In der bizarren Comicwelt von „Steam Noir“ wird es grimmig. Die Seelen Verstorbener sollen von Säuberungskommandos endgültig und ohne Gnade ausgelöscht werden.

Stuttgart - Und wenn die ganze Welt in Scherben fällt? Diese zivilisationskritische Frage beantwortet die Comicreihe „Steam Noir“, die vom Ludwigsburger Team Benjamin Schreuder und Felix Mertikat erdacht wurde, relativ gelassen. Hier ist zwar eine Welt in Scherben gefallen. Aber auf den einzelnen Trümmerstücken lässt sich’s noch relativ behaglich leben. Schollen heißen diese Planetenbrocken, und sie treiben in einem Äther genannten Medium.

 

Ärger macht allerdings eine spezielle Scholle, Vineta, das Totenreich. Je näher Vineta auf ihrem Kurs durch den Äther an eine bewohnte Scholle heranrückt, desto mehr Naturkatastrophen treten auf, desto mehr Seelen wechseln zurück in die Gefilde der Lebenden und sorgen dort für massive Verzerrungen der Realität. Die wirken sich in „Steam Noir“ aus wie radioaktive Verstrahlungen in alten Science-Fiction-Filmen: die Palette reicht von massiven Verbrennungen bis zu bizarren Radikalumbauten der Opfer. Im ersten Band, 2011 erschienenen Band von „Steam Noir – Das Kupferherz“ läuft ein Mann mit einem alten Wasserkessel als Kopf herum.

Fantastik mit Dampfkraft und Uhrwerk

Alte Techniken und Gerätschaften spielen überhaupt eine große Rolle in „Steam Noir“. Wir befinden uns schließlich in einer Steampunk-Welt, also in einer, die ganz anders durchs Weichenfeld der Technikgeschichte gerumpelt ist als unsere Realität. Dampfkraft und Uhrwerke liefern hier weiterhin die Energie auch für fortgeschrittene Gerätschaften.

Was Felix Mertikat für Band 1 von „Steam Noir – Das Kupferherz“ gezeichnet hatte, bezog sich aber gar nicht zuallererst auf den reichen angelsächsischen Steampunk-Fundus.In Bildern und Geschichte steckte, wie schon in Schreuders und Mertikats erstem Projekt „Jakob“, vorne und hinten das deutsche Kaiserreich von dunnemals und die romantische deutsche Literatur, die Spuk- und Künstlergeschichten von E.T.A. Hoffmann etwa. Außerdem wurde das Beste der franko-belgischen Comictradition aufgegriffen.

Zu viel Arbeit für den Bizarromanten?

Viele Leser und Kritiker waren verzückt. Ein wenig verwirrt und beunruhigt waren sie aber auch. Denn was es genau mit der Geschichte auf sich hatte, wurde nicht so klar in diesem ersten Band, in dem der Bizarromant (eine Art Geisterjäger) Heinrich Lerchenwald zusammen mit der Tatortermittlerin Frau D. und dem Maschinenmenschen Richard Hirschmann eine verirrte Seele, den Leidensort eines offenbar lebendig eingemauerten kleinen Mädchens und einen selbstgefälligen Meister der Prothesenmedizin findet. Auf vier Bände war „Das Kupferherz“, das erste Abenteuer im Steam-Noir- Universum, angelegt. Mancher Leser fragte sich, obwohl in diesem gemächlichen Tempo, in dieser viel auf Atmosphäre setzenden Erzählweise alles Nötige in den folgenden drei Bänden entwickelt und erklärt werden könnte.

Steam Noir Band 2: Holocaust in der Ätherwelt

Nun ist Band Zwei von „Steam Noir – Das Kupferherz“ erschienen, für den nicht mehr Benjamin Schreuder mit Mertikat die Geschichte weiterentwickelt hat, sondern Verena Klinke. Außerdem koloriert Mertikat seine Zeichnungen nicht mehr selbst, sondern hat Jakob Eirich diese Aufgabe übertragen. Unterschiede bemerkt man durchaus: der Band ist plotgetriebener, die Bilder sind düsterer geworden, was mit dem Inhalt korrespondiert. Lerchenwald etwa überwirft sich mit seinen Vorgesetzten, als ihm klar wird, dass aus dem Auftrag des Auffindens und Erforschens der Seelen einer der Vernichtung geworden ist.

Spannende Widersprüche

Allerdings zerrt Band 2 nach zwei Richtungen hin auseinander. Der Seelenvernichtungsbefehl, die Säuberungskommandos, der Sprachgebrauch vom Ghetto, in das man Seelen bisher verbracht habe, weckt Holocaust-Assoziationen.Die gesamte Steam-Noir-Welt wirkt um vieles unheimlicher als zuvor. Gleichzeitig wird das Spielerische an Mertikats Zeichungen ausgeprägter, pendeln manche Bilder ein wenig mehr zum Cartoonigen, zu etwas Gutmütig-Skurrilem, zu einem Augenzwinkern, dass man diese sehr seltsame Welt bitte nicht zu ernst nehmen solle.

Band 2 von „Steam Noir – Das Kupferherz“ steckt also voller spannender Widersprüche. Manches wird erklärt und vertieft, anderes noch rätselhafter. Man hält sich wieder sehr gerne auf in der Welt von Lerchenwald und Hirschmann, lässt die Augen wandern und die Gedanken auch mal hinter die nächste Ecke spazieren gehen. Aber das Gefühl verstärkt sich, dass am Ende von vier Bänden „Kupferherz“ nur angerissen sein wird, was man von dieser Welt alles erfahren möchte. Positiv gesagt: der Übergang von Benjamin Schreuder zu Verena Klinke macht zumindest vorstellbar, dass der Steam-Noir-Kosmos später einmal von immer wieder wechselnden Autoren und Zeichnern erkundet werden könnte.

Steam Noir – Das Kupferherz, Band 2. Cross Cult Verlag, Ludwigsburg. 64 Seiten, 16,80 Euro.