Landkreise, Industrie- und Handelskammer, Stadt Stuttgart und Region wollten an einem Strang ziehen, um die Verhältnisse auf den Straßen, Schienen und dem Neckar zu verbessern: Doch jetzt ist die Region ausgestiegen.

Region Stuttgart - Bei der Bundesregierung mehr Geld für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in der Region Stuttgart loszueisen – das war das erklärte Ziel einer großangelegten Initiative auf Anregung der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (IHK) und des Ludwigsburger Landrats Rainer Haas. Nach monatelangen Verhandlungen hinter den Kulissen ist der Plan, die Landkreise Esslingen, Göppingen, Böblingen, Ludwigsburg und Rems-Murr, die Stadt Stuttgart und den Verband Region Stuttgart auf eine gemeinsame Prioritätenliste für Projekte einzuschwören, jedoch gescheitert. Besiegelt hat das Aus ein Schreiben des Regionalpräsidenten Thomas Bopp und der Regionaldirektorin Nicola Schelling an die Partner: „Im Gegenzug müssen wir um Verständnis bitten, dass wir keine Liste mittragen können, die hinter der Beschlussfassung unserer Gremien zurückbleibt“, heißt es in dem Brief, der unserer Zeitung vorliegt. Noch im November hatten alle Beteiligten Optimismus versprüht. „Wir müssen angesichts der Verkehrslage aktiv werden“, sagte Bopp damals. Es gehe darum, die Stimme der Region in Berlin zu stärken.

 

Die Maßnahmenliste sollte möglichst kurz sein

Der Hintergrund ist, dass die Fördermittel des Bundes immer knapper werden – und viele Gegenden der Republik um Gelder buhlen. Zudem übersteigen aus heutiger Sicht – trotz des restriktiven Kurses des Landesverkehrsministers Winfried Hermann (Grüne) – die vom Land in Berlin angemeldeten Projekte für den Straßen- und Schienenausbau schon jetzt bei weitem die in Aussicht gestellten Finanzierungsbeiträge. Deshalb sollte – so der Plan der regionalen Initiative – die lange Wunschliste auf möglichst wenige Projekte gekürzt werden, um deren Realisierungschancen zu erhöhen.

Übrig geblieben sind nach langen Debatten dem Vernehmen nach folgende Vorhaben: der Ausbau der A 8 mit dem Albaufstieg bei Mühlhausen im Kreis Göppingen, der Ausbau der A 8 südlich von Stuttgart zwischen Leonberg und Wendlingen, der Ausbau der A 81 bei Sindelfingen, der Ausbau der A 81 zwischen Pleidelsheim und Stuttgart-Zuffenhausen, der Ausbau der B 27 zwischen Aichtal und dem Echterdinger Ei auf den Fildern (Kreis Esslingen), der Ausbau der B 10 im Filstal, der Ausbau der B 10 bei Münchingen samt der Ortsumfahrung Enzweihingen im Kreis Ludwigsburg sowie der Ausbau der B 14 bei Backnang und die Ortumfahrung Oppenweiler im Rems-Murr-Kreis. Auf der Liste auch: der Ausbau der Gäubahn und der Ausbau der Neckarschleusen.

Nordostring und Filderauffahrt fehlen

Doch dem Verband Region Stuttgart (VRS) ist dies zu wenig. „Wir unterstützen die aufgeführten Projekte, denn sie sind von der Beschlusslage der Regionalversammlung erfasst“, schreiben der Regionalpräsident Bopp und die Regionaldirektorin Schelling. „Wir haben aber darauf hingewiesen, dass zwei der für den regionalen Verkehr wichtigsten Projekte nicht in dieser Liste enthalten sind.“ Gemeint sind damit der Nordostring als Achse zwischen Ludwigsburg und Waiblingen sowie die Filderauffahrt bei Hedelfingen und Heumaden auf Stuttgarter Gemarkung.

Auf Anfrage wirbt Thomas Bopp um Verständnis für seine Haltung. Da die Neuaufstellung des Regionalverkehrsplans anstehe, habe man im Moment nicht hinter alte Beschlüsse der Regionalversammlung zurückfallen können. Darauf hätten die Fraktionen Wert gelegt, so der Regionalpräsident. Der von der Region angebotene Kompromiss, nur den Ausbau der Autobahnen aufzunehmen, sei von den Kreisen nicht akzeptiert worden. Unabhängig davon, argumentiert Bopp, seien „Wallfahrten nach Berlin ohnehin zweifelhaft im Blick auf einen Erfolg“.

Die Partner sind schwer verärgert

Tatsächlich war geplant, die gemeinsame Liste bei Gesprächen mit dem Bundesverkehrsministerium und wichtigen Bundestagsabgeordneten zu hinterlegen. Ob dies nun noch sinnvoll ist, ist fraglich. Die Partner jedenfalls sind schwer verärgert. „Wir bedauern außerordentlich, dass die Region ausschert“, sagt der IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter. Die Haltung des Regionalverbandes sei unverständlich und „nicht akzeptabel“.

Das sieht man auch in den Landratsämtern in der Region so. Alle seien, betonen die Landräte einhellig, bereit gewesen, Abstriche zu machen, um den Konsens und die Wirkung der Liste nicht zu gefährden. So hätte beispielsweise der Rems-Murr-Landrat Johannes Fuchs gerne den Ausbau der Landesstraße zwischen Backnang und Mundelsheim auf der Liste gesehen – und besagte Achse zwischen Ludwigsburg und Waiblingen. „Im Interesse des gemeinsamen Erfolgs haben wir aber darauf verzichtet“, so Johannes Fuchs.

Berlin-Reise ohne die Region?

Offen ist nun, inwieweit die Partner ohne den Verband Region Stuttgart in Berlin vorstellig werden. „Das können wir uns sparen“, meint der Ludwigsburger Landrat Rainer Haas. Es bestehe die Gefahr, „dass uns der Minister nach Hause schickt und sagt: Einigt euch erst mal!“ Sein Esslinger Kollege sieht das anders. Er würde es „sehr bedauern, wenn Stadt und Landkreise nicht mit diesem geeinten Papier nach Berlin fahren würden, um dort im Schulterschluss ihre Anliegen vorzutragen“, lässt Heinz Eininger ausrichten.

Dem Vernehmen nach hätte auch der Landesverkehrsminister Hermann die Initiative unterstützt. Von seiner Pressestelle war jedoch trotz dreitägigen Vorlaufes keine Stellungnahme zu erhalten.

Es geht auch anders

ÖPNV-Pakt
: Vor nicht allzu langer Zeit schien sich die Ära des Gezänks zwischen dem Verband Region Stuttgart (VRS) und den Landkreisen dem Ende zuzuneigen. Im vergangenen Frühjahr einigten sich Kreise, Stadt Stuttgart, Land und VRS auf einen Pakt für den Nahverkehr in der Region Stuttgart, genannt ÖPNV-Pakt. Als maßgeblich für die Einigung galt die Vermittlung durch den Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne).

Maßnahmen:
Als wichtigster Durchbruch beim ÖPNV-Pakt wurde die Einigung bei der künftigen Gestaltung des Busverkehrs bewertet. Lange Zeit war strittig gewesen, wer für die „Allgemeine Vorschrift“ zuständig ist, die die wesentlichen Eckpunkte des Wettbewerbs im Omnibuswesen festschreibt. Hermann erreichte einen Kompromiss: Der VRS setzt die Regeln fest – allerdings im Einvernehmen mit den Landkreisen. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Schaffung zusätzlicher Direktbuslinien, die das S-Bahn-Netz ergänzen und entlasten sollen.

Kommentar: Schwerer Rückschlag

Kommentar (Achim Wörner) - Die Verkehrsmisere in der Stauregion Stuttgart ist offenkundig. Klar ist auch, dass die Mittel des Bundes zum Ausbau des Straßennetzes in Zukunft begrenzt sein werden. Und so ist es kein Wunder, dass unter den maßgeblichen Protagonisten der Regionalpolitik – dem Verband Region Stuttgart, der Stadt Stuttgart und den Landkreisen im Verbund mit der Industrie- und Handelskammer – Einigkeit darin herrscht, dass es ein geschlossenes Auftreten braucht, um in Berlin auch nur die allerwichtigsten Projekte durchzubringen. Umso überraschender mutet es nun an, dass diese Initiative ausgerechnet der Regionalverband hat platzen lassen. Er richtet damit einen erheblichen Flurschaden an, der weit über die Entscheidung in diesem Einzelfall hinausreicht.

Partner fühlen sich zu Recht brüskiert

Zu frisch sind die Erinnerungen an den erbitterten Streit zwischen den Landkreisen und der Region um Kompetenzen. Mit dem vom Landesverkehrsminister Winfried Hermann klug eingefädelten Kompromiss beim Pakt für den öffentlichen Nahverkehr schien der Weg frei für eine neue, an übergeordneten Interessen ausgerichtete Allianz der früheren Kontrahenten. Die Absage der Region an ein gemeinsames Verkehrspapier ist nun ein schwerer Rückschlag im Bemühen darum, den Ballungsraum am Neckar gemeinsam weiterzuentwickeln. Die Partner – einschließlich des erneut involvierten Hermann, der IHK als Initiatorin und die Stadt Stuttgart – fühlen sich zu Recht brüskiert, weil alle bereit waren, bei ihren ureigenen Prioritäten Abstriche zu machen und zudem das Veto des Verbandes erst zum Schluss kam. Das Vertrauen, das zuletzt unter allen regionalpolitisch Aktiven gewachsen war: es hat mehr als nur einen Dämpfer erhalten.

Auch in Berlin dürfte aufmerksam registriert werden, dass in der Region Stuttgart bei elementaren Fragen keine Geschlossenheit herrscht. Und gewiss ist: die Chancen, beim Kampf um Zuschüsse für den Ausbau der Infrastruktur erfolgreich zu sein, erhöht das mit Sicherheit nicht.