Nach den unionsinternen Telefonkonferenzen bekommt Steinmeier in Brüssel den entscheidenden Anruf von Angela Merkel. Für den Sozialdemokraten ist es die Krönung einer langen Karriere, die er als bienenfleißiger Staatsdiener im höheren Dienst begann und nun wohl im höchsten Amt des Staates beenden wird.

 

Er ist schon mal fast ganz oben gewesen. Zum Bundeskanzler ward er ausgerufen, allerdings nicht in Berlin, sondern in Tschungking. Im Sommer 2008 trug sich das zu. Steinmeier, damals wie heute Außenminister, war in China zu Gast, und die Dolmetscherin stellte ihn einer illustren Runde als „Bundeskanzler“ vor. Das war ein Versehen, natürlich, aber der Vorfall passt zu einem Leben, in dem so manches wohl eher aus Versehen geschehen ist. So ist es auch in diesen Tagen, in denen Steinmeier vom Lockmittel des SPD-Chefs Sigmar Gabriel zum Kandidaten der großen Koalition für das Amt des Bundespräsidenten aufgestiegen ist.

Eine merkwürdige Vita für einen Politiker

Steinmeiers Vita ist schon eine merkwürdige. Er hat nie den Ehrgeiz verspüren lassen, anderen die Krone zu entreißen. Er rüttelte an keinem Zaun, schon gar nicht an dem des Kanzleramts, wie dies sein langjähriger Mentor, Altkanzler Gerhard Schröder, zuvor getan hatte. Bis zu jenem Moment, in dem er 2005 völlig überraschend Außenminister wurde, galt Schröders einstiger Kanzleramtschef und Agenda-2010-Architekt als erste Wahl für die zweite Reihe: fleißig, zurückhaltend, porentief loyal. Er fühlte sich wohler im Maschinenraum der Macht, das Führerhaus war zuvor nie sein Ding. Klar, dass er während seines Jura- und Politikwissenschaftsstudiums in Gießen als Mitglied der Juso-Hochschulgruppe im Asta nicht etwas dessen Vorsitzender, sondern Finanzreferent war: unentbehrlich, aber im Hintergrund. Die Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 2009 hatte er eher der Schwäche des damaligen SPD-Chefs Kurt Beck als seiner eigenen Durchsetzungsstärke zu verdanken. Und es ist bezeichnend, dass er nicht die Traute hatte, auch nach dem Parteivorsitz zu greifen. Als dem Kanzlerkandidaten der SPD missfiel Steinmeier dann 2009 die kämpferische Attitüde, die viele in der Partei von ihm erwarteten. Zumal er zuvor in seiner ersten Amtszeit als Außenminister Kanzlerin Angela Merkel, die nun seine Gegnerin sein sollte, als verlässliche Partnerin zu schätzen gelernt hatte.

Die beiden können gut miteinander. Wer beispielsweise erlebt hat, wie sie sich beim Nato-Gipfel 2014 in Wales die Bälle zuwarfen, als in der Ukraine Europas größte sicherheitspolitische Krise seit Jahrzehnten eskaliert war, konnte nicht bezweifeln, dass Merkel sich Steinmeier immer gut in Schloss Bellevue vorstellen konnte. „Wir arbeiten ganz ungewöhnlich eng zusammen“, sagt sie am Montag. Sie habe Steinmeier „sehr gut kennengelernt“, hält ihn für „ausgezeichnet geeignet“ und „geachtet in Wirtschaft und Gesellschaft“. In Zeiten von Trump, Brexit, Terror und Kriegen in der Nachbarschaft und aufgerauten politischen Debatten daheim in Deutschland sendet Steinmeiers Nominierung aus ihrer Sicht ein „Signal der Stabilität“ aus. Über ihre parteipolitisch missliche Lage verliert Merkel an diesem Tag kein Wort.