war nicht mangelnde Nachfrage. „Man hatte sich wohl beim Wachstum etwas übernommen,“ sagt Ragg.

Doch nicht auf Ansiedlungen von außen warten, sondern das eigene Potenzial ausschöpfen, das ist die Devise. Schon in seinem ersten Wahlkampf in Niedereschach im Jahr 2010 hatte Ragg das Thema Gründen in den Mittelpunkt gestellt. Für seine Idee wirbt er schon auch einmal in einem Youtube-Video – mit selbstironischem Bildschnitt vom Silicon Valley ins Tal der Eschach. 2012 startete dann die lokale Gründerinitative.

Die Stadtverwaltung knüpft heute für Gründer Kontakte zu einem großen Expertennetzwerk oder zu den örtlichen Banken. Und einmal im Jahr wird Gründen zum Event: Zum siebten Mal gibt es Anfang April den Gründertag. Hier lockt man jedes Jahr eine dreistellige Zahl von Interessierten an. 2017 ist auch schon einmal Wolfgang Grupp, der Chef des auf der Schwäbischen Alb beheimateten Textilunternehmens Trigema, mit dem Hubschrauber eingeflogen.

Mehr als 100 Beratungen und 52 Gründungen binnen fünf Jahren in der Gemeinde und im unmittelbaren Umland sind die Bilanz. „Sie glauben gar nicht wie viele Leute aus einem Pool von 6000 Einwohnern tolle Ideen haben!“, sagt Ragg: „Das war dann irgendwann einmal nicht mehr rein ehrenamtlich zu bewältigen.“

Drei Kommunen kooperieren beim Gründen auf dem Land

Ragg legt großen Wert auf die Tatsache, dass Ende 2017 zwei Nachbarkommunen hinzugestoßen sind. Man habe eine für Kommunen heilige Kuh geschlachtet und trete jetzt mit den Nachbarn aus Dauchingen und Deißlingen gemeinsam auf. Nach den zwei Flüssen in der Region ist nun von „Neckar-Eschach“ die Rede. Unter der Überschrift „Existenzgründungsoffensive Neckar-Eschach“ – kurz: „Egon“ – kann man sich nun unter anderem einen Wirtschafts- und Gründerförderer in Vollzeit leisten, der sich etwa zur Hälfte seiner Arbeitszeit um Gründer kümmert.

Gründen auf dem Land, Neckar-Eschach

Das kleine, gallische Gründerdorf ist inzwischen auch bei der Landesregierung in Stuttgart gut bekannt und diente als eines der Aushängeschilder zum Start des im vergangenen Jahr lancierten kommunalen Gründerwettbewerbs „Startup BW local“. Doch so neudeutsch-englisch muss man in „Neckar-Eschach“ nicht daherkommen. Gründen heißt hier nicht gleich Künstliche Intelligenz oder das Internet der Dinge, auch wenn der Schwarzwald-Baar-Kreis ein überdurchschnittlich gut ausgebautes Breitbandnetz hat. Gründen auf dem Land, das kann auch die pfiffige Tüftleridee aus der Garage sein.

Geniale Tüftlerideen für die Caféteria

Tobias Schleicher aus Dauchingen ist so ein Gründer. Im Hauptberuf betreibt der gelernte Werkzeugmechaniker mit seiner Firma Schleicher Engineering technisches Projektmanagement, Anlagenentwicklung oder Prototypenbau. Doch vor allem treiben ihn innovative Ideen um. Eine davon hat er von seinem Vater geerbt – einen hygienischen, vollautomatischen Kaffeedeckelspender. Aber das fast fertige System blieb im Keller liegen. Nun profitiert der Sohn vom Gründerverbund. „Das hat mir geholfen, viel schneller den Überblick zu bekommen, als wenn ich das mir im Internet hätte zusammensuchen müssen“, sagt er.

Er braucht Hilfe beim Vertrieb und der Finanzierung. Schleicher sprudelt vor Ideen. Neben dem Deckelspender erprobt er einen Becher-Pfandautomaten, der vom Trend weg vom Einwegbecher profitieren könnte. Zudem hat er eine Spülmaschine entwickelt, in der man seinen Mehrwegbecher vor der nächsten Benutzung binnen weniger Sekunden reinigen kann – mit minimalem Wasserbedarf.

Die Ideen haben angesichts des Trends weg von den Einwegbechern ein enormes Potenzial. Aus seinem Heimatort will der bodenständige Gründer aber auf keinen Fall weg. „Ich möchte nicht mit Gewalt wachsen, sondern das gesund angehen“, sagt er. Fünf bis zehn Jobs im Heimatdorf für die Entwicklung, das ist seine Vision – für Herstellung und Vertrieb bräuchte es externe Partner. Für seine Spülmaschine bietet ihm schon mal der kommende Existenzgründertag eine Tribüne. Auf dem regionalen Wettbewerb des vom Land geförderten „Startup BW Elevator Pitch“ will er dort versuchen, die Jury zu überzeugen.

Gründen auf dem Land hat auch einen sozialen Aspekt

Gründen auf dem Land, das ist für Ragg auch ein probates Mittel, um Probleme in der Kommune zu lösen. „Ich glaube, dass noch viel zu wenig im Blick ist, dass auch soziale Themen in den Kommunen Gründer brauchen“, sagt er. Und so unterstützt er neben dem Kaffeebecher-Optimierer auch die Gründung eines sozialen Startups. Das gerade gegründete, genossenschaftliche Sozialunternehmen „Bürger für Bürger“ soll die Lücke zwischen professioneller sozialer Betreuung und reiner Nachbarschaftshilfe schließen.

Ältere Menschen könnten bei vielen kleinen Alltagsdingen Hilfe gebrauchen, ob nun eine Begleitung zur nächsten Bushaltestelle oder Hilfe beim Einschrauben einer Glühbirne, sagen die beiden Initiatoren Joachim Bucher und Monika Weißer, die beide Erfahrungen in der Sozial- und Altenarbeit mitbringen. Kommunale Sozialdienste könnten bei solchen Kleinigkeiten nicht einspringen, eine reine Nachbarschaftshilfe auf Vereinsbasis sei hingegen nicht professionell genug. „Sie können zum Beispiel keine Rechnungen ausstellen“, sagt Weißer. Und Bucher ergänzt: „Ich kann als Geschäftsführer eines Sozialunternehmens die Sache besser steuern. Auch Haftungsfragen sind besser geregelt.“

Auch Sozialunternehmer brauchen Gründerförderung

Die Erlöse sind ein Mix von Entgelten, Fördermitteln und Zuschüssen und am Ende steht als wirtschaftliches Ziel nicht der Gewinn, sondern eine schwarze Null. Doch der Wirtschaftsförderer Gunnar von der Grün sieht sich hier genauso in der Pflicht wie für jeden anderen Gründer: „Auch da brauchen sie Netzwerkpartner, die eben nicht aus der Industrie , sondern aus der Sozialbranche kommen. Sie brauchen genauso ein Gründercoaching und müssen auf die Suche nach Zuschüssen gehen.“

Gleich zum Start haben sich 41 Interessierte gemeldet, die der neuen Genossenschaft beitreten wollen. Gründen auf dem Land in „Neckar-Eschach“ – das ist eben mehr als nur das Streben nach höherer Gewerbesteuer.