Die Steuerschätzung sagt in den nächsten Jahren zusätzliche Einnahmen von 63 Milliarden Euro voraus. Dennoch hält der Finanzminister die Taschen zu. Er will nur den Ausgleich für die kalte Progression finanzieren.

Berlin - Bund, Länder und Gemeinden können bis 2022 mit zusätzlichen Steuereinnahmen von 63 Milliarden Euro rechnen. Damit fällt die aktuelle Steuerschätzung noch einmal günstiger aus als die letzte Prognose von November 2o17. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) warnte davor, angesichts des Handelsstreits mit der USA und der Unsicherheit um die Iran-Politik die gute Entwicklung weiter fortzuschreiben. „Wir müssen vorsichtig bleiben“, sagte Scholz bei der Vorstellung der Steuerschätzung in Berlin. Der Finanzminister widersprach Forderungen von Unionspolitikern, die sich für eine spürbare Steuerentlastung der Bürger ausgesprochen hatten. Dafür sei kein Geld vorhanden. „Ich hab’ das Gefühl, wenn man sagt, man hat einen bestimmen Betrag zusätzlich zur Verfügung, dass innerhalb von fünf Minuten eine vierhundertfache Überbuchung stattfindet“, meinte der Minister. Scholz hält vom kommenden Jahr an nur eine Mini-Entlastung von Bürgern und Unternehmen für möglich.

 

Einen Ausgleich für heimliche Steuererhöhungen

Wie schon unter dem letzten Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) soll es einen Ausgleich für die inflationsbedingten Mehreinnahmen des Staates geben. Scholz will die Bürger durch eine Kompensation für die kalte Progression entlasten: Die heimlichen Steuererhöhungen entstehen durch das Zusammenwirken von Teuerungsrate und progressivem Steuertarif.

Der Minister wollte die Entlastung nicht beziffern. Im Herbst soll der Bericht zu den Auswirkungen der kalten Progression fertig sein. Da die Inflationsrate nach wie vor niedrig ist, können die Bürger und Unternehmen bei der Einkommensteuer nur mit einer minimalen Steuerentlastung rechnen. In den vergangenen Jahren bewegte sich das Entlastungsvolumen bei ungefähr zwei Milliarden Euro jährlich. Das ist im Vergleich zum gesamten Steueraufkommen eine kleine Summe. Nach der Steuerschätzung wachsen die Steuereinnahmen des Staates in diesem Jahr auf 772 Milliarden Euro, das sind knapp acht Milliarden Euro mehr bei der November-Schätzung prognostiziert. Bis 2022 erhöhen sich die Steuereinnahmen auf 906 Milliarden Euro.

Von der guten Konjunktur profitiert besonders der Bund: Er kann bis 2022 zusätzliche Einnahmen von fast 31 Milliarden Euro erwarten. Für die Länder ergibt sich ein zusätzlicher Spielraum von 25 Milliarden Euro, für die Kommunen rund neun Milliarden Euro. Scholz trat aber Erwartungen entgegen, dass der Bund die unverhofften Mittel „eins zu eins“ wieder ausgeben könne. Bei der Aufstellung des Haushalts 2018 und der Finanzplanung habe die Bundesregierung die sprudelnden Steuereinnahmen bereits abgesehen und die höheren Einnahmen im Etat zum Großteil verplant. Rund 20 Milliarden Euro aus der zusätzlichen Finanzmasse des Bundes seien bereits für Ausgaben im Haushalt reserviert. Laut Scholz verbleibt ein Spielraum von 10,8 Milliarden Euro, der in den nächsten Jahren für neue Aufgaben verwendet werden soll.

Schnellerer Ausbau der Digitalisierung

Scholz will das Geld in drei Bereiche lenken. Erstens soll der Ausgleich für die kalte Progression finanziert werden. Zweitens will der Bund seine Investitionen in die digitale Infrastruktur erhöhen. Dafür stellt Scholz 2,4 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung. Er begründete dies damit, dass die Regierung ein digitales Investitionsprogramm plant, das mit den Versteigerungserlösen aus den Mobilfunklizenzen finanziert werden soll. Um die Zeit bis zu den Versteigerungen zu überbrücken, soll ein Fonds für Digitalinvestitionen eingerichtet werden. Mit Hilfe des Fonds soll der Breitbandausbau und die Digitalisierung von Schulen vorangetrieben werden. Drittens sollen mit den 10,8 Milliarden Euro wichtige Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag finanziert werden. Scholz nannte den Verteidigungs- und den Entwicklungshilfeetat. Die Union hatte eine Aufstockung dieser Etats verlangt. Die Erhöhung dieser Einzeletats werde sich aber „im überschaubaren Umfang“ bewegen, sagte Scholz.

Die Wirtschaftsverbände verlangen spürbare Entlastungen. „Da der Steuertopf des Staates noch praller gefüllt ist als ohnehin erwartet, kann die logische Antwort nur Entlastung und damit mehr Schub für Wachstum und Wettbewerb heißen“, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) stößt in dasselbe Horn: „Es gibt jetzt keine Ausrede mehr, Bürgern und Unternehmen steuerliche Entlastungen zu verwehren“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Die Grünen erklärten, die Ausgangslage für Finanzminister Scholz sei zwar besser als gedacht, doch der Finanzminister nutze sie nicht. Notwendig sei mehr Geld für Europa und die Bekämpfung der Armut.