Volleyballtrainer Stelian Moculescu drohen nach seinem Wutausbruch beim Saisonfinale eine Geldstrafe und eine Sperre. Im Interview mit der StZ hat er zwei Tage danach auch über die Gründe gesprochen.

Stuttgart - Ein Mann, zwei Gesichter: Stelian Moculescu lebt wie fast kein Zweiter für den Volleyballsport. Den VfB Friedrichshafen hat er seit seinem Amtsantritt 1997 zum erfolgreichsten deutschen Volleyballclub aller Zeiten geformt. Die deutsche Nationalmannschaft führte er nach 38-jähriger Abstinenz wieder zu den Olympischen Spielen nach Peking 2008.

 

Mit Niederlagen tut er sich aber zuweilen schwer – so geschehen am 5. Mai: Die Friedrichshafener Männer hatten soeben das vierte Spiel in der Serie „best of five“ mit 1:3 verloren. Die Deutsche Meisterschaft ging an die Berlin Volleys – und Stelian Moculescu tobte. Er sah seine Mannschaft, nicht zum ersten Mal in der Saison, durch den Schiedsrichter massiv benachteiligt. „Wenn man nicht will, dass wir Deutscher Meister werden, schickt man uns so einen Schiedsrichter“, polterte er vor laufenden TV-Kameras und fügte hinzu, der Schiedsrichter mache „immer dieselbe Scheiße“.

Außerdem warf er der Einsatzleitung des Verbandes vor, die Schiedsrichteransetzungen in der Finalserie bewusst so gewählt zu haben, um einen weiteren Titel des Rekordmeisters zu verhindern. Nach dem Spiel hatte der Erfolgscoach bereits die Rote Karte gesehen, sodass er in jedem Fall im ersten Spiel der neuen Saison gesperrt sein wird.

Am Dienstag hat die Deutsche Volleyball-Liga (DVL) ein Verfahren vor der Spruchkammer des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) gegen Moculescu eingeleitet. Seine Äußerungen würden einen schweren Verstoß gegen den Ethikcode der DVL darstellen und seien im höchstem Maße unsportlich, begründet der DVL-Vorsitzende Michael Evers die Aufnahme des Verfahrens (die StZ berichtete). Sein Stellvertreter Rüdiger Hein geht sogar noch weiter: „Stelian Moculescu hat mit seinem Verhalten Grenzen überschritten und die Integrität der Schiedsrichter und des Bundesliga-Spielbetriebs schwer beschädigt.“

Zu dem Sachverhalt wollten sich bisher weder Moculescu noch der Verein äußern. Im Gespräch mit der StZ, das zwei Tage nach dem Wutausbruch und damit vor der Bekanntgabe des Verfahrens stattfand, hält er an seiner Kritik fest. Außerdem spricht er über seine Zeit bei der Nationalmannschaft und erklärt, warum Volleyball bei ihm privat zuhause kein Thema ist.


Herr Moculescu, seit Sonntag ist die Volleyballsaison beendet. Geht es jetzt in den wohlverdienten Urlaub?
Ein paar Tage müssen wir noch arbeiten, um die neue Saison vorzubereiten. Aber dann geht es zehn Tage weg.

Um in der nächsten Saison wieder in allen drei Wettbewerben angreifen zu können?
Von drei Wettbewerben zu sprechen, ist ein wenig übertrieben. Natürlich spielen wir in der Champions League, aber ich denke von `angreifen` kann dort keine Rede sein. Das Ziel muss sein, die Gruppenphase zu überstehen. Aber selbst das ist schon sehr schwierig. Dieses Jahr hatten wir eigentlich eine leichte Gruppe und haben es selbst verbockt.

„Ich rege mich nicht künstlich auf“


Sie sind seit 1997 Cheftrainer beim VfB Friedrichshafen. Wie motivieren Sie sich jedes Jahr aufs Neue?
Es ist eine Gnade, so lange bei einem Verein zu arbeiten. Wenn man sich diese Chance erarbeitet, ist es schön, an einer Stelle zu bleiben. Ich bin kein Wandervogel, der das eine Jahr dort und das andere Jahr da ist. Das mag ich nicht.

Wenn man Sie während eines Spiels erlebt, erinnert doch einiges an den Dortmunder Fußballtrainer Jürgen Klopp. Bei Fehlern Ihrer Mannschaft oder falschen Schiedsrichterentscheidungen sollte man Sie lieber nicht ansprechen, oder?
Das ist sehr unterschiedlich. Sicherlich bin ich schwer zu zügeln, wenn ich schlechte Leistungen vom Schiedsrichter sehe. Manchmal liegt sogar die Vermutung nahe, dass sie vielleicht bewusst gemacht werden. Das ist selten der Fall, aber manchmal habe ich dieses Gefühl. Bei Spielern ist es sehr verschieden. Wenn ich bei einem Spieler im Laufe der Zeit erkenne, dass er beratungsresistent ist, passiert es auch im Spiel, dass ich ärgerlich werde. Diese Spieler sind dann aber auch nicht allzu lange da. Aber wenn jemand sich bemüht und ihm etwas misslingt, habe ich kein Probleme damit.

Wie wichtig sind denn generell für Sie Emotionen an der Seitenlinie?
Das muss jeder selbst wissen, aber ich bin schon wesentlich ruhiger geworden. Ich war früher impulsiver und lauter.

Sind Sie von Natur aus impulsiv – oder wollen Sie mit den Emotionen an der Seitenlinie den Druck von der Mannschaft nehmen?
Den Druck nimmt kein Mensch von der Mannschaft. Schon gar nicht ich durch das Theater, das ich da an der Seitenlinie veranstalte. Ich rege mich nicht künstlich auf, nur um wichtig zu sein.

Die Flucht bei den Spielen 72 in München


Eine große Rolle in Ihrem Leben und Ihrer Karriere spielt sicherlich auch ihre persönliche Geschichte. Sie sind 1950 in Rumänien und damit im Sozialismus geboren worden. Wie schwer war der Alltag für Sie trotz oder vielleicht wegen Ihrer Erfolge als Spieler?
Ich würde jetzt lügen, wenn ich sage, dass ich einen schweren Alltag hatte. Ich hatte das große Glück, in eine gute Familie hineingeboren worden zu sein. Meine Mutter musste arbeiten. Also bin ich hauptsächlich von meinen Großeltern großgezogen worden, die vorbildlich waren und mich geprägt haben. Da hat es mir für die damalige Zeit an nichts gefehlt. Für den Ostblock war Rumänien in den 60er-Jahren das fortschrittlichste Land. Anfang der 70er hat sich dann aber abgezeichnet, dass sich dies ändern würde.

Sie haben dann mit dem Gedanken gespielt, das Land zu verlassen. Als Folge entzog man Ihnen 1971 den Pass und verweigerte Ihnen die Ausreise. Ihnen entging deshalb die Bronzemedaille, die Rumänen bei der EM in Mailand holte. War das der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte?
Nein. Wenn ich den Pass früher bekommen hätte, wäre ich schon früher abgehauen und hätte nicht einmal mehr die Olympischen Spiele abgewartet. So gesehen war das in der Retrospektive ganz gut, dass ich die Spiele 1972 in München mitgemacht habe - auch wenn ich es in dem Augenblick nicht so empfunden habe. Diese Erfahrung möchte ich nicht missen, denn das waren meiner Meinung nach die letzten freien Spiele, die es gegeben hat.

Warum?
Es war ohne Polizei, ohne Security, ohne Kontrollen. Es waren die letzten freien Spiele, bei denen du dich mit dem Publikum unterhalten konntest. Beim Einmarsch hast du die Leute abgeklatscht. Wenn ich das mit Peking vergleiche, muss ich sagen: Das war ein Hochsicherheitstrakt.

Und dann kam der 11. September 1972 ...
Das ist richtig. Meine Flucht war geplant. Es war so, dass wir ziemlich lange aufgeblieben sind. So bis drei oder halb vier morgens, weil es einen Fehlalarm im olympischen Dorf gab. Wir mussten alle auf unsere Zimmer gehen, wo wir geblieben sind. Ich war in der Früh um sieben Uhr mit dem damaligen deutschen Bundestrainer verabredet, damit er mich abholt. Die Frage war: Lege ich mich hin? Denn aufbleiben konnte ich nicht. Ich habe mich hingelegt und mir gesagt: Wenn ich rechtzeitig aufwache, hau ich ab, und wenn nicht, dann habe ich Pech gehabt.

Und sie sind…
Aufgewacht, bin runter und habe auf den Bundestrainer in der Lerchenauerstraße gewartet, bis er mich abgeholt hat.

Aber er kam zu spät, weil er verschlafen hatte.
Richtig. Wir haben uns kürzlich noch darüber unterhalten, als wir uns getroffen haben. Die Erinnerungen gehen ein bisschen auseinander, aber ich denke, ich war damals so voller Adrenalin, dass ich das auch heute noch richtig in Erinnerung habe.

„Friedrichshafen galt als das Bermudadreieck für Trainer“


Wie schwer war der Start in Deutschland für Sie?
Der war schon schwer, aber mir war das eigentlich egal. Ich habe angefangen als Hilfsarbeiter in einer Baufirma. Ich bin jeden Morgen um fünf Uhr in der Früh aufgestanden und abends hatten wir noch bis 22 Uhr Training in Münster. Nach drei Wochen war ich dann platt, weil ich diese Art von Arbeit nicht gewohnt war.

Was hat Ihnen diese Geschichte mit auf den weiteren Lebensweg gegeben?
Ich denke, dass es ganz wichtig war. In Rumänien war ich ja schon jemand und durch meine Erfolge sind mir verschiedene Dinge ein bisschen leichter gefallen. Aber in Deutschland musste ich meinen Weg gehen, weil ich nichts hatte. Ich konnte nur Volleyball spielen und sonst nichts. Mein Hochschulabschluss ist mir nicht anerkannt worden. Ich musste mich durchbeißen, aber das war eine wichtige Erfahrung. Wie soll ich das erklären? Du bist im Wald, willst raus zur Sonne und musst einfach mal losgehen.

Über verschiedene Stationen kamen Sie dann zum VfB Friedrichshafen an den Bodensee. Der Beginn einer Ära und der wohl erfolgreichsten Liaison im deutschen Volleyball. Wann ist der VfB mehr als nur ein Arbeitgeber geworden?
Das ging sehr schnell. Im kam in einer sehr unruhigen Zeit zum VfB. In der vorherigen Saison hatte es drei verschiedene Trainer gegeben. Die Süddeutsche Zeitung hat damals vom Bermudadreieck für Trainer gesprochen. Ich hatte dann im ersten Jahr einen Ein-Jahres-Vertrag. Wir haben gleich den Pokal und die Meisterschaft gewonnen. Dann habe ich angefangen, ein wenig Politik zu machen und den Verein mitzugestalten. Ich hatte eine Vorstellung von einem gut geführten Verein und diese habe ich versucht umzusetzen.

In Ihrem Profil auf der Homepage ist zu lesen, der VfB sei für Sie eine Herzensangelegenheit.
Das ist zweifelsohne so. Ich bin hier sehr gut aufgenommen worden, die Region ist schön und selbst meine Frau, die nie aus München weg wollte, ist nach anfänglichem Zögern an den Bodensee gekommen. Das war ja auch der Grund, warum ich nicht ins Ausland gegangen bin, denn jetzt kriegt sie hier niemand mehr weg.

Aber 2007 war es fast soweit, als Sie ein Angebot vom italienischen Topverein Sisley Treviso hatten?
Damals war ich ja eigentlich schon weg. Aber dann ist etwas passiert, auch im privaten Bereich. Außerdem war der jetzige Geschäftsfrüher, der Jürgen (Hauke, Anm. d. Red.), sehr stark beteiligt. Wir waren damals auf der Suche nach einem neuen Geschäftsführer. Er hat mich gefragt, was er machen muss, damit ich hierbleibe. Daraufhin habe ich ihm gesagt, wenn er Geschäftsführer wird, bleibe ich da.

„Die Rückkehr nach Rumänien war fast wie eine Therapie“


Auch die deutsche Nationalmannschaft haben Sie trainiert und 2008, nach 36 Jahren Abstinenz, wieder zu Olympia geführt. Danach waren Sie Coach des rumänischen Teams. Wie schwer war die Rückkehr in Ihre Heimat?
Ich hatte sie mir komplizierter vorgestellt. Als ich als Coach der deutschen Auswahl 2008 aufgehört habe, war ich ziemlich kaputt. Es war eine sehr harte Zeit, die mich sehr viele Körner gekostet hat. Dass ich dann nach Rumänien ging, war für mich ein großes Glück. Ich habe eine sehr hohe Wertschätzung erfahren, was mir persönlich sehr gut getan hat. Das war fast wie eine Therapie.

Warum war die Zeit als deutscher Nationaltrainer so schwer?
Natürlich bin ich nicht immer einfach, aber ich wusste, wie man Erfolge erreicht. Aber meistens hatte ich Leute, die gegen mich waren, weil sie erwartet haben, dass wir sofort Medaillen gewinnen. Aber das ging halt nicht. Es fehlte der Spaßfaktor. Ich habe den Job fast neun Jahre lang gemacht und hatte dabei immer die Doppelbelastung: Beim VfB muss man gewinnen, mit der Nationalmannschaft muss man gewinnen, junge deutsche Spieler muss man zur internationalen Spitze führen. Das waren schon sehr viele Aufgaben – und das zehrt irgendwann an einem.

Manche nennen Sie sogar den Volleyball-Papst. Spätestens seit Sie mit dem VfB 2007 das Tripel holten. Was ist Ihr Geheimnis?
Wenn ich etwas mache, mache ich es gerne. Ich habe sicherlich das Glück, dass ich gut mit Menschen umgehen kann. Ich kann außerdem, denke ich, Gruppen ganz gut führen und Leute für eine Sache begeistern. Ich selbst habe sehr viel Spaß dabei, weil ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Ich liebe meinen Job einfach.

Und dass Sie selbst ein Zuspieler von Weltformat waren, hat sicherlich nicht geschadet, oder?
Es schadet sicherlich nicht, wenn man den Sport selbst betrieben hat, aber es ist nicht unbedingt eine primäre Voraussetzung, um ein sehr guter Trainer zu sein.

Sie sagen, für Sie sei Volleyball „die schönste Nebensache der Welt“. Welche Rolle spielt bei Ihrer Arbeit denn Ihre Familie?
Das ist jetzt keine Platitude. Ich habe wirklich das Glück, dass meine Frau sehr viel Verständnis hat. Wir führen eine relativ konservative Ehe. Ich war zuständig für das Einkommen, die finanzielle Sicherheit, also dafür, dass es der Familie gut geht. Meine Frau war zuständig für den Rest – zum Beispiel für die Kindererziehung und alle anderen Sachen. Wir sind immer nach dem Motto vorgegangen: Jeder soll das machen, was er besser kann. Dazu kommt, dass in dem Augenblick, wo ich zuhause durch die Tür reinkomme, das Thema Volleyball erledigt ist.

Sie sprechen also mit Ihrer Frau weder über Erfolge noch über Misserfolge?
Wir freuen uns sicherlich, wenn meine Mannschaft gewinnt, aber über das Thema Volleyball haben wir noch nie gesprochen. Mit meiner Frau gibt es gar kein Thema Volleyball.

„Ich habe keine Zukunftspläne“


In diesem Jahr hat Ihr VfB zum ersten Mal seit 15 Spielzeiten keinen Titel geholt. Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Saison?
Ich denke, wenn man in der Geschichte oder aktuell auf der Welt herumschaut, gibt es ganz wenig Vereine, die eine solche Erfolgsstory vorweisen können wie wir. Dass wir dann irgendwann einmal keinen Titel holen, damit muss man rechnen. Wer damit nicht rechnet oder überrascht ist, dem kann ich nicht helfen. Es ist der Lauf der Dinge, den man so akzeptieren muss, aber es ist kein Beinbruch.

Wie sehen jetzt Ihre Zukunftspläne aus?
Ich habe noch nie im meinem Leben einen Plan gemacht. Ich lebe im Hier und Jetzt. Viel wird sich aber in naher Zukunft wohl nicht mehr ändern. Das einzig Wichtige ist, dass man einigermaßen gesund ist und bleibt. Solange ich in Friedrichshafen gebraucht werde, bleibe ich. Wenn sie mich hier nicht mehr brauchen, geh ich vielleicht weg und mach was anderes. Ich weiß es nicht.

Sie sind jetzt 63. Könnten Sie sich also vorstellen, auch noch mit 70 Jahren an der Seitenlinie zu stehen?
Ich kann mir alles vorstellen. Es muss nur, wie heißt es so schön, Niveau haben. Der Verein muss zufrieden sein, ich muss zufrieden sein und dann ist es überhaupt kein Problem. Ich habe sehr viel Spaß an der Arbeit: in der Halle zu stehen, mit jungen Menschen zu arbeiten, Volleyball zu lehren. Wenn dir aber wie jetzt am Wochenende ein Mann in Weiß die Arbeit kaputt macht, ist das weniger spaßig.

Wenn Sie für die nächste Saison einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Ich würde mir wünschen, wieder einen Titel zu gewinnen.