Nicht nur Gerard Depardieu geht mit seinem Geld lieber ins Ausland. Auch viele andere betuchte Franzosen sind mit von der Partie, wenn es gilt, Geld am Fiskus vorbeizuschleusen.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - Verlassen die Reichen das sinkende Schiff? Diese bange Frage stellen sich viele Franzosen, nachdem ihr hochverehrter „Gégé“ die Türe mit lautem Knall zugeschlagen hat. Wie Hunderte von Großverdienern vor ihm ist Gérard Depardieu dieser Tage ins belgische Steuerexil ausgewandert. Seinen Pariser Stadtpalast hat er für 50 Millionen Euro zum Verkauf ausgeschrieben. Jetzt teilt er der Regierung in einem offenen Brief mit, er habe genug, immer mehr Steuern zu zahlen. Schließlich er dem französischen Fiskus zeit seines Lebens 145 Millionen Euro abgeliefert.

 

Seither wogt die Debatte in Frankreich. Sie ist zum Teil politisch: Depardieu ist ein Anhänger des früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy und klagt implizit über François Hollandes neuen Dreh an der Steuerschraube. Der sozialistische Präsident hat allein für das kommende Jahr Steuererhöhungen von 28 Milliarden Euro vorgenommen. Allerdings hatte die schon die konservative Vorgängerregierung Steuererhöhungen vorgenommen. Zusammen belaufen sie sich für die einfachen Franzosen auf 65 Milliarden Euro.

Das erhöht die Staatsquote aus Steuern, Sozial- und anderen Abgaben auf über 46 Prozent – Rekord für Frankreich und für die EU. Nur so kann die Nation ihr Sozialmodell finanzieren: Die Ausgaben des Staates machen 56 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Auch dieser Wert wird in keinem anderen EU-Land erreicht.

Am stärksten bittet Hollande die Reichen zur Kasse. Millionäre müssen neu 75 Prozent ihrer Einkünfte abliefern. Unter Einhaltung seiner Wahlversprechen erhöht der Präsident auch die Vermögenssteuer, an der Frankreich als eines von wenigen EU-Ländern festhält. Belgien etwa, wo der Schauspieler und Winzer Depardieu einen eher unansehnlichen Landsitz bezogen hat, besteuert die Vermögen gar nicht und Unternehmensgewinne sowie Erbschaften bedeutend weniger.

Wieviel Steuerflüchtlinge Frankreich verlassen haben, ist unbekannt. 2010 – vor den neusten Steuererhöhungen Sarkozys und Hollandes – verließen 717 Vermögenssteuerpflichtige das Land. Neuere offizielle Zahlen gibt es nicht. Ihr Verlust für Frankreich wird auf 50 bis 100 Milliarden Euro geschätzt. Allein in Belgien wohnen heute 200 000 Franzosen – zumindest während der Hälfte des Jahres: Laut dem bilateralen Steuerabkommen müssen sie dort 180 Tage im Jahr verbringen. Unter ihnen sind viele Firmenbesitzer wie Bernard Arnault, Chef des weltgrößten Luxuskonzerns LVMH. Pariser Spitzenmanager zieht es eher nach London, wo sie weniger Steuern zahlen. Betuchte Rentner wie Alain Delon, Charles Aznavour oder Alain Prost lassen sich vorzugsweise in der französischsprachigen Schweiz nieder.

Depardieu ist ein größeres Kaliber: Das lebende Monument des französischen Kinos verkörpert gallische Kultur, Lebensart – und Temperamentausbrüche. Erbost über den Kommentar von Premierminister Jean-Marc Ayrault, sein Exodus sei „erbärmlich“, kündigte der Obelix der Republik am Sonntag an, er werde die französische Staatsbürgerschaft niederlegen.

Das heizt die nationale Debatte über das liebe Geld und die Liebe zur Nation zusätzlich an. Vertreter der rot-grünen Regierungskoalition meinen verächtlich, Depardieu zeige seine „Dekadenz“; Hollande will in aller Hast das franko-belgische Steuerabkommen neu verhandeln. Die bürgerliche Rechte eilt Depardieu auch nicht zu Hilfe, obwohl Sarkozy in seiner Zeit als Geschäftsanwalt selber französische Tennisstars an Genfer Privatbanken vermittelt hatte – und dies vermutlich weniger legal als Depardieu. Vom späteren Präsidenten Sarkozy stammt auch der Spruch: „Entweder liebt man Frankreich, oder man verlässt es.“ Damit meinte er jedoch nicht vermögende Steuerflüchtlinge, sondern gewalttätige Immigrantensöhne aus den Vororten der großen Städte.

Dieselben Politiker, die mit der Hand auf der Brust die Marseillaise singen und nun über Depardieu den Stab brechen, deponieren ihr Geld im Stillen ebenso gerne in der Schweiz oder in Luxemburg. Wie der Onlineanbieter Mediapart Anfang Dezember mit einem Tonbandmitschnitt belegt, unterhielt sogar der derzeitige Finanzminister Jérôme Cahuzac – zuständig für die Bekämpfung der Steuerflucht – ein undeklariertes Konto bei der Schweizer Großbank UBS. Seltsamerweise leisten ihm auch konservative Politiker Schützenhilfe. Die meisten Pariser Medien bereiten den Mantel des Schweigens über die Cahuzac-Affäre. Denn sie offenbart wie auch der Fall Depardieus die Doppelmoral in der Steuerfrage: Man schimpft in Frankreich zwar öffentlich über das „unpatriotische“ Steuerexil der Reichen und Prominenten, tut aber selber alles, um sein eigenes Einkommen vor dem Fiskus zu schützen. Denn der ist nach französischem Verständnis der Feind – und Steuerhinterziehung sehen viele als eine Art Notwehr an.