Die Zahl der Rauschgiftdelikte in der Region ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Heute sei zum Beispiel Marihuana sehr einfach zu erhalten, sagen Ermittler. Ihr Kampf gegen die Dealer ist mühsam – und das hat Gründe.

Ludwigsburg - Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Dorothea Aschke in der Suchtberatung, und man kann ohne Übertreibung sagen, dass sie in dieser Zeit schon viel erlebt hat. Die offene Drogenszene in Stuttgart in den 90ern zum Beispiel oder das Aufkommen von „Modedrogen“ wie Crystal Meth in den vergangenen Jahren. Heute, mit 60, leitet Aschke die Suchthilfe der Caritas Ludwigsburg-Waiblingen-Enz und sagt: „Wir sind am Limit“. Seit Jahren steige die Zahl der Betreuten an, inzwischen sei die Belastung für die Kollegen sehr hoch.

 

Welche Drogen werden konsumiert?

Während früher vor allem Alkoholsüchtige den Weg in die Beratungsstellen in Backnang (Rems-Murr-Kreis) und Ludwigsburg gefunden haben, ist der Anteil derjenigen, die von illegalen Drogen abhängig sind, zuletzt stetig gestiegen. Dafür gibt es statistische Belege, laut der Landesstelle für Suchtfragen ist der Anteil von Patienten mit Alkoholproblemen in den vergangenen zehn Jahren von knapp 60 Prozent auf unter 50 gefallen. Die Diagnose Cannabis-Sucht ist gleichzeitig um mehr als zehn Prozent gestiegen.

Dorothea Aschke hat dafür eine Erklärung: „Die Verfügbarkeit illegaler Drogen hat sich deutlich erhöht, man muss nicht mehr in der Szene unterwegs sein, sein, um sie zu bekommen .“

Was sagt die Polizei?

Diesen Eindruck kann Daniel Gauss bestätigen. Gauss leitet bei der Kriminalpolizei in Böblingen die Inspektion, die sich mit Rauschgiftkriminalität in den Kreisen Ludwigsburg und Böblingen befasst. Seit Jahren steigen die Fallzahlen an, auch in der Statistik für 2018, die bald veröffentlicht wird, rechnen die Beamten damit, dass sich der Trend fortsetzt. „Fast überall, wo wir heute hinfassen, sind Drogen im Spiel“, sagte der Stuttgarter Kripochef Rüdiger Winter im vergangenen Jahr.

Joachim Buchhäusl, Erster Hauptkommissar in Ludwigsburg, erklärt, dass vor allem die Verfügbarkeit von Marihuana „unglaublich hoch“ sei. Innerhalb kürzester Zeit komme man an Handynummern, mit denen sich über zwei, drei Ecken die Droge beschaffen lasse. „Die Kriminalität verlagert sich dabei in den öffentlichen Raum.“ Die typischen Hotspots seien Bahnhöfe, Einkaufszentren oder zentrale Plätze, wie der Ludwigsburger Akademiehof. „Es ist sehr viel Stoff auf dem Markt“, sagt Gauss.

Gibt es offene Drogenszenen?

Vornehmlich an Orten, an denen freies W-Lan verfügbar ist, versammeln sich oft junge Männer, die über Kontakte in die Szene verfügen. Dass unter ihnen viele Asylbewerber sind, ist kein Geheimnis. Die Männer tragen die Drogen meist nicht bei sich, vielmehr werden an öffentlichen Orten wie dem Bahnhof die Kontakte angebahnt, später treffen sich Kunde und Dealer an einer versteckteren Stelle. Die Kommunikation über neue Medien erschwert die Ermittlungen in diesen Fällen.

Den Polizisten ist wichtig, keine Panik zu schüren. Eine offene Szene gebe es derzeit nicht, die steigende Rauschgiftkriminalität habe ihr Ursache auch nicht in der Flüchtlingswelle von 2015. „Es ist schon etwas komplexer“, erklärt Gauss.

Was sind die größten Probleme?

Was den Ermittlern auffällt: Nicht nur der Handel mit Cannabis und Marihuana floriert, zuletzt wurde auch wieder mit Heroin auf der Straße gehandelt. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass immer weniger Ärzte eine Substitutionstherapie anbieten, also Patienten Ersatzdrogen wie Methadon verabreichen. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung im Land sind es derzeit 15 Mediziner im Kreis Esslingen, 16 im Kreis Böblingen und 17 rund um Göppingen. Zuletzt verursachte die drohende, aber dann abgewendete Schließung einer großen Praxis in Stuttgart viel Aufregung.

„Wir haben da ein Riesenproblem“, sagt die Suchtberaterin Aschke. Rund 250 Patienten, die Ersatzdrogen bräuchten, seien ihr im Kreis Ludwigsburg bekannt. Sie müssten sich hauptsächlich auf drei Praxen verteilen. Deren Inhaber würden aber immer älter, Nachfolger, die Substitutionstherapie anbieten wollen, gebe es kaum.

Auf einen Erfolg ist Aschke daher besonders stolz: Seit dem vergangenen Jahr finanziert der Landkreis eine Stelle in der aufsuchenden Beratung, sprich: Sozialarbeiter, die in den Substitutionspraxen präsent sind, um dort mit den Patienten ins Gespräch zu kommen. Für drei Jahre ist die Finanzierung zunächst gesichert, wie es danach weitergeht ist offen. Auch, weil das Thema auf der politischen Agenda derzeit nicht ganz oben steht – im Gegenteil.

Warum ist das Thema so wenig präsent?

Diesel-Fahrverbote, Terrorismus und Cybercrime haben die Rauschgiftkriminalität zuletzt in den Hintergrund gedrängt. Bemerkbar macht sich das an der personellen Ausstattung – bei der Polizei wie bei Suchtberatungen. Der Böblinger Inspektionsleiter Daniel Gauss formuliert es so: „Die Aufgaben in dem Bereich sind stärker gewachsen als die Stellenzahl.“ Sein Kollege Joachim Buchhäusl wird deutlicher: „Wir sind chronisch unterbesetzt“. Man erlebe heute Dealergruppen mit fester ethnischer Zugehörigkeit genauso wie lose Verbindungen von Menschen, die „schnell viel Geld verdienen wollen“. Beide Konstellationen sind für die Ermittler schwer zu knacken, die Arbeit ist aufwändig und mühsam. Laut Kriminalrat Gauss müssen die Beamten außerdem versuchen, mit den technischen Entwicklungen Schritt zu halten.

Dorothea Aschke würde sich zwar mehr Personal in ihrer Beratungsstelle wünschen, doch sie sagt auch: „Wenn wir mehr einstellen könnten, wären auch die neuen Kollegen schnell ausgebucht.“