Der Islamunterricht an Schulen kann weitergehen. Doch was aus den in Tübingen ausgebildeten Lehrern wird, ist ungewiss. Jetzt bleibt ein Jahr Zeit, offene Fragen zu klären.

Stuttgart - Das Kabinett will am kommenden Dienstag den Weg für die Fortsetzung des islamischen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg freimachen und dafür die Stiftung sunnitischer Schulrat gründen. Es wurde ein Kompromiss zwischen den Kultusministerium und dem Wissenschaftsministerium erzielt. Doch es gibt noch Gesprächsbedarf.

 

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht das 2011 gegründete Zentrum für islamische Theologie an der Universität Tübingen, das unter anderem islamische Religionslehrer für Gymnasien ausbildet. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) hatte sich dagegen gewehrt, die Lehrerausbildung an dem Zentrum sofort unter das Dach der Stiftung zu stellen, die den Islamischen Religionsunterricht an den Schulen künftig organisieren soll.

Religionsunterricht sunnitisch geprägt

Das Problem ist, dass der Islamunterricht bisher überwiegend an Grund- und Hauptschulen angeboten wird und sunnitisch geprägt ist. Die islamische Religionslehre in Tübingen ist nicht bekenntnisgebunden, erklärt Bauer. Im Wintersemester 2018/19 waren laut Bauer 227 Studierende an dem Zentrum in Tübingen eingeschrieben. 90 von ihnen studieren islamische Theologie auf Lehramt. Bisher wird in Tübingen nicht nach ihrem Bekenntnis gefragt. Auch Schiiten könnten dort Lehramt studieren.

Die Stiftung soll die Rolle übernehmen, die beim christlichen Religionsunterricht die Kirchen haben. Der Stiftungsvorstand soll die Bildungspläne beschließen, Religionsbücher zulassen und über die Lehrbefugnis für Lehrer und Hochschullehrer entscheiden. Das geht aus der Kabinettsvorlage hervor, die unserer Zeitung vorliegt. Bauer und die Uni Tübingen befürchten, dass die Stiftung sunnitischer Schulrat die Tübinger Absolventen nicht als Religionslehrer akzeptieren könnte. Das könnte das Ende der Gymnasiallehrerausbildung am Tübinger Zentrum bedeuten.

Uni sorgt sich um ihren Studiengang

Jetzt gibt es eine Übergangsregelung von einem Jahr. Die Ausbildung der Islamlehrer in Tübingen soll erst im August 2020 unter das Dach der Stiftung kommen. Das begrüßt Bernd Engler, der Rektor der Universität Tübingen vorsichtig zurückhaltend. „Diese Entscheidung gibt allen Beteiligten den nötigen Raum, um die zahlreichen offenen Fragen in Ruhe und ohne Zeitdruck zu beraten und zu entscheiden“, erklärte er auf Anfrage. Die Universität unterstütze ein Modell, das die nötigen rechtlichen Grundlagen für Islamunterricht an den Schulen biete. Engler betont jedoch: „Ein solches Modell darf aber die erfolgreiche Arbeit des Zentrums für islamische Theologie und ihres Beirats nicht konterkarieren oder gar gefährden.“

Gesprächsbedarf sieht auch Bauer. So müsse geklärt werden, was mit Professoren geschieht, die jetzt Religionslehrer ausbilden, aber von der neuen Stiftung nicht die Lehrerlaubnis erhalten. „Es muss eine Regelung gefunden werden, wo diese Professoren arbeiten können“, verlangt Bauer. Das könnte liberale Islamwissenschaftler wie den Freiburger Professor Abdel-Hakim Ourghi treffen. Auch die Freiheit der Wissenschaft müsse gewahrt bleiben, sagt Bauer.

Grundsätzlich wendet sich die grüne Ministerin gegen den Vorwurf, sie habe eine Einigung blockiert. Auch „die schrillen Töne erklären sich mir nicht“, sagte sie unserer Zeitung.

Bauer lobt Theologie des Tübinger Zentrums

Sie beanstandet jedoch, dass das Tübinger Zentrum in der Vorbereitung der Entscheidung nicht einbezogen worden sei. „Es ist mir ein Anliegen, dass das Zentrum für islamische Theologie nicht ohne Not diskreditiert wird“, sagte Bauer. Sie sieht die Gefahr, dass das Zentrum beschädigt werden könnte, wenn es ohne Gespräche unter das Dach der neuen Stiftung gestellt worden wäre. Das renommierte Zentrum betreibe „kritische, aufgeklärte Theologie“ und habe es verdient, dass man anständig mit ihm umgehe. „Das sind keine finsteren Fundis“, betont die Ministerin. In der Koalition hatte es Differenzen gegeben, weil in dem Beirat des Tübinger Zentrums die umstrittene Organisation Ditib vertreten ist.

In der Kabinettsvorlage ist vorgesehen, dass Studenten und Referendare „keine unbillige Härte“ erfahren sollen, falls sie keine Lehrbefugnis bekommen.

Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) zeigt sich erleichtert, dass das Wissenschaftsministerium dem Kompromiss zugestimmt hat. „Die Einigung ist wichtig und zwingend notwendig, damit wir den islamischen Religionsunterricht im neuen Schuljahr fortführen und dieses wichtige Angebot weiter ausbauen können“, erklärte sie. Es sei „zentral, dass die Zuständigkeit für Bekenntnisfragen bei der Lehrerausbildung für alle Schularten in einer Hand liegt“. Deshalb müsse diese Zuständigkeit vom Zentrum für islamische Theologie an die Stiftung übergehen.

Stiftungsmodell für sechs Jahre

Die Stiftung soll zum 1. August eingerichtet werden, das Modell ist zunächst für sechs Schuljahre angelegt. Das Land will drei Mitarbeiter finanzieren. Ohne Einigung hätte der islamische Religionsunterricht in Baden-Württemberg nicht fortgeführt werden können. Er ist seit 2006 Lehrfach im Südwesten. Derzeit sind 86 Schulen dabei, 6054 Schüler nehmen teil. Weitere 50 Schulen zeigen laut Kultusministerium Interesse, sie haben aber nicht die notwendigen Lehrer.

An der Stiftung, mit der Baden-Württemberg der Kultusministerin zufolge „beispielgebend für ganz Deutschland ist“, beteiligen sich der Landesverband der islamischen Kulturzentren Baden-Württemberg (LVIKZ) und die islamische Glaubensgemeinschaft der Bosniaken. Der größte Verband, Ditib, hatte sich trotz erheblicher Bemühungen auch von Ministerpräsident Kretschmann nicht für eine Teilnahme entschieden.

Für die Fortsetzung des islamischen Religionsunterrichts sieht das Land für die Jahre 2020 und 2021 jeweils 300000 Euro vor. Darüber soll in den anstehenden Haushaltsverhandlungen entschieden werden.

Vorstandsmitglieder aus Stuttgart und Ulm

Die Stiftung wird von einem fünfköpfigen Vorstand geführt. Wie aus der Kabinettsvorlage hervorgeht, sind dies der ehemalige Ulmer Imam Bilal Hodžić, der Mitglied der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken ist, und Seyfi Öğütlü aus Köln, der Vizepräsident des Verbandes der Islamischen Kulturzentren. Ebenso sind vorgesehen: der saarländische islamische Religionslehrer Akin Aslan, die Stuttgarter muslimische Pädagogin Emina Čorbo Mešić und Zekirija Sejdini, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Innsbruck.