Stegreiforchester beim Musikfest Stuttgart Beats, Beethoven und eine große Botschaft
Junges Format beim Musikfest Stuttgart: Das Stegreiforchester hat ein Konzert über Beethovens neunte Sinfonie gegeben.
Junges Format beim Musikfest Stuttgart: Das Stegreiforchester hat ein Konzert über Beethovens neunte Sinfonie gegeben.
Freude, schöner Götterfunken? Ja, aber nicht nur. „Paradise on Earth“ heißt das Programm, das sechs Jugendliche im Auftrag der Bachakademie für das Musikfest Stuttgart konzipiert haben. Nicht alleine allerdings – mit dabei ist bei der Premiere am Montagnachmittag im Wizemann das Stegreiforchester, ein Ensemble aus vornehmlich klassisch ausgebildeten jungen Musikern, die mehr wollen als nur Musik vergangener Zeiten reproduzieren. „#bfree“ ist, modisch verhashtagt, ihr Projekt zu Beethovens neunter Sinfonie betitelt, das vor allem als spielerisches Nachdenken über Beethovens Neunte verstanden werden muss. Als Fantasie mit Völker verbindendem, grenzsprengendem Charakter.
Und als offener Katalog von Fragen. Schließlich geht es hier weniger um das fertige Produkt, also die Partitur der Neunten, als um die Themen dahinter. Wie hat Beethoven gearbeitet? Wie ist er mit dem musikalischen Material umgegangen, welche Eigenschaften und Eigenarten prägen die Musik? Und wie ist heute die Utopie zu verstehen, die Schiller in seinem Gedicht und Beethoven in dessen Vertonung formulierten? Das „Alle Menschen werden Brüder“ aus dem berühmten letzten Satz der Sinfonie prägt den Zugriff der Truppe: „Connecting European Cultures through Beethoven’s 9th Symphony“ lautet der Untertitel des Konzertes, und so erlebt man Brückenschläge zwischen Pop, Jazz, Klassik, Klezmer und Volkslied, zwischen Komposition und Improvisation, zwischen E-Gitarre, Horn, Klarinette, Saxofon, Drumset, Cello und zwei Violinen, zwischen Beats, Beethoven und großer Botschaft.
Gesungen wird obendrein, und die Minuten, in denen sich die Musiker zum rund um die Spielfläche hockenden und sitzenden Publikum umdrehen und die „Ode an die Freude“ summen, gehören zu den stärksten der Veranstaltung: weil sie jeden spüren lassen, dass dieser Text mit dieser Musik heute noch (oder wieder?) Gültigkeit hat. Das Publikum darf mitsingen, so wie es zum Auftakt der Veranstaltung schon das Warm-up mitmachen durfte: strecken, gähnen, mit dem Fuß wackeln.
Man dürfte auch aufstehen und sich zwischendurch an der Bar ein Bier holen. Das macht aber keiner – dafür ist viel zu spannend, was an den Seiten und im Mittelkreis des Saals passiert. Da gibt es aus gemeinsamer Improvisation entstandene Dialoge zwischen Musikern, teils virtuos koordiniert; da sind launige Spiele mit Beethoven-Motiven, und urplötzlich findet sogar so etwas wie eine Klezmer-Session statt, bei der sich Saxofon und Klarinette von zwei Seiten des Saales aus die musikalischen Stichworte zuspielen; und da ist es ausgerechnet die E-Gitarre, die das „Freunde, nicht diese Töne“ anstimmt. Ironie und Witz hat dieses Konzert nämlich auch.