Wie konnte es zur Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher kommen? Das Magazin „Stern“ rollt die Geschichte seines größten Debakels in einer spannenden Podcast-Reihe auf.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Kann man mit Geschichten über den größten Skandal im eigenen Haus Werbung für das eigene Haus machen? Der „Stern“ versucht das gerade mit seiner neuen Podcast-Reihe „Faking Hitler“, was zumindest schon mal für Mut spricht. Denn der Betrug des Hamburger Magazins an der Weltöffentlichkeit mit der Veröffentlichung angeblicher Tagebücher von Adolf Hitler im Frühjahr 1983 gehört zweifellos zu den größten Medienskandalen überhaupt, ein maximaler Fake zu Zeiten, da dieses Wort im Zusammenhang mit Journalismus noch gar nicht geläufig war.

 

Und wenn aktuell einige Beobachter den „Spiegel“ durch die jahrelangen Fälschungen seines Ex-Reporters Claas Relotius am Rande des Abgrunds sehen, so muss man sagen: Rund 35 Jahre früher war der „Stern“ nach Aufdeckung des Hitler-Tagebuch-Fakes eigentlich nicht mehr am Rande des Abgrunds, sondern tief im publizistischen Grab. Und es grenzt an ein Wunder, dass das Magazin es damals geschafft hat, trotzdem irgendwie am Leben zu bleiben.

Mutig also, diese Geschichte nun in einer Podcast-Serie aufzurollen. Die erste von sechs Folgen ist gerade erschienen; fünf weitere folgen jeweils im Wochenabstand. Die Produktion ist aufwendig gemacht. Der Autor Malte Herwig erzählt in der Folge „Die Entdeckung der Tagebücher“, wie der damalige „Stern“-Chefreporter Gerd Heidemann über zwielichtige Militaria-Sammler-Kreise in Kontakt geriet zum Stuttgarter Kunstmaler und Berufsfälscher Konrad Kujau, der ihm erfolgreich weis machen konnte, im Besitz umfangreicher Tagebücher Adolf Hitlers zu sein.

Hanseatische Eitelkeit trifft auf schwäbische Lügner-Chuzpe

Heidemann witterte hier den Triumph seiner journalistischen Karriere und konnte die Spitzen von Redaktion und Verlag schnell überzeugen, Millionen zu investieren, um in den Besitz des vermeintlichen Schatzes zu gelangen – ein Schatz, davon waren die Hamburger überzeugt, mit dem die Geschichte der NS-Diktatur und des Zweiten Weltkriegs „neu geschrieben“ werden könnte und müsste.

Man hört gespannt die 30 Podcast-Minuten, weil ihr Autor Herwig auf zwei Quellen zurückgreifen kann, über die andere Autoren zu diesem Thema nicht verfügen: Zum einen lagern besagte 62 „Tagebücher“, die 1983 nach öffentlicher Präsentation durch den „Stern“ relativ schnell von Experten als Fälschung entlarvt werden konnten, noch heute bei Gruner und Jahr. Herwig kann also daraus vorlesen lassen. Und zum anderen hat Reporter Heidemann damals all seine Telefonate mit Kujau auf Tonband mitgeschnitten. Das sind nun tatsächlich herrliche und authentische Zeugnisse davon, wie schnell und hemmungslos damals hanseatisch-blasierte Journalisten-Eitelkeit der schwäbischen Kunst-Lügner-Chuzpe auf den Leim ging.

Aus heutiger Sicht lässt sich das alles leicht als Medienposse abtun, und die beinahe dem gesamten Podcast unterlegte Komödien-Klimpermusik leistet einer solchen Sicht kräftig Vorschub. Aber wenn man schon medienhistorisch interessiert ist, nimmt man die Sache so natürlich zu leicht. Womöglich leisten ja die späteren Folgen, was die erste jedenfalls noch nicht zum Ziel hatte: Die Erklärung, welchen Schaden die angeblichen Hitler-Tagebücher angerichtet hätten, wenn man sie denn wirklich für echt hätte halten müssen. Kujau machte in seinen braunen „Liebes-Tagebuch“-Ergüssen just jenen „Führer“ lebendig, den viele Deutsche Anfang der 1980er-Jahre noch so unheimlich gern in Erinnerung hatten: einen traurig-einsamen Helden, einen tragischen Siegfried, der eigentlich nur das Beste für sein Volk wollte und ja gar nicht wissen konnte, welche Verbrechen die unteren Chargen in seinem Namen gerade anrichteten.

Unreflektierter Führerkult-Nostalgiker

Und auch eine zweite Leistung muss man von den weiteren Podcast-Folgen dringend erhoffen: Schon damals war die Verteidigungsstrategie des Verlages, vor allem des „Stern“-Gründers und -Herausgebers Henri Nannen, alle Schuld für das journalistische Debakel einem einzelnen Betrüger zuzuweisen, in diesem Fall Gerd Heidemann – die „Spiegel“-Strategie im Falle Relotius vor wenigen Wochen war ja anfangs exakt ebenso. Doch welche Mechanismen im eigenen Geschäft spielten Heidemann (bis zur Aufdeckung des Skandals eng mit Nannen verbunden) eigentlich in die Hände? Und wie konnte ein Journalist, der sich in den originalen Ton-Dokumenten, wie der Podcast zeigt, als ein erschreckend naiver und völlig unreflektierter Führerkult-Nostalgiker erweist, über so viele Jahre derart einflussreich in der Redaktion sein? Nimmt man solche Haltungen als Vorgesetzter schlicht in Kauf, so lange der Betreffende nur schön zuverlässig die heißen Geschichten liefert?

Doch, man ist gespannt auf die weiteren Folgen von „Faking Hitler“. Aber die potenzielle Fallhöhe, auf der der heutige „Stern“ hier agiert, ist enorm.