Bundeskanzler Olaf Scholz stellt Hilfen auch für Rentner und Studenten in Aussicht. Denn eine ZEW-Studie belegt: Das geplante Inflationsausgleichsgesetz bringt Besserverdienern mehr als ärmeren Haushalten.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Vor Ablauf des Tankrabatts und des 9-Euro-Tickets in der nächsten Woche wird der Ruf nach neuen Entlastungen lauter. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Donnerstagabend bei einem Bürgergespräch in Magdeburg: „Wir gucken genau auf die Situation von Familien, von Rentnerinnen und Rentnern, von Studierenden. Wir werden auch dafür sorgen, dass diejenigen, die verdienen, aber trotzdem rechnen müssen, steuerlich entlastet werden.“

 

Das von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vorgeschlagene „Inflationsausgleichsgesetz“ bringt dieser Gruppe nicht viel. Das zeigen Berechnungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), die unserer Zeitung vorliegen. Lindner will verhindern, dass Lohnsteigerungen in Höhe der Inflationsrate sofort von der Einkommensteuer aufgezehrt werden – die sogenannte kalte Progression. Die ZEW-Berechnungen zeigen allerdings: Betrachtet man die Auswirkung des geplanten Gesetzes auf die verfügbaren Einkommen, so profitieren die unteren Einkommensschichten am wenigsten.

Experte hält Ausgleich der kalten Progression für geboten

Holger Stichnoth, Leiter der ZEW-Forschungsgruppe „Ungleichheit und Verteilungspolitik“, hält das Gesetz gleichwohl für richtig. „Der Ausgleich der kalten Progression ist in Zeiten hoher Inflation geboten.“ Er sei aber „keine Antwort auf die Probleme, die sich durch die steigenden Lebenshaltungskosten ergeben, weil die unteren Einkommensschichten kaum entlastet werden.“ Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken forderte am Freitag: „Wir müssen denen helfen, die sich nicht selbst helfen können, und die über keine Rücklagen verfügen.“

Bezieher von Wohngeld oder Sozialhilfe sowie Bafög-Empfänger haben wegen der hohen Energiekosten im Juli bereits Zuschüsse erhalten. Für Familien gab es außerdem – unabhängig vom Einkommen – einen Zuschlag zum Kindergeld. Erwerbstätige erhalten zudem im September eine Energiekostenpauschale, die der Einkommensteuer unterliegt. Die Pauschale stieß aber auf Kritik, weil Rentner leer ausgehen.

Inflationsausgleichsgesetz

Vorhaben
 Eckpunkte für ein Inflationsausgleichsgesetz wurden am 10. August vom Bundesfinanzministerium vorgestellt. Es soll verhindern, dass Lohnsteigerungen in Höhe der Inflationsrate sofort wieder dadurch aufgezehrt werden, dass ein anderer Grenzsteuersatz greift. Neben einer Erhöhung der Schwellenwerte, ab denen sich die Grenzsteuersätze ändern, soll das Kindergeld erhöht und die Absetzbarkeit von Rentenbeiträgen von der Steuer verbessert werden. Bei gleichbleibendem Einkommen sinkt dadurch die Steuerlast. Das Bundesfinanzministerium schreibt dazu auf seiner Website: „Niedrige Einkommen werden am stärksten entlastet.“ So sinke die Steuerlast auf ein zu versteuerndes Einkommen von 15 000 Euro um zehn Prozent. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 30 000 Euro fällt die prozentuale Entlastung bereits auf weniger als vier Prozent.

Studie
 Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat sich indes die Veränderung der Nettoeinkommen durch die Reform angeschaut. Und kommt zu dem Ergebnis, dass hier die Zuwächse für die unteren Einkommensklassen geringer sind als für Gutverdiener – auch prozentual gesehen. Hier einige Musterbeispiele:

Singles
Alleinstehenden mit einem Jahresbruttoeinkommen von 20 000 Euro blieben nach der Reform netto 125 Euro mehr als bislang, das entspricht einem Plus von 0,8 Prozent. Bei einem Jahresbruttoeinkommen von 40 000 Euro stiege das verfügbare Einkommen um 270 Euro oder ein Prozent, bei 80 000 Euro um gut 800 Euro oder 1,7 Prozent. Bei Einkommen darüber fielen die Vorteile wieder etwas kleiner aus.

Familien
Ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem gemeinsamen Haushaltsbruttoeinkommen von 40 000 Euro hätte nach der Reform laut ZEW netto rund 330 Euro mehr zur Verfügung. Das entspricht einem Plus von 0,9 Prozent. Bei einem Bruttohaushaltseinkommen von 80 000 Euro stiege das verfügbare Einkommen derselben Familie um fast 740 Euro oder 1,3 Prozent. Bei einem Haushaltseinkommen von 100 000 Euro wäre der Vorteil etwas geringer, bei 200 000 Euro sogar wieder größer. Diese Aussagen gelten sowohl für Familien, in denen beide Partner jeweils die Hälfte zum Haushaltseinkommen beisteuern, als auch für Eltern mit einer Aufteilung von 75 zu 25 Prozent.