Zu Fuß gehen hat eine therapeutische Wirkung. Davon ist der Psychologe Fred Christmann überzeugt. Für den Westen hat er nun einen besonderen Spaziergang entwickelt.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

S-West - Fred Christmann lebt im Stuttgarter Westen und ist dort viel mit seinem Hund unterwegs. Auf seinen Streifzügen ist ihm die Idee für eine Art „psychologischen Spaziergang“ gekommen. Dieser führt von Botnang auf einem abgelegenen Pfad auf den Monte Scherbelino. „Uns geht es nicht nur darum, schöne Spaziergänge zu zeigen“, sagt Christmann. Der 69-jährige ist promovierter Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Sein therapeutischer Schwerpunkt waren Ängste. Er hat Bücher verfasst und ein Verhaltenstherapiezentrum in Stuttgart aufgebaut. Seit er offiziell im Ruhestand ist, führt er mit seinem Sohn die Stiftung Psyche an der Johannesstraße 75.

 

Die Stiftung Psyche bietet auch geführte Spaziergänge zu großen Themen des Lebens an

In dem dortigen Ausstellungsraum können sich Besucher über psychologische Experimente informieren und so vielleicht auch Zugang zu ihren eigenen Emotionen oder gar auch Problemen finden. Weil das so erfolgreich ist, plant er eine Vergrößerung der Stiftung Psyche. Man hat eine Villa auf der Uhlandshöhe gekauft. Voraussichtlich im Frühjahr zieht die Stiftung um. „Da haben wir dann noch mal ganz andere Möglichkeiten“, sagt Christmann. Allein bei der Stuttgart Nacht seien die Leute draußen Schlange gestanden.

Ein Kernstück der Arbeit der Stiftung sind – und das wird auch im Osten so bleiben – Spaziergänge zu besonderen Themen durch Stuttgart, die zum Beispiel „Orte der Angst und ihre Bewältigung“, „Wege zum Ich“ oder „Auf den Spuren von Hans im Glück“ heißen. Immer geht es darum, sich selbst besser kennenzulernen. Das ist auch das Ziel der Stiftung. Und Christmann schreibt besonders dem Spazierengehen eine therapeutische Wirkung zu. Vor allem die Bewegung in der Natur habe einen hohen Erholungswert. Rund 40 Minuten zügiges Gehen täglich könne sogar Ängste und Stress-Symptome lindern.

Sein neuer Spaziergang ist als Weg gedacht, den man alleine geht. Der Titel dazu lautet „Lebensweg – von der Quelle bis zum Gipfel“ und soll eine Art Rückschau auf das eigene Leben sein. Der Weg ist drei Kilometer lang und führt von der Haltestelle Lindpaintnerstraße in Botnang zum Quellgebiet des Metzgerbachs über den Birkenkopf zum Monte Scherbellino. Die Idee dazu kam ihm , weil sich viel „tut in Europa und der Welt“, sagt Christmann und ergänzt: „Die Reflexion der eigenen Lebensgeschichte kann helfen, trotz ständiger Veränderungen eine eigene, stabile Identität zu formen.“

Das eigene Leben zu reflektieren, kann dabei helfen, ein Veränderungen besser auszuhalten

Dabei geht es um die Frage: Wie wollen wir leben? Die Stationen orientieren sich deshalb an den Entwicklungsstufen im Leben, die jeder Mensch durchläuft: Der Übergang in die Kindergartenzeit und damit die erste Ablösung von der Familie, die Grundschulzeit, die Jahre als Teenager, als junger Erwachsender, dann die Lebensphase zwischen 30 und 45 Jahren, wo beruflich und privat die ersten langfristigen Weichen gestellt werden und dann die spätere Lebensphase zwischen 45 und 65 Jahren.

Die letzte Station ist der Monte Scherbelino. Doch der Spaziergänger soll dort oben nicht nur die Aussicht genießen. „Zuerst halte ich die Leute an, in die andere Richtung zu schauen, eine neue Perspektive einzunehmen.“ Denn das sei ein wichtiger Bewältigungsprozess. „Dass ich anders auf mein Leben schaue“, sagt Christmann. Dazu hat er auch ein Beispiel parat: So habe er einst auf dem Kirchentag in Stuttgart eine strenggläubige Familie aus Bayern kennengelernt. Die schimpften nur über Stuttgart: zu viel Müll, zu viele Ausländer. Als guter Psychologe wollte er die Familie so nicht heimfahren lassen: „Die waren einfach fremd mit dem großstädtischen Leben.“ Das hatte sie überfordert. Dabei sei Stuttgart ja doch eher überschaubar. Das habe er ihnen alles gezeigt. „Und was für die einen Ausländer sind, sind für uns einfach Mitbürger, schlicht weil sie keine kennen.“

Der Psychologe regt auch einen Perspektivenwechsel an

Vielen mag das etwas banal vorkommen, mancher fragt sich, was soll mir so ein Spaziergang helfen? Christmanns Ansatz ist es, die Menschen dazu anzuregen, sich immer wieder selbst zu fragen, was die eigenen Bedürfnisse im Leben sind.