Die Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett zeigt in dem Seriendrama „Stateless“ die Zustände in einem australischen Flüchtlingslager – und wie demokratische Werte zunehmender Verrohung weichen.

Stuttgart/Berlin - „Was ist mein Verbrechen?“, ruft eine Kurdin, während sie abtransportiert wird – sie sei doch im Iran gefoltert und vergewaltigt worden. Die australische Regierungsbeamtin Clare Kowitz (Asher Keddie) bleibt hart: Wer aufbegehrt gegen das mitunter jahrelange Warten in einem australischen Auffanglager, hat seine ohnehin minimalen Aussichten auf ein Visum verspielt. Die Szene stammt aus der Netflix-Serie „Stateless“ („Staatenlos“), der einige Aufmerksamkeit gewiss ist allein wegen ihrer Co-Schöpferin Cate Blanchett („Babel“, „Blue Jasmine“).

 

Seit 2014 unterstützt die Oscar-Preisträgerin das UNHCR, die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen. „Australien war gastfreundlich, multikulturell – erinnert sich jemand an dieses Wort?“, fragte Blanchett im Februar im Rahmen der Berlinale, wo sie vor jungen Filmemachern auftrat. „Wir haben gefeiert, dass unsere Nation auf Immigration errichtet worden ist. Und heute? Iran hat über eine Million Flüchtlinge aufgenommen, während Australien über 800 diskutiert hat und wie man sie draußen hält. Uns hat interessiert, warum und wie sich das verändert hat, besonders die Traumata der Wachleute: Warum haben sie sich so rasant weg bewegt von demokratischen Prinzipien, von Geboten der Menschlichkeit?“

Schleichende Verhärtung

Der Dokumentarfilm „Island of the hungry Ghosts“, 2019 zu sehen beim Stuttgarter SWR-Doku-Festival, hat schon gezeigt, wie Flüchtlingevor der indonesischen Küste in Lagern festsitzen, auf unbestimmte Zeit und ohne Hoffnung, je das Festland zu erreichen. Dort spielt das fiktionale Seriendrama „Stateless“. Er beruht auf wahren Begebenheiten und beleuchtet die australische Flüchtlingspolitik mit einem Ensemble auf beiden Seiten des Lagerzaunes.

Weil eine gute Bezahlung winkt, wird der Familienvater Cam (Jai Courtnay) Wachmann und stellt bald fest, dass die Lagerinsassen wie Kriminelle behandelt werden. Eine schlagkräftige Kollegin und die Beamtin Kowitz verkörpern eine schleichende Verhärtung gegenüber Schutzsuchenden. Unter den Insassen ist der Afghane Ameer (Fayssal Bazzi), dessen gefährliche Flucht mit Frau und zwei Töchtern zunächst in Schlaglichtern zu sehen ist. Daneben treten weitere Flüchtlingsfiguren heraus, die auf unterschiedliche Art gegen die gefängnisähnliche Internierung protestieren.

Eine blonde Lagerinsassin

Unter ihnen ist die blonde Australierin Sofie Werner (Yvonne Strahovski), die unter Schizophrenie leidet und sich als deutsche Touristin ausgibt. Ihre Figur ist angelehnt an den realen Fall der deutschstämmigen Flugbegleiterin Cornelia Rau, die Mitte der Nullerjahre tatsächlich als illegale Migrantin eingestuft und zehn Monate lang in einem Lager festgehalten wurde. Auch Sofies Vorgeschichte wird erzählt: Sie fühlt sich von ihrer Familie missachtet und gerät in die Fänge der Coaching-Sektenführer Gordon und Pat Masters (Dominic West und Cate Blanchett), die fragile Menschen für ein paar ermutigende Worte nebst Tanz-Workshop zur Kasse bitten.

Der Verlust demokratischer Werte und Rechte und die Verrohung der Akteure sind inszeniert wie ein Thriller. Jede Sequenz spielt aufs Neue mit scheinbarer Normalität, hinter der sich Ungeheuerlichkeiten verbergen. Über manches kleine Logikloch – Ameers Überleben erscheint eher unwahrscheinlich – lässt sich deshalb hinwegsehen.

Großes Schauspiel

Zudem bietet „Stateless“ großes Schauspiel. Dominic West („The Wire“) gibt einen gespenstisch seifigen Charismatiker und Manipulator, der Sofie emotional knackt, und Yvonne Strahovki („Chuck“) gestaltet ihren Zusammenbruch als kleines Naturereignis, bei dem sie auf erschütternde Weise schluchzt und bebt. Cate Blanchetts Figur moderiert eine Sektenfeier, singt gerade „Let‘s get away from it all“, als ihr klar wird, dass zwischen Sofie und Gordon etwas nicht stimmt. Nur für einen Moment entgleisen ihr die Gesichtszüge, sie dreht den Rücken zum Publikum, wankt kurz und fängt sich dann, als wäre nichts gewesen – Weltklasse.

„Man hat mich der Liberalität bezichtigt“, sagte Blanchett in Berlin. „Und ich verstehe nicht, was falsch daran sein soll, liberal and menschlich zu sein. Ich bewundere, wie Flüchtlinge ihre Würde bewahren unter unmenschlichen Bedingungen. Das gibt mir Hoffnung für die Menschheit. Aber Hoffnung darf nicht passiv sein, dann wird sie zum Gift, sie muss ein Motor für Veränderung sein.“