Da es in der Corona-Krise keine neuen Partys mehr gibt, erfreut man sich im Netz umso mehr an alten Eskapaden. Die 1977 in Stuttgart eröffnete Boa liefert Stoff für endlose Erinnerungen. Chef Werner „Sloggi“ Find schreibt ein Buch darüber.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Mit einem Buch über die Boa, glaubt DJ Steffen Eifert, der seit 1982 auflegt, könne Werner „Sloggi“ Find, der 1977 Stuttgarts älteste Disco gegründet hat, gutes Geld verdienen: „Vor allem durch die Anekdoten, die er weglässt.“ Stark, die alte Schlange! Was in den 43 Jahren seit Eröffnung an der Tübinger Straße unter den blauen Seilen geschehen ist, die von der Decke hingen und die wie Schlangen aussahen, wer da alles in den Seilen hing, bietet mehr Stoff, als in ein Buch passt – und manches verträgt das Schnaufen nicht.

 

„Das Manuskript ist fertig“, sagt Find, „jetzt beginnt gerade der Feinschliff.“ Geplant war, das Buch Mitte des Jahres herauszubringen. Doch in diesen sonderbaren Zeiten kann alles auch anders werden. Woran sich der Chef besonders gern erinnert? „Die Anfangszeit war total verrückt, aber ansonsten war jedes Jahrzehnt toll“, antwortet der Gründer. Heute liebt der 68-Jährige seine Partyreihe „Boa goes...“, bei der es raus geht an wechselnde Orte mit Stammgästen von einst, etwa in die Alte Reithalle oder ins Porsche-Museum. Diese Partys, die keine Altersgrenze kennt, machen ihm „Riesenspaß“.

Die Tür ist die Machtzentrale jeder Diskothek

Weil Partys in der Corona-Krise ausfallen, sind jetzt alte Partyfotos in den sozialen Medien der Renner. Wer in der Stay-at-home-Challenge nominiert wird, muss in seinen Fotokisten kramen. Diese sind auch bei Sloggi voll. 1977 war die Disco-Welle auf ihrem Höhepunkt. In den USA erschien der Tanzfilm „Saturday Night Fever“. In Manhattan eröffnete das Studio 54 und in Stuttgart die Boa, in der bis heute Cross-over gespielt wird, Tanzbares aus den Charts.

Seinen Spitznamen verdankt Find seiner Abneigung gegen Feinripp der Marke Sloggi. In den ersten Jahren stand der Chef selbst vor der Boa-Tür, wo sich die Machtzentrale jeder Diskothek befindet. „Damals“, erzählt Find, „waren wir noch sehr streng.“ Wenn ihm die Turnschuhe (Ende der 70er völlig tabu!) oder auch nur die Nase eines um Einlass Bettelnden nicht passte, war nichts zu machen. Einmal, erinnerte sich Find, habe ein abgewiesener Angeber einen Bündel mit Hundertmarkscheinen gezückt. Sloggi blieb dennoch stur.

Der Mann eilte wütend davon, um wenig später noch viel auffälliger zurückzukehren. „Er fuhr mit einem goldenen Porsche vor und setzte seine Beschimpfungen aus dem Auto fort.“

Das rothaarige Bürschchen hieß Boris Becker

Als Türsteher hat Sloggi den Umgang mit Menschen gelernt und sich so fürs Leben stark gemacht. Niemals vergessen wird er, wie Anfang der 1980er mal einer seiner Tenniskumpels vor der Boa ein gutes Wort für ein rothaariges Bürschchen einlegte, der unmöglich schon sechzehn war und deshalb draußen bleiben musste. Das Bürschchen hieß Boris Becker.

Später hat die Boa noch viel mehr Stars verschlungen. Von Thomas Gottschalk über Prinz Albert aus Monaco bis zur Spyder Murphy Gang und das französische Fußballnationalteam - es gab Zeiten, da gingen Promis liebend gern an der Menschenschlange vorbei in die Boa.

Heute kommen die Kinder der Tänzer und Fußballspieler

Schon früh, sagt der Gründer, habe man sich von „der Schickimicki-Zone fortbewegt“ und sei „normal“ geworden. Es trafen sich ja auch so unterschiedliche Cliquen hier, etwa Balletttänzer oder Fußballspieler. Mittlerweile kommen Töchter und Söhne der Balletttänzer oder Fußballspieler. Genau dies dürfte das Erfolgsrezept sein: sich nicht auf ein Publikum festzulegen. Nur an Techno-Fans hat sich die Boa nie so recht gewagt. Für Sloggi war’s kein Fehler.

Es geht nicht ohne Trends - aber auf jeden Zug muss man auch nicht springen. Dies könnte Boas Botschaft sein. Von Zeit zu Zeit häutet sich eine Schlange. Wie sie’s an der Tübinger Straße tut, sagt auch viel über den Zeitgeist aus. Mit zwei Freunden hatte Sloggi im Januar 1977 die Boa eröffnet, die als „neue Superdiscothek“ in den Zeitungen gefeiert wurde. Der eine Freund lebt nicht mehr, der andere ist auf Ibiza gestrandet.

Sportstars sollten draußen bleiben – sie trugen Turnschuhe

„Die blauen Plastikseile als Deko waren der Hammer“, schreibt Bert Schäfer auf der Facebook-Seite des Geschichtsprojekts „Stuttgart-Album“. Andreas Gorr erinnert sich. „Unvergesslich war eine Nacht während der Leichtathletik-WM 1993: Hab mit anderen Sportstudenten im Athletendorf gearbeitet. Als kunterbunte Gruppe aus fünf bis sechs Nationen haben wir einen Ausflug in Stuttgarts Nachtleben unternommen. Wäre fast am Türsteher gescheitert, da bis auf die deutschen Athletendorf-Helfer alle in Turnschuhen und Trainingsanzügen unterwegs waren. Nach kurzer Rücksprache mit der Geschäftsführung durften dann doch alle problemlos rein. Ich glaube, Stuttgart hat damals einen guten Eindruck und bleibende Erinnerungen in der ganzen Welt hinterlassen.“

Jetzt soll es Boa-Gäste von einst geben, die zittern, was Sloggi in seinem Buch über Stuttgarts Disco-Dino über sie schreiben könnte. Andere wiederum wären beleidigt, wenn sie nicht erwähnt werden.