Supermarkt-Betreiber appellieren an ihre Kunden, keine übertriebenen Vorräte trotz steigender Corona-Infektionen zu horten. Ein Konsumpsychologe erklärt das Phänomen der Hamsterkäufe.

Titelverantwortliche Redakteurin Stuttgarter Nachrichten: Veronika Kanzler (kan)

Stuttgart - Soll ich, oder soll ich nicht? Viele Deutschen stehen gerade wieder vor dieser Frage, wenn sie im Supermarkt vor dem Toilettenpapier-Regal stehen und überlegen, ob sie welches auf Vorrat kaufen. Die Konsumenten fühlen sich wieder ins Frühjahr 2020 zurückversetzt, als es einen regelrechten Ansturm auf Toilettenpapier, Desinfektionsmittel und Mehl gab. Einen Lieferengpass gab es zu keiner Zeit – wenn einzelne Produkte ausverkauft waren, dann einzig aufgrund der unverhältnismäßig hohen Nachfrage mancher Kunden. Dann kam der Sommer und die Coronazahlen ging zurück. Gleiches galt für den Absatz von Hamsterprodukten.

 

Toilettenpapiernachfrage ist nicht nur gefühlt gestiegen

Den Konsumpsychologe Hans-Georg Häusel wundert dieses Kaufverhalten nicht: „Nach dem relativ entspannten Sommer steht jetzt wieder die Bedrohung durch das Virus vor der Türe und Konsumenten haben wieder häufiger Angst vor einem Kontrollverlust.“ Denn seit Oktober steigen die Zahlen von Corona-Neuinfizierten wieder rasant – erstmals gab es in Deutschland mehr als 10 000 Neuinfektionen pro Tag. Und während die sogenannte zweite Welle voll da ist, leeren sich auch die Regale in den Supermärkten auch wieder auffallend schnell.

Dass das nicht nur ein Gefühl ist, zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Um beinahe 90 Prozent stieg der Absatz von Toilettenpapier in deutschen Supermärkten verglichen mit dem Vorjahresdurchschnitt. Auch Seife, Mehl, Desinfektionsmittel und Hefe landen wieder häufiger im Einkaufswagen wie noch vor der Pandemie.

Kontrollverlust sei für Deutsche besonders schlimm

Häusel hat diese Entwicklung bereits kommen sehen und erklärt die Angst vor dem Kontrollverlust so: Diese Vorstellung sei gerade für die Deutschen besonders schlimm, denn „die Menschen in der Bundesrepublik haben durchschnittlich eine konservative und kontrollorientierte Leitkultur“, so der Konsumpsychologe. Daher sei es ihnen einerseits wichtig, etwas zum Essen zu haben und andererseits immer hygienisch sauber zu sein. Beides spiegele sich laut Häusel im derzeitigen Kaufverhalten wieder.

Warenengpässe sind Fake News

Laut den großen Supermarktketten gibt es keinen Grund zur Sorge. Hamsterkäufe seien nicht nötig, denn die Warenversorgung sei sichergestellt. „Wenn jeder nur das kauft, was er braucht, ist auch genug für alle da“, hieß es bei beispielsweise bei Kaufland in einem TV-Bericht. Edeka beruhigt seine Kunden auf der Firmen-Webseite damit, dass trotz einer erhöhten Nachfrage die Märkte mit ausreichend Ware beliefert würden. Gerüchte, wonach die Schließung von Supermärkten prophezeit werden, seien ganz klar Fake News.

Trotz der wiederkehrenden, bekannten Bilder glaubt der Konsumpsychologe Häusel nicht, dass die Deutschen die Regale in einem Maß wie noch zu Beginn der Corona-Pandemie leerkaufen: „Die Leute haben erlebt, dass die Lieferketten funktionieren.“ Trotzdem sitzen die Ängste bei manchen tief.

Wer nun in seinem Freundes- oder Familienkreis bemerkt, dass jemand deshalb in Panik verfällt, dem rät der Experte mit den Betroffenen das Gespräch zu suchen. Man könne ruhig sagen: „Lasst das bleiben, weil dieser Effekt nur dann eintritt, wenn Hamsterkäufe getätigt werden.“ Gleichzeitig solle man aber auch die Ängste der anderen Ernst nehmen. Es sei nicht hilfreich, den Leuten einzureden, sie dürften keine Panik haben. Wer ruhig und gelassen Argumente gegen Hamsterkäufe vorbringe, könne dadurch in jedem Falle mehr erreichen.