50 bis 70 Milliarden Euro sollen dem Fiskus in Europa jedes Jahr durch die Lappen gehen, weil international tätige Konzerne geschickt die Gewinne dahin schleusen, wo die Steuersätze auf Unternehmensgewinne am niedrigsten sind.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Der grüne Finanzexperte Sven Giegold kämpft seit langem gegen Steuertricks von Konzernen. Seit Anfang dieses Jahres macht er aber nicht nur abstrakt auf die Schlupflöcher aufmerksam, sondern untersucht auch das Finanzgebaren von Firmen mit großen Namen. Mit Ikea ging es im Februar los, kürzlich war die deutsche BASF an der Reihe. Jetzt hat er sich die Holding ausgesucht, die hinter der spanischen Modekette Zara steht: Inditex. Dieser Konzern verkauft weltweit Textilien in 7000 Shops, er beschäftigt 150 000 Mitarbeiter. Die Textilien, die in Billiglohnländern wie Bangladesch, Marokko und der Türkei hergestellt werden, werden unter dem Namen von acht Marken, darunter Zara und Massimo Dutti, angeboten.

 

Der Grüne wirft dem Zara-Mutterkonzern vor, durch aggressive Steuergestaltung dem Fiskus in den Jahren 2011 bis 2014 585 Millionen Euro Körperschaftsteuer vorenthalten zu haben. Giegold kritisiert: „Inditex hat alle möglichen legalen Schlupflöcher genutzt und Gewinne in den Ländern versteuert, in denen es für das Unternehmen am günstigsten war.“ Sein Bericht werfe Zweifel auf, ob Inditex Gewinne dort versteuert hat, wo die Gewinne tatsächlich erwirtschaftet worden sind.

Konzern wehrt sich

„Kleidungsstücke von der Marke Zara scheinen vor dem Verkauf erst durch halb Europa zu tingeln, um besonders günstige Steuermodelle zu nutzen.“ Die Rechnung dafür zahlten die Steuerzahler in Spanien, wo das Geld des Konzerns in den Staatskassen fehlt.

Der Konzern, der 2015 einen Jahresumsatz von 21 Milliarden sowie einen Gewinn von 2,9 Milliarden Euro erzielt hat, wehrt sich. „Die Inditex-Gruppe hat zwischen 2011 und 2015 effektiv zwischen 22 und 24 Prozent der Gewinne als Steuern abgeführt“, heißt es in einer Reaktion. Der Prozentsatz bei der Körperschaftsteuer variiere von Land zu Land. In Spanien betrage er 25 Prozent, 20 in Großbritannien und 28 in Deutschland. Zwischen 2011 und 2015 habe Inditex weltweit 4,4 Milliarden Euro Körperschaftsteuer gezahlt. Hinsichtlich der angeblich zu wenig gezahlten Steuern in Höhe von 585 Millionen Euro wirft Inditex Giegold vor, von falschen Annahmen auszugehen. Giegold habe Inditex vorgeworfen, durch die Übertragung von Rechten an Geschäftsmustern an eine Tochterfirma in Höhe von 1,47 Milliarden Euro den spanischen Staat Steuerzahlungen in Höhe von 84 Millionen Euro vorenthalten zu haben. „Die Wahrheit ist“, heißt es in der Stellungnahme von Inditex, „dass allein diese Transaktion dem spanischen Fiskus Einnahmen in Höhe von 360 Millionen Euro gebracht hat“.

Kompliziertes Firmengeflecht

In seiner 35 Seiten langen Ausarbeitung zeichnet Giegold das komplizierte Geflecht von Mutter- und Tochterfirmen auf, das Inditex in vielen Ländern Europas aufgespannt hat. Mit Hilfe von zwei Steuerexperten, die ihre Karriere in der spanischen Finanzverwaltung begonnen haben, habe der Konzern sich so aufgestellt, dass er von den niedrigsten Körperschaftsteuersätzen in Europa am meisten profitieren könne. Dabei gelinge es dem Unternehmen offensichtlich, Gewinne gezielt in den Ländern anfallen zu lassen, in denen die Besteuerung von Unternehmensgewinnen gering ist. Im Fall des Zara-Mutterkonzerns spielten die Niederlande eine Schlüsselrolle. Dort werden Einnahmen aus Lizenzgebühren nur mit einem Steuersatz von 15 Prozent belegt. Giegold weist darauf hin, dass die niederländische Inditex-Tochter zwischen 2011 und 2014 Lizenzgebühren von anderen Tochterunternehmen in Höhe von 3,7 Milliarden Euro kassiert habe. Mit nur 201 Angestellten habe diese Tochter einen Gewinn in Höhe von 1,7 Milliarden Euro kassiert. Irland mit dem an sich niedrigen Steuersatz von 12,5 Prozent sei von einer weiteren Tochter genutzt worden, die sich auf Finanzdienstleistungen im Konzern spezialisiert habe. In der Schweiz, wo Gewinne von Körperschaften mit 8,5 Prozent versteuert werden, sei die Gesellschaft angesiedelt, die die Textilien ankauft und dann an die nationalen Tochtergesellschaften weiterverkauft.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat bei seinem Amtsantritt den Kampf gegen aggressive Steuervermeidung ganz oben auf seine Agenda gesetzt. Die EU-Kommission hat etwa bis dato geheime Steuerabsprachen zwischen Unternehmen und den nationalen Finanzbehörden ermittelt und in Einzelfällen beanstandet. 2019 soll EU-weit eine Richtlinie gegen aggressive Steuervermeidung in Kraft treten, die die in Deutschland bereits geltende Hinzurechnungsbesteuerung einführt. Damit wird es für einen Konzern steuerlich nicht mehr interessant, Aufwendungen für Forschung und Innovation außerhalb der EU anfallen zu lassen. Giegold fordert mehr. Er verlangt eine Untergrenze für die Körperschaftsteuer in der EU, um Steuerdumping zu stoppen. Die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Unternehmensgewinnen soll vereinheitlicht werden. Außerdem sollen die in mehreren Ländern operierenden Konzerne veröffentlichen, wie viel (oder wenig) Steuern sie je Land zahlen.

Die nächste Studie zu den Steuerpraktiken eines Unternehmens hat Giegold schon in Arbeit.