Der stumme Michael ist Tresorknacker. Mit groben Methoden gibt er sich nicht ab. Er ist ein Künstler des illegalen Öffnens. Seine Kumpane sind leider robuster.

Stuttgart - In der Hölle für Bücherschänder steht eine Wanne widerlich stinkenden Billigschaumbads. In der kalten Brühe muss ewig schlottern, wer zu Lebzeiten wichtige Elemente von Büchern, die der Autor bedacht verbirgt, krähschnablig ausplaudert. Beim Droemer-Verlag hat jemand eine feste Reservierung fürs Horrorbad.

 

Augen zu beim Bücherkauf

Steve Hamiltons Safeknackerroman „Der Mann aus dem Safe“ nutzt einen Ich-Erzähler mit Trauma. Michael hat seit seinem achten Lebensjahr kein Wort mehr über die Lippen gebracht. Mittlerweile beherrscht er zwar die Taubstummensprache, aber am liebsten kommuniziert er mittels ganz knapper Gesten. ja, nein, vielleicht. Auch innerhalb der Welt der Stummen ist Michael noch ein schweigsamer Typ.

Was ihm einst widerfahren ist, verrät er lange weder den Leuten, mit denen er zu tun hat, noch uns Lesern. Der Anlocktext von Droemer aber posaunt dieses Geheimnis schon im ersten Satz hinaus. Man stolpert darüber, wenn man bei einem Online-Buchhändler auch nur einen Blick auf das Buch riskiert. Vorsicht also beim Kauf: ohne Hinschauen in den virtuellen Warenkorb oder die reale Einkaufstasche packen und bei der Lektüre sofort die erste Seite aufschlagen!

Böses tun, ohne es zu wollen

„The Lock Artist“, so der Originaltitel, ist die mustergültig unaufgeregt erzählte Geschichte einer jungen Liebe, eines extremen Außenseitertums und des unfreiwilligen Einstiegs in eine Berufsverbrecherkarriere. Steve Hamilton, der noch nie ein schwaches Buch abgeliefert hat, wechselt dabei zwischen mehreren Zeitebenen.

Michael berichtet aus dem Knast: wir wissen also vom Beginn an, dass letztlich alles schief gelaufen ist. Er zeigt uns im Rückblick einen jungen Stummen, der versucht, seinen Platz an der Schule zu finden. Er berichtet auch von Michaels späterer Inkarnation als begnadeter Safeknacker. Und er erzählt von jenem Sommer, in dem ein schüchterner Schüler ins Verbrechen gedrängt wird. In keinem Moment wird das ein sozial besorgter Text der Entschuldigungen und Verantwortungsabweisungen. Genau darum aber wird glaubhaft, dass Michael Böses tut, ohne Böses zu wollen.

Ertasten, erlauschen und knacken

Als Michael ein faszinierendes Mädchen trifft, stellt sich die Frage, wie er ihr seine Gefühle vermitteln soll. Er entscheidet sich für kleine Zeichnungen, um nicht zu sagen, Fortsetzungen eines autobiografischen Comics, die er ihr mit Hilfe allnächtlichen Schlossknackens heimlich ins Haus legt. Es geht also tatsächlich vor allem um Kommunikation in „Der Mann aus dem Safe“ – auch Michaels Tresorknackermethode beruht auf genauem Hinhören, sensiblem Ertasten und vorsichtigem Senden von Signalen. Er arbeitet nicht Schweißbrenner, Dynamit oder Diamantbohrer. Er will, dass der Tresor seinem Feingefühl die Kombination preisgibt.

Die Typen, in deren Dienste er sich stellen muss, haben eine weniger sensible Auffassung ihres Gewerbes. Ihnen geht es um die Wertsachen im Tresor, nicht um das Spiel mit dem Schloss. „The Lock Artist“ bietet also auch, wie es der Originaltitel verspricht, eine fettfreie Variante des Künstlerromans, die Geschichte eines Empfindsamen in einer Welt der Rohlinge.

Steve Hamilton: „Der Mann aus dem Safe“. Droemer, München. 464 Seiten, 16,99 Euro. Auch als E-Book, 14,99 Euro.