Seit mehr als 20 Jahren erfasst das Bundeskriminalamt die politisch motivierten Straftaten in einer eigenen Statistik. Die fällt in diesem Jahr besonders alarmierend aus.

Berliner Büro: Rebekka Wiese (rew)

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat im vergangenen Jahr so viele politisch motivierte Straftaten erfasst wie noch nie. Das geht aus den bundesweiten Fallzahlen hervor, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser und BKA-Präsident Holger Münch am Dienstag in Berlin vorgestellt haben. Seit 2001 wertet das BKA die Zahlen jährlich aus, mit 58 916 erfassten politischen Straftaten waren es im Jahr 2022 mehr denn je – und gut sieben Prozent mehr als im Vorjahr. BKA-Präsident Holger Münch warnte vor „Radikalisierungstendenzen“, die in Teilen der Bevölkerung bestehen würden. Zum ersten Mal fielen die meisten der erfassten Fälle in den Bereich, das BKA als „nicht zuzuordnen“ registriert. In dieses Feld fallen Delikte, die im Zusammenhang mit der Coronapandemie oder der aktuellen Inflation und den hohen Energiepreisen stehen – zum Beispiel Gewalt, die auf den Demonstrationen von Querdenkern und ähnlichen Gruppen stattfindet. 24 080 Straftaten aus diesem Bereich zählte das BKA, fast 13 Prozent mehr als 2021. Das ist mehr als ein Drittel aller registrierten politisch motivierten Delikte.

 

Mehr Straftaten durch rechte Täter

„Ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Konflikte“

„Der Jahresanfang 2022 war noch geprägt von der Coronapandemie“, sagte Innenministerin Faeser bei der Vorstellung der Zahlen. Nun seien es die Folgen des russischen Angriffskriegs, die sich auf die Gesellschaft auswirken würden, so Faeser weiter. „Die politisch motivierte Kriminalität ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Konflikte in unserem Land.“ Ähnlich viele rechtsmotivierte Straftaten erfassten die Behörden zudem. Sie stiegen um sieben Prozent an, insgesamt registrierte das BKA 23 493 Fälle. Auf dieses Feld entfielen auch die meisten Opfer von politisch motivierter Gewalt. 41 Prozent von ihnen wurden von rechtsmotivierten Täterinnen und Tätern verletzt – mit Abstand die größte Gruppe. Auch die Gewalttaten gegen Flüchtlinge nahmen laut den Fallzahlen zu. Es waren neun Prozent mehr als 2022, das BKA zählte 1420 Straftaten. Die Zahl der Straftaten, die sich gegen Asylunterkünfte richteten, stieg sogar um 67 Prozent.

67 Prozent mehr Straftaten gegen Asylunterkünfte

Auf der Pressekonferenz äußerte sich Faeser auch zu den Vorfällen, die sich am vergangenen Wochenende in Brandenburg ereignet hatten. Dort musste eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus Berlin vorzeitig eine Klassenfahrt abbrechen, weil sie in ihrem Ferienlager rassistisch beleidigt und bedroht worden sein sollen. „Das, was in Brandenburg passiert ist, ist furchtbar“, sagte Faeser, „ich finde es schrecklich, dass diejenigen abreisen mussten, die angegriffen wurden.“ Dazu passen auch die Jahresbilanzen der Opferberatungsstellen für Betroffene antisemitischer, rechter und rassistischer Gewalt, die ihre Statistik ebenfalls am Dienstag in Berlin vorstellten. Sie sind in zehn Bundesländern vertreten. Auch sie erfassten für das Jahr 2022 mehr Vorfälle denn je. Sie zählten knapp 2100 rechts-, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe mit insgesamt fast 2900 Opfern.

Mehr Fälle bei Opferberatungsstellen

Ukraine-Krieg zeigt politische Folgen

Unter den BKA-Zahlen gibt es noch einen Bereich, der in diesem Jahr besonders auffällt: die Straftaten aus dem Feld ausländischer Ideologie. Dieser fiel zwar mit knapp 3900 erfassten Fällen im Vergleich zur rechtsmotivierten Kriminalität vergleichsweise gering aus. Allerdings ist hier ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr zu sehen: um gut 237 Prozent. Die Zahl ist zu großen Teilen auf die politischen Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine zurückzuführen. Mehr als 72 Prozent der erfassten Fälle stehen in diesem Zusammenhang. Die linksmotivierten Straftaten gingen 2022 hingegen zurück: um 31 Prozent auf 6976 erfasste Fälle. Das ist in den vergangenen Jahren mit Abstand der niedrigste Stand. Darunter machten sich allerdings die Protestaktionen von Klimabewegungen wie der Letzten Generation bemerkbar. Im Zusammenhang mit Klima und Umweltschutz zählten die Polizeibehörden 2022 fast 73 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr, 1716 waren es insgesamt. Fast 1400 davon stufte das BKA als linksmotiviert ein.

Letzte Generation macht sich bemerkbar