Aktionsbündnis geht von jährlich 17.000 Todesfällen durch ärztliche Behandlungsfehler aus.

Berlin - Deutlich mehr Klinik- und Praxis-Patienten sind binnen eines Jahres wegen Problemen bei der medizinischen Behandlung ums Leben gekommen. Nach der jüngsten Erhebung des Statistischen Bundesamtes stieg die Zahl der gestorbenen Patienten im Jahr 2010 um mehrere hundert auf 1634. Im Jahr zuvor waren es 1189 Tote. Der Trend beruht laut Experten aber auch auf einer gründlicheren und veränderten statistischen Erfassung. Die Grünen warfen der Bundesregierung vor, zu wenig gegen die Gefahren durch Ärztefehler oder mangelhafte Medizinprodukte zu tun.

 

Einig sind sich auch die Experten in einem: Die Dunkelziffer ist hoch. Insgesamt sterben nach unterschiedlichen Studien zwischen 17.000 und mehreren 100.000 Menschen pro Jahr wegen Fehlern im Behandlungsverlauf allein in Deutschlands Kliniken, wie das Aktionsbündnis Patientensicherheit mitteilte. Probleme bei chirurgischen Eingriffen und Behandlungen wurden zuletzt 994 Menschen direkt zum tödlichen Verhängnis, wie sich aus der „Todesursachenstatistik“ des Bundesamts ergibt. Im Vorjahr waren es noch 551. In 649 Fällen waren solche Zwischenfälle Ursache einer späteren Komplikation, ohne dass sie zunächst bekannt wurden. Die in der schriftlichen Fassung genannten Gesamtzahlen liegen zum Beispiel für 2010 bei 1712, erfassen aber auch Menschen, die etwa infolge eines Autounfalls in der Klinik starben, wie der zuständige Statistiker sagte.

Mangelnde Desinfektion als eine der Hauptursachen

Als häufigste dieser Todesursachen werden laut „Bild“-Zeitung, die zuerst darüber berichtete, mangelnde Desinfektion (410 Fälle) und Komplikationen bei der Implantation eines künstlichen Gerätes (121) genannt. 61 Patienten seien wegen schlecht vernähten OP-Wunden gestorben, 53 weitere bei fehlerhaften Bypassoperationen oder Transplantationen. 47 Menschen kamen durch versehentliche oder unbeabsichtigte Schnitte bei Operationen ums Leben. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, das mit diesen Angaben eine Frage der Grünen-Abgeordneten Maria Klein-Schmeink beantwortet hatte, sagte: „Wir fördern die neue Fehlerlernkultur in der Ärzteschaft mit dem Patientenrechtegesetz.“ Klein-Schmeink kritisierte, die Pläne seien enttäuschend. Nötig sei ein Register mit allen Daten zu medizinischen Fehlern. „Sie müssen so ausgewertet werden, dass sie für Behandler und Patienten einen Erkenntniswert haben.“ Die „Todesursachenstatistik“ zeige nur die Spitze eines Eisbergs, sagte der Geschäftsführer des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Hardy Müller. Viele Todesfälle würden nirgends erfasst. Der Anstieg sei nicht überraschend - allein schon deshalb, weil es immer mehr öffentliche Aufmerksamkeit für medizinische Fehler gebe.

Müller warnte zugleich vor einer Skandalisierung. „Das erschwert die begonnene Entwicklung einer stärkeren Vertrauenskultur zwischen Ärzten und Patienten.“

Auch Hintergründe müssten beleuchtet werden. Der Bundespatientenbeauftragte Wolfgang Zöller (CSU) sagte der „Saarbrücker Zeitung“ (Freitag), der Anstieg sei auch auf eine verbesserte Dokumentationspraxis zurückzuführen. Patienten sollten sich über die „Weiße Liste“ im Internet vorher genau über die Hygiene-Zustände in einer Klinik informieren. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagte der dpa, der vermeintliche Trend einer Zunahme tödlicher Fehler sei ein rein statistisches Phänomen. Fälle wie ein Keimausbruch mit drei toten Frühchen in Bremen aus dem vergangenen Jahr und der Tod dreier Babys in der Mainzer Uniklinik 2010 zeigten zudem: „Mangelnde Desinfektion ist kein Arztfehler, sondern ein Strukturfehler.“ Man müsse die Zahl tödlicher Fehler auch im Verhältnis sehen zu den 17,8 Millionen Behandlungen in den Krankenhäusern im Jahr.

Der Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, sagte hingegen: „Montgomery sollte sich vor Relativierungen hüten, denn im Straßenverkehr gibt es die 17,8 Millionen Kontakte in der Minute. Niemand käme auf die Idee, die 3800 Verkehrstoten im Jahr damit ins Verhältnis zu setzen.“