Vereine, Sponsoren, Medienberater, die Angst vor Beleidigungen im Netz: Kritikfreudige Sportler unterliegen vielen Einflüssen. Handball-Ikone Stefan Kretzschmar entfacht eine spannende Diskussion über die Meinungsfreiheit im deutschen Spitzensport.

Stuttgart - Stefan Kretzschmar (45) ist ein Typ. Einer mit Ecken und Kanten. Und mit einer klaren Haltung. Seine Meinung war auch vor der Handball-WM gefragt, an Interviews mit dem früheren Linksaußen (218 Länderspiele/821 Tore) und TV-Experten war schwerer vorbeizukommen als am Mittelblock des deutschen Nationalteams. Kretzschmar gab sich wie immer: eloquent, einfallsreich, erfrischend. Nur an einer Stelle entglitt ihm die Diskussion.

 

Auf die Frage, warum sich Profisportler denn so schwer tun würden, öffentlich Klartext zu reden, antwortete Stefan Kretzschmar: „Wir Sportler haben keine Meinungsfreiheit im eigentlichen Sinne, wir müssen immer mit Repressalien von unserem Arbeitgeber oder von Werbepartnern rechnen. Deswegen äußert sich heute keiner mehr kritisch.“ Dass Kretzschmar daraufhin von der AfD gefeiert wurde, weil er öffentlich angeprangert habe, dass in Deutschland die Meinungsfreiheit beschnitten werde, ist natürlich absurd. Und doch stellt sich die Frage: Was dürfen Sportler heute wirklich noch sagen?

Aus Sicht der Fußballer-Gewerkschaft VDV ist die Antwort klar: wenig. Viel zu wenig. „Die Vereine versuchen verstärkt, durch strenge Vorschriften in den Arbeitsverträgen, die öffentlichen Äußerungen der Spieler zu kontrollieren“, sagt VDV-Geschäftsführer Ulf Baranowsky, „Berufssportler müssen zwar Treue und Loyalitätspflichten gegenüber ihrem Arbeitgeber berücksichtigen. Doch auch für sie gilt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung.“

Womit Bundesligist VfB Stuttgart keine Probleme hat. Im Gegenteil. „Unsere Spieler sollen ihre Meinung vertreten“, sagt Pressesprecher Tobias Herwerth, „bei uns gibt es keine grundsätzlichen Verbote.“ Ein paar Regeln allerdings schon.

Die Profis müssen alle Medienaktivitäten mit dem Club besprechen, der sie auf Interviews vorbereitet und ihnen rät, in den sozialen Netzwerken nicht zu viel von sich preiszugeben. „Einerseits kenne ich keinen Fall, in dem sich einer unserer Spieler politisch oder religiös äußern wollte“, sagt Herwerth, „andererseits ist die Gefahr, in einen Shitstorm zu geraten, heute präsenter als noch vor einigen Jahren. Deshalb ist natürlich eine gewisse Vorsicht geboten.“ Das gilt übrigens auch für den Verein, der Neutralität als hohes Gut sieht: „Wir äußern uns grundsätzlich nicht zu politischen Themen. Wir werden unserer gesellschaftlichen Verantwortung am besten gerecht, wenn wir nicht Partei ergreifen.“

Eintracht-Präsident Fischer erhält Droh- und Hassnachrichten

Eine Position, die nicht alle in der Bundesliga teilen. Christian Streich, der Trainer des SC Freiburg, sammelt regelmäßig Punkte, indem er sich zu gesellschaftlich relevanten Themen äußert. Wie auch Peter Fischer. Der Präsident von Eintracht Frankfurt attackierte vor einem Jahr die AfD öffentlich: „Es kann niemand bei uns Mitglied sein, der diese Partei wählt, in der es rassistische und menschenverachtende Tendenzen gibt. Der Sport muss ganz klar politisch sein und seine Stimme gegen gesellschaftliche Fehlentwicklungen erheben.“ Das Ergebnis? War wenig überraschend. Fischer erhielt rund 1400 Droh- und Hassnachrichten („Nur tot bist du gut!“), und trotzdem kündigte er an, sich nicht einschüchtern zu lassen: „Ich werde weiter in der ersten Reihe stehen und Präsenz zeigen.“

Das fällt vielen Sportlern zunehmend schwer, diese Beobachtung macht nicht nur Stefan Kretzschmar. Dafür gibt es allerdings auch Gründe, die über die Angst vor unflätigen Kommentaren in den sozialen Netzwerken hinausgehen – vor allem die Abhängigkeit von Vereinen und Sponsoren. „Bei dem, was ein Sportler sagt, muss er natürlich auch deren Interessen und Werte berücksichtigen“, erklärt Bernhard Schmittenbecher, Medienberater von Markus Weinzierl, Fredi Bobic oder Manuel Neuer, „zu behaupten, die Meinungsfreiheit von Profisportlern sei eingeschränkt, ist sicherlich überzogen. Aber es hilft schon, den Kopf einzuschalten und sich zu überlegen, wie eine Äußerung am sinnvollsten ist.“ Grundsätzlich rät Schmittenbecher seinen Klienten, sich aus der Parteipolitik rauszuhalten. Gegen fundierte gesellschaftspolitische Aussagen gebe es aber nichts einzuwenden. „Es ist völlig in Ordnung, Klartext zu sprechen“, meint Schmittenbecher, „allerdings muss man sich immer bewusst sein, dass dies ordentlich Gegenwind bringen kann.“

Ist vor allem Vorsicht gefragt? Oder einfach nur mehr Mut?

Dennoch empfiehlt auch Jens Zimmermann seinen Athleten, stets authentisch und glaubwürdig zu sein. „Keiner muss sich verstecken, auch nicht die kritischen Geister“, sagt der Sportmanager, zu dessen Klienten die Weltmeister Johannes Rydzek (Nordische Kombination) und Frank Stäbler (Ringen) gehören. Deren Vorteil ist allerdings, dass sie weniger stark im Rampenlicht stehen. „Für den Fußball würde ich Stefan Kretzschmar mit seiner These von der eingeschränkten Meinungsfreiheit recht geben“, erklärt Zimmermann. „Dort geben die Medienabteilungen der Vereine die Leitplanken vor, filtern und steuern.“

Das tun allerdings nicht nur die Clubs sondern auch die Medienberater. Carsten Meyer kümmert sich um die VfB-Profis Ron-Robert Zieler und Andreas Beck, und für ihn ist klar: „Bei manchen Themen ist Zurückhaltung und Vorsicht angesagt. Grundsätzlich denke ich, dass Leute sich nur dann äußern sollten, wenn sie die nötige Kompetenz und etwas zu sagen haben. Und sie sollten sich genau überlegen, wie ihre Aussage aufgefasst und interpretiert werden könnte.“

Ist also vor allem Vorsicht gefragt? Oder doch einfach nur mehr Mut? Kretzschmar („Keiner streckt den Kopf höher heraus, als er muss“) glaubt nicht daran, dass sich an der aktuellen Zurückhaltung viel ändern wird. Er würde es sich anders wünschen, wie auch Michael Illgner. Der Chef der Deutschen Sporthilfe hält kritische Meinungsäußerungen von Athleten für richtig und wichtig: „Deshalb fördern wir den mündigen Sportler. Er hat den Kopf nicht nur, um sich Medaillen umzuhängen.“