Seit 1973 liefert Stephen King den Rohstoff für die Albträume von Millionen. Arte zeigt ein Porträt des US-Autors, das haufenweise Archivaufnahmen aus vielen Jahren kombiniert. Da kann einem schon mal schwindlig werden, aber Fans werden dranbleiben.

Stuttgart - Ab einem gewissen Grad der Normalität beginnen Menschen wieder, unheimlich auszusehen. Das mag am Kult des Besonderen liegen, den Kunst, Kitsch und Werbung seit Jahrtausenden betreiben. Jemand Küchenfliesennormales, denken wir (und schöpfen dabei aus unseren eigenen Selbstzweifeln), kann mit seinem Leben gar nicht zufrieden sein. In diesem Menschen muss sich doch Frustration ansammeln, die irgendwann destruktiv nach außen brechen wird. So ein suspekter Normalo-Typ war immer schon Stephen King, der mit diesem Image produktiv gespielt hat. Vor allem hat er aus dem Phänomen reichweitenstarke Literatur gemacht: das Durchschnittsbrave als schneller Brüter des höllisch Fiesen.

 

Das knapp einstündige Filmporträt „Stephen King: Das notwendige Böse“ will uns jenen Mann näher bringen, der auch von den Leuten gelesen wird, denen, wie die tägliche Praxis zeigt, selbst die Schildchen mit „Drücken“ oder „Ziehen“ auf großen Glastüren zu anstrengende Lektüre sind. Hut ab, Mister King, hat man oft schon gesagt, lange bevor Julien Dupuys Film uns nun wiederholt an den Verkaufserfolg des Mannes erinnert. Aber oh, wie der Bestsellerkönig hier zwischen den Lebensaltern, Hemden, Sitzpositionen und Gesprächssituationen herumflackert.

Zeitreise mit Schluckauf

„Das notwendige Böse“ ist eine Fleißarbeit aus dem Archiv. Viele Schnipsel aus fremden Porträts, Interviews, Redenmitschnitten, TV-Features und Filmauftritten aus vielen Jahrzehnten werden da thematisch geordnet, aber gerade der Ordnungswille schafft Wirrnis: King wird ein schluckaufartig Zeitreisender durch die eigene Biografie. Dupuy tut da nichts Verwerfliches. Genau so arbeiten Printjournalisten ja auch, wenn sie für ein Porträt im Archiv stöbern, was die Porträtierten schon einmal Erhellendes gesagt haben könnten. Aber ein Text bettet Fundstücke anders ein als ein Film. Dupuy findet keine eigene Erzählebene, deren ruhige Bilder die Übergänge von einem King zum nächsten dämpfen könnten.

Wenn die Häppchenmontage uns nicht den Autor zeigt, dann will sie uns mit Ausschnitten aus King-Verfilmungen hochpeitschen. Die sorgen für noch mehr Drehschwindel und verschieben das ganze Porträt. King wirkt nun wie ein fleißiger Drehbuchakkordler, weil Dupuy das, was der Autor geschaffen hat, bequemerweise als Filmbild zeigt. Um das schwierige Sprechen über Stil, Form und Erzähltechniken kommt er so herum.

King hätte das Kino nicht nötig

Aber King ist eben keiner von denen, die im Nachgang zu einer Verfilmung ein zuvor kaum beachtetes Buch doch noch verkaufen können. Seine einschüchternd umfangreichen Gruselstücke haben sich auch ohne Kinozugmaschine gut verkauft. Gleich „Carrie“, Kings erster veröffentlichter Roman (er hatte da schon ein paar für die Schublade geschrieben), wurde 1973 von allein zum Hit. Brian De Palmas Verfilmung folgte erst drei Jahre später.

Wenn das also kein besonders formvollendetes Porträt ist, soll man dann trotzdem mal bei Arte reinschalten? Seltsame Frage. Soll man in den Gully gucken, wenn man den mulmigen Verdacht hat, der Clown Pennywise könnte zurückschauen? Manchmal kann man einfach nicht anders. Und wir reden hier von Stephen King, dem Mann, den man immer wieder gerne anschaut, um uns jene Stirnform einzuprägen, hinter der die Monster wohnen.

Arte, Freitag, 23. Oktober 2020 um 21.45 Uhr; Sonntag, 1. November 2020 um 21.55 Uhr; Samstag, 14. November 2020 um 01.10 Uhr. In der Mediathek des Senders bereits abrufbar – bis zum 22. Dezember 2020.