Warum zweifelt niemand am freien Willen von Patienten, die ihre Behandlung abbrechen, an dem von Menschen aber sehr wohl, die sich mit Hilfe von Ärzten selbst töten wollen? Eine Frage, die sich die Verfassungsrichter stellen.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Karlsruhe - Die Frage könnte von Bedeutung sein für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Paragrafen 217, der die „Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe stellt. Betroffen sind von dieser Entscheidung Sterbehilfevereine, Palliativärzte ebenso wie Patienten, die für sich das Recht in Anspruch nehmen wollen, ihr Leben durch Suizid mit ärztlicher Hilfe zu beenden. Am zweiten Tag der Anhörung fragte Andreas Voßkuhle, der Vorsitzende des Zweiten Senats: „Haben wir beim Wunsch nach Behandlungsabbruch nicht andere Anforderungen an die Menschen als wir sie beim Wunsch nach assistiertem Suizid haben?“

 

Dass niemand gegen seinen Willen behandelt werden darf, sei im Strafgesetzbuch festgeschrieben. Anders als beim Wunsch nach einem assistierten Suizid sind Ärzte verpflichtet, den Willen des Patienten umzusetzen, nicht mehr über Magensonde ernährt oder künstlich beatmet zu werden. Beim Wunsch nach assistiertem Suizid jedoch beschäftigte auch die Karlsruher Richter intensiv die Frage, unter welchen Bedingungen dieser Wille formuliert wird.

Autonomie als gesellschaftlicher Wert

Palliativmediziner und Psychiater haben vor Gericht darauf verwiesen, dass 90 Prozent der Patienten, die Suizidgedanken äußern, extreme psychische Probleme haben, die zu lindern seien. Warum, so der naheliegende Schluss aus Voßkuhles Frage, wird der Wunsch eines Menschen, der näher am Sterben ist, als autonomer verstanden, als der eines Menschen, der noch nicht so nah am Sterben ist. „Wie verträgt sich das mit dem Freiheitsversprechen des Grundgesetzes?“, so Voßkuhles Anschlussfrage. Außerdem verwies er wiederholt darauf, dass sich in der Gesellschaft die Bedeutung der Autonomie des Einzelnen verändert haben.

Klar wurde in der Verhandlung aber auch, dass es für die Verfassungsrichter ein großes Thema ist, ob Palliativmediziner in Konflikt mit dem Paragrafen 217 kommen, wenn sie in Einzelfall, der sich wiederholen kann, einen Patienten etwa beim Verzicht auf Essen und Trinken medizinisch begleiten. Bisher gibt es noch keine vor Gericht getragenen Fälle. Laut Auskunft von Praktikern aus dem medizinischen Bereich sind die Fälle extrem selten. „Es werden keine Strafverfahren eingeleitet“, sagt Gerhard Strate, der den Sterbehilfeverein Dignitas in Karlsruhe vertritt. Den Grund sieht er darin, dass potenzielle Täter, also Ärzte, Angst vor Strafverfolgung hätten. Strate sprach von der abschreckenden Wirkung des Gesetzes.

Besuch vom Staatsanwalt?

„Weil man einen Menschen in seiner Not nicht alleine lassen kann, kann es sein, dass ich einen Menschen in seiner Suizidabsicht unterstützen würde“, erklärte die Professorin für Palliativmedizin Gerhild Becker. Als Fall für den Staatsanwalt sieht sie sich damit nicht. Anders sehen es etwa 250 Strafrechtler, die schon vor der Verabschiedung des Gesetzes vor Strafverfolgung von Ärzten gewarnt hatten.

Das Gericht wird sein Urteil in Verlauf der nächsten Monate verkünden. Es prüft auch andere Regelungskonzepte für den assistierten Suizid.