Verdi hat in diesem Jahr bisher die meisten Tarifkonflikte geführt – bis hin zum Arbeitskampf bei der Post. Die hohe Streikintensität aller Gewerkschaften ist auch auf die zunehmende Komplexität der Tarifwelt zurückzuführen, meint Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Auf eines ist bei allen Gewerkschaften Verlass: in der Urlaubsphase wird nicht gestreikt. Es ist ja kaum jemand da zum Mitmachen. Bei der Bahn haben die Tarifparteien daher noch rechtzeitig einen Abschluss gefunden, da wirkten die Sommerferien eher befriedend. Dumm jedoch, wenn dies vorher nicht mehr möglich war – so wie bei der Lufthansa oder im kommunalen Erziehungsdienst. In den Kitas muss Verdi im Oktober mühsam den nächsten Anlauf organisieren.

 

Tarifverhandlungen werden immer langwieriger und oft auch konfliktreicher geführt. Das hat diverse Gründe: Wegen der Spartengewerkschaften wird das Tarifgeflecht zunehmend intransparent. Paradebeispiel ist der Luftverkehr, wo sich etliche Organisationen Konkurrenz machen und gegenseitig anstacheln. Ob das Gesetz zur Tarifeinheit im Betrieb die Rivalitäten eindämmt, wird sich zeigen. Jedenfalls muss sich Verdi weiterhin sorgen, dass sich kampfstarke Beschäftigtengruppen loslösen könnten. Dies verstärkt den Druck, schon vorher mehr für sie herauszuholen.

Nicht alles Weselsky und Bsirske anlasten

Wenn es lediglich um Lohnforderungen ginge, wären die Tarifkonflikte zügiger beendet. Stattdessen werden die Sachverhalte komplizierter. Darüber hinaus erheben die Arbeitgeber immer drastischere Gegenforderungen: Die Lufthansa bemüht sich genauso wie die Post um eine Auslagerung des Kerngeschäfts, um die Personalkosten drastisch zu drücken. Die Gewerkschaften versuchen, mit tarifpolitischen Mitteln darauf zu reagieren, was die Konflikte noch undurchschaubarer macht. In jedem Fall sehen sie in derlei Vorstößen eine prinzipielle Bedrohung, so dass ihr Widerstand besonders hartnäckig ist. Die IG Metall hat es leichter. Sie schützt sich vor nachhaltigen Arbeitgeberattacken mit frühzeitigen Streikwarnungen – ihr Drohpotenzial lässt Eskalationen noch im Keim ersticken.

Das Streikaufkommen ist hoch in diesem Jahr. Diese Intensität vor allem Arbeiterführern wie Claus Weselsky (GDL) oder Frank Bsirske (Verdi) anzulasten wäre somit nicht sachgerecht, denn schlichte Tarifstrategien sind in der immer komplexeren Arbeitswelt nicht mehr gefragt. Den Gewerkschaften bleibt mitunter gar nichts anderes übrig, als sich mit großer Beharrlichkeit der Konfrontation zu stellen.