IdeenwerkBW-Schwerpunkt Zukunft des Handels (1): Was nützt Vegetariern Werbung für Fleisch auf dem Smartphone? Digitale Anreize für den stationären Handel müssen präziser gesetzt werden, sagt Eva Stüber, Fachfrau für Digitalisierung im Handel und Innovationen am Institut für Handelsforschung (IFH).

Stuttgart -

 

Frau Stüber, gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen Multi-, Cross- und Omnichannel oder sind das nur andere Ausdrücke für ein und dieselbe Sache?

Die Begriffe werden oft fälschlicherweise gleichgesetzt oder durcheinandergebracht: Multichannel heißt lediglich, dass ein Händler stationäre Geschäfte und einen Online-Shop unter derselben Marke betreibt. Crosschannel geht einen Schritt weiter: Dabei sind die unterschiedlichen Verkaufskanäle auch mit Services verbunden. Der Kunde kann zum Beispiel im Online-Shop prüfen, ob ein bestimmtes Produkt in der Filiale vorrätig ist. Beim Omnichannel ist der Kanalgedanke dann komplett aufgehoben.

Wie sieht diese ideale Verknüpfung von stationärem und Online-Geschäft aus?

Der Kunde sollte die volle Auswahl haben: stationär oder online informieren; hier oder da erwerben; im Laden kaufen, aber liefern lassen oder zurückschicken. Dafür braucht der Händler große Servicekapazitäten und auch viele Informationen von seinen Kunden.

Wie weit ist der deutsche Einzelhandel dabei?

Omnichannel existiert in Deutschland praktisch noch nicht. Auch bei den beiden Vorstufen ist die Durchsetzung überschaubar. Gerade hat eine Untersuchung von uns ergeben, dass lediglich 71 Prozent der 100 Top-Multichannel-Händler in Deutschland gleichzeitig auch Crosschannel-Händler sind, also einen verbindenden Service anbieten. Ein solcher Service ist zum Beispiel Click Collect, bei dem der Kunde etwas im Netz reserviert (Click) und dann selbst im Laden abholt (Collect).

Eva Stüber: Big Data macht den Unterschied

Wie weit hat sich das bei den Kunden durchgesetzt?

Auch das haben wir untersucht: Es können überhaupt nur 13 Prozent der Online-Nutzer etwas mit dem Begriff anfangen. Dieser Wert ist in den vergangenen beiden Jahren auch nur um drei Prozentpunkte gestiegen. Eine Reihe von Startups entwickelt Ideen für sogenannte Location Based Services. Das sind standortbezogene Dienste, die den Nutzer einer App orten, um ihm möglichst passgenaue Informationen oder Gutscheine zuzusenden.

Wie erfolgversprechend sind diese Dienste?

Das kommt ganz darauf an, welchen Mehrwert der Konsument daraus zieht. Das Prinzip funktioniert nur, wenn ein Unternehmen weiß, wen es anspricht und für welche Inhalte sich dieser potenzielle Kunde interessiert. Stellen Sie sich vor, Sie laufen an einer Metzgerei vorbei und erhalten in dem Moment eine Eilnachricht aufs Smartphone: „Schweinenackensteak heute für Sie im Angebot!“ Nun sind Sie aber vielleicht Vegetarier. Damit läuft die Botschaft ins Leere. Das US-Unternehmen Shopkick bietet eine ähnliche Einkaufs-App in seiner Heimat erfolgreich an, hat sich aber nach kurzer Zeit wieder aus dem deutschem Markt zurückgezogen.

Digitale Zurückhaltung: Eine deutsche Mentalität?

Sind wir noch nicht reif für diese Form der digitalen Anreize?

Die Deutschen sind durchaus zurückhaltender als Kunden in anderen Ländern. Das wird auch noch dadurch verstärkt, dass einfach zu viele Inhalte ausgespielt werden, die Konsumenten als irrelevant empfinden. Die Daten im Hintergrund müssen noch viel besser aufbereitet werden, damit die Nachrichten zielgerichteter versendet werden können.

Und was wünschen sich die Kunden?

Das ist in der Tat die spannende Frage. Momentan beschäftigen sich viele Händler eher mit der Verknüpfung der Kanäle und dem Einsatz neuer Technologien. Dabei geraten Kunden und ihre Bedürfnisse leider etwas aus dem Blick. Bevor ein Einzelhändler über technische Innovationen nachdenkt, sollte er seine „Hausaufgaben“ gemacht haben. Was bringt es ihm zum Beispiel, wenn er neben dem Online-Shop auch ein stationäres Geschäft eröffnet, aber der Laden unordentlich ist und das Personal inkompetent oder unfreundlich? Große Ketten können sich Investitionen in die stationäre oder digitale Infrastruktur leisten.

Was können kleine Händler tun, um nicht abgehängt zu werden?

Sie haben es in der Tat schwer. Wer einen Online-Shop eröffnet, egal wie groß oder klein er ist, muss sich in den meisten Fällen mit Amazon messen. Der Platzhirsch macht seinen Job aus Serviceperspektive erstklassig. Daher sind die Ansprüche der Kunden, wenn sie sich für einen anderen Online-Shop entscheiden sollen, hoch. Ein weiteres Problem ist, dass manche Händler viel Geld für einen Online-Shop ausgeben, es dann aber nicht schaffen, ihn bekannt zu machen. Oft wissen die Kunden nicht, ob das Geschäft, in dem sie ein Produkt gekauft haben, überhaupt einen Online-Shop hat.

Handelsexpertin Eva Stüber

Eva Stüber promovierte über die „Personalisierung im Internethandel“ und ist Mitglied der Geschäftsleitung des Instituts für Handelsforschung Köln. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Fragestellungen des Cross-Channel-Managements sowie der Digitalisierung im Handel und Innovationen.