Die Frauenhoffer-Stiftung bringt das schnelle Internet in kleine Orte. Auch Nehren im Kreis Tübingen soll nun online gehen - mit Spendengeldern.

Nehren - Es war kein Strohfeuer, das nach ein oder zwei Tagen erlischt, wie von dem Nehrener Bürgermeister Egon Betz befürchtet. Denn fast jeden Morgen während der letzten zehn Wochen lagen Spendenzusagen im Briefkasten des Rathauses der kleinen Gemeinde im Kreis Tübingen. "Mal zehn, mal zwanzig Euro von Privatleuten", erzählt Betz, mitunter größere Summen von Firmen und Vereinen. Und so schnellte ein "Spendenticker" täglich um einige Tausend Euro nach oben. Auf einer Bürgerversammlung mit 300 Leuten im November kamen sogar 40.000 Euro zusammen. Und wozu das alles? Genau 115.000 Euro verlangt die Telekom zur Deckung einer "Wirtschaftlichkeitslücke", um Teile des 4000-Einwohner-Ortes mit einem schnellen Internetzugang zu versorgen. Es ist geschafft: Spendenzusagen über knapp 120.000 Euro liegen vor.

 

"Bisher sind zwei Drittel unseres Ortes mit Kabel-BW-Anschlüssen sehr gut vernetzt", berichtet Egon Betz, "ein Drittel hat dagegen nix." Nichts heißt in diesem Falle eine Datenleitung mit einer Geschwindigkeit von weniger als einem MBit/s, selbst Unternehmen begnügen sich mit einer ISDN-Leitung. "Da brennen manche Firmen ihre Daten auf eine CD und verschicken die dann." Betz berichtet von Heimarbeitsplätzen, die nur mit schnellem DSL möglich sind. Und er erzählt von älteren Leuten, die ihre Enkel über Skype erreichen wollen. Seine Empörung über den Datentransfer über einen "Feldweg" ist deutlich zu spüren. Um im Sprachbild des Bürgermeisters zu bleiben: nun kommt der "Autobahnanschluss" für alle.

Viele Haushalte sind abgehängt

Gut versorgt ist bereits, wer vor Jahren einen Kabel-BW-Anschluss bestellt hat. Das Unternehmen verlegte dementsprechend seine Leitungen. Wer jetzt auf diesen Zug aufspringen will, muss alle Anschlusskosten übernehmen, je nach Entfernung zu einer Leitung können das fünfstellige Beträge werden. Und so kommt es, dass viele Haushalte abgehängt sind.

Herbert Nemeczek wollte das nicht hinnehmen. Der seit 1977 in Nehren wohnende Leiter des Rechenzentrums der Hochschule Reutlingen gründete 2008 eine Bürgerinitiative mit dem Ziel, auch das letzte Drittel des Ortes an die moderne Datenwelt anzuschließen. Er hat viele Gespräche geführt, aber wenig erreicht.

"Zuschussanträge sind wenig zielführend"

Bewegung kam mit dem Anfang 2011 neu gewählten Bürgermeister Betz. Der fand heraus: "Zuschussanträge sind wenig zielführend, schließlich gilt Nehren als voll versorgt, weil zwei Drittel des Ortes einen guten Internetzugang haben." Hinzu kam: wer gefördert werden will, der muss europaweit ausschreiben. Wer dann eine Leitung mit zweiMBit/s am günstigsten anbietet, der muss den Zuschlag erhalten. "Zwei MBit als Untergrenze für die Förderung, das ist doch lächerlich", kommentiert EDV-Spezialist Nemeczek, den Betz gerne als seinen Mitstreiter bezeichnet.

Guten Rat erhielt der Bürgermeister von Martin John von der Deutschen Telekom: "Es gibt da eine Stiftung, die sich die Förderung von Datennetzen im ländlichen Raum zum Ziel gesetzt hat." Zunächst war Betz skeptisch. Er erkundigte sich nach der Rechtmäßigkeit, das Datennetz mit Hilfe der Franz-und-Regine-Frauenhoffer-Stiftung" aufbauen zu lassen. Nach positiven Rückmeldungen nahm er Kontakt mit dem Ehepaar Frauenhoffer auf. In Nehren fanden die Frauenhoffers und Egon Betz schnell zueinander, alsbald waren erste Unternehmer überzeugt. Schecks wurden ausgestellt.

"Rechtliche Komfortzone"

Das Prinzip erklärt Franz Frauenhoffer so: "Die Stiftung wird Vertragspartner eines Betreibers. Gemeinsam werden die Rahmenbedingungen ausgehandelt." Und zwar in einer "rechtlichen Komfortzone" im Vergleich zum engen rechtlichen Rahmen einer Kommune, wie Frauenhoffer betont. "Wir unterliegen dem Privatrecht, wir müssen nicht das billigste Angebot nehmen." Im Falle von Nehren wurde mit drei Unternehmen verhandelt. Die Telekom erhielt den Zuschlag, auch weil dieser Anbieter schon seit einiger Zeit viele sogenannte Leerrohre im Ort verlegt hatte. "Auf nicht mal einen Kilometer Länge muss gebuddelt werden", sagt Betz.

Das Geld für ein Projekt erhält die Stiftung von den Spendern. Vorteil für die Geldgeber: dank der Gemeinnützigkeit können sie die Beträge steuerlich absetzen. Franz Frauenhoffer hält fest: "Wir verdienen keinen Cent." Ein Detail am Rande: zur Verwunderung des Bürgermeisters ließen sich die Frauenhoffers für keine ihrer vier Fahrten von Oberschwaben nach Nehren die Kosten ersetzen.

1000 Euro aus der eigenen Tasche

Das Loch mit Hilfe der Gemeindekasse zu stopfen hätte EU-Recht widersprochen. Insofern stellte sich nicht der Bürgermeister Betz, sondern der Bürger Betz an die Spitze der Bewegung und sagte 1000 Euro aus der eigenen Tasche zu. Der Neu-Nehrener warb in vielen Unternehmen für diese Idee. "So habe ich manchen Betrieb schneller als geplant von innen kennengelernt", erklärt Betz.

Telekom-Mann John sagt klipp und klar: "Die Frauenhoffer-Stiftung ist die einzige Organisation in ganz Deutschland, mit der wir so etwas machen." Nehren sei ein außergewöhnliches Projekt, einmal weil eine so hohe Summe aufgebracht wurde und zweitens binnen so kurzer Frist. In rund zwanzig, meist noch viel kleineren Orten als Nehren hat sich der digitale Informationsfluss dank der Stiftung bereits drastisch beschleunigt. In Nehren soll Ende 2012 jedem Haushalt ein Anschluss über Glasfaserkabel angeboten werden. Der Bürgermeister ist zufrieden und sagt: "Ein schnelles Internet gehört zur Daseinsvorsorge wie Strom, Wasser und Abwasser."

Die Frauenhoffer-Stiftung

Franz Frauenhoffer: Der Bad Saulgauer arbeitete zwei Jahrzehnte lang als Abteilungsleiter im Materialeinkauf für IT-Systeme bei Daimler. Vor einigen Jahren erhielt er beim Ausscheiden aus dem Unternehmen eine Abfindung, die er hätte er versteuern müssen. Frauenhoffer fand einen anderen Weg, bei dem er Einfluss darauf hat, was das Geld bewirkt: Er gründete 2007 mit einem großen Teil der Summe die Franz-und-Regine-Frauenhoffer-Stiftung in Ostrach (Kreis Sigmaringen) mit dem Ziel, das Angebot moderner Informationstechnologie auf dem Land zu verbessern.

Projekte: Die Frauenhoffer-Stiftung ist an mehr als hundert Projekten auch in ganz kleinen Ortschaften beteiligt. „20 Projekte wurden bereits realisiert“, berichtet Frauenhoffer. Die Anfragen kommen aus dem ganzen Land. „Das alles hat eine eigene Dynamik entwickelt“, sagt er. Zahlreiche Bürgerinitiativen für ein schnelles Internet arbeiten bereits mit der Stiftung zusammen.

Nehren: Die Telekom verlegt Glasfaserkabel von der Vermittlungsstelle Mössingen zu Kabelverteilern in Nehren. Dort wird jeweils ein Outdoor-DSLAM angeschlossen. Die Orte sind so gewählt, dass im Gemeindegebiet fünf bis 50 MBit/s möglich sind.