Forschung, Bildung, Soziales oder Kultur: Stiftungen finanzieren mit Milliarden wichtige Teile des Gesellschaftslebens. Doch die Magerzinsjahre fressen an den Stiftervermögen, manche Rücklage ist aufgebraucht. Eine Bestandsaufnahme.
Stuttgart - Im Dickicht des deutschen Stiftungswesens fällt der Durchblick schwer. 19 551 gemeinnützige Stiftungen gibt es nach den aktuellsten Erhebungen, knapp 3000 davon in Baden-Württemberg. Das geht von der Achim-Stocker-Stiftung Freiburger Fußballschule, die sich um den Nachwuchs des Bundesligisten kümmert, bis zur ZEAG-Kindergartenstiftung in Kirchheim am Neckar, benannt nach dem Heilbronner Energieversorger. Alle zusammen, die Stiftungen des privaten Rechts, die Kommunalstiftungen (derzeit 1257), die gemeinnützigen Gesellschaften, die Vereine sowie die Treuhandstiftungen (deren genaue Zahl ist unbekannt), halten bundesweit ein geschätztes Gesamtvermögen von 100 Milliarden Euro.
Eine ganze Reihe dieser wohltätigen Einrichtungen eint der Wille, ihr Geld möge im Verborgenen wirken. Dass Stiftungen öffentlich bilanzieren, ist nicht die Regel, bei manchen Stiftungen fällt es schwer, überhaupt eine Telefonnummer zur Kontaktaufnahme herauszubekommen. Es gibt eben nicht wenige vermögende Menschen, die Gutes tun wollen, ohne darüber zu reden – und das auch in den Satzungen ihrer Stiftungen festschreiben lassen. So droht aktuell ein Problem unter dem Teppich zu bleiben, für das die Stiftungen nicht in erster Linie verantwortlich sind, das aber viele intern nötigt, sich die Existenzfrage zu stellen: Die häufig konventionell angelegten Stiftungsvermögen werfen in Zeiten von Magerzinsen nur noch so wenig Geld ab, dass der Stiftungszweck nicht mehr erfüllt werden kann.
Die bekannteste deutsche Stiftung ist die Stiftung Warentest
Die ersten Alarmsignale kamen Ende des vergangenen Jahres von den ganz Großen, auf denen die Blicke einer breiten Öffentlichkeit ruhen. Als im Oktober 2012 die Namen der Nominierten zur Nobelpreisverleihung bekanntgegeben wurden, da kündigte die ruhmreiche Nobelstiftung zugleich an, dass die Preisgelder reduziert würden und das Festbankett schmaler ausfallen müsse. Die Preisgelder kommen aus den Erträgen des heute rund 300 Millionen Euro schweren Stiftungsvermögens, dessen Grundstock 1895 der schwedische Industrielle Alfred Nobel einbrachte. Nun musste die Stiftungsleitung einräumen, sich mit ausländischen Hedgefonds verspekuliert zu haben. Wegen starker Schwankungen am Aktienmarkt und Währungsverlusten aus Auslandsanlagen sei die Jahresrendite über die zurückliegende Dekade gerechnet auf nur noch 1,1 Prozent zusammengeschrumpft.
Die bekannteste deutsche Stiftung ist die 1964 gegründete Stiftung Warentest; sie erstaunte Ende 2012 die interessierten Kreise, als sie den ersten Verlust ihrer Geschichte meldete. 1,3 Millionen Euro betrug das Defizit. Wegen der niedrigen Zinssätze habe die Stiftung ihr Grundkapital von 50 Millionen Euro nur noch mit 2,5 Prozent verzinsen können, hieß es. Budgetiert hatten die Warentester jedoch mit einer Verzinsung in Höhe von fünf Prozent. Schnell machten Warnungen die Runde, die Stiftung drohe ihre Unabhängigkeit zu verlieren.
Die unternehmensnahen Stiftungen haben keine Probleme
Unberührt von dem mickrigen Zinsniveau sind die unternehmensnahen Stiftungen. Die größte in Deutschland ist die gut fünf Milliarden Euro schwere Robert-Bosch-Stiftung. Deren Sprecherin Julia Rommel teilt mit, das Zinsniveau sei „von untergeordneter Bedeutung“. Die Stiftung lebt von der Dividende, die ihr aus der Beteiligung an der Robert Bosch GmbH zufließt, keines der wohltätigen Projekte, die für 2014 geplant seien, müsse leiden, heißt es.
Frohe Kunde auch von der bundesweiten Nummer zwei unter den Stiftungen privaten Rechts, der Dietmar-Hopp-Stiftung, die als gemeinnützige GmbH eingetragen ist. „Einbußen gab es bisher nicht“, sagt Katrin Tönshoff, Geschäftsstellenleiterin am Stiftungssitz in St. Leon-Rot. Kein Wunder: das Vermögen der Dietmar-Hopp-Stiftung – gut 4,3 Milliarden Euro – besteht fast ausschließlich aus Aktien der SAP AG, die Mäzen Hopp zur Stiftungsgründung aus seinem Privatvermögen eingebracht hat. Für soziale Zwecke steht die Aktiendividende zur Verfügung, und diese hat sich in den vergangenen Jahren erfreulich entwickelt.
Stiftungen mit kleinem Kapitalstock sind gefährdet
Für alle Stiftungen, denen aber Ungemach droht, hat der Bundesverband Deutscher Stiftungen ein 7-Punkte-Papier mit dem Titel „Niedrige Zinsen – was tun?“ erarbeitet. Dringend empfohlen wird eine „strategische Vermögensverwaltung“. Gerade Stiftungen mit kleinem Kapitalstock seien jetzt gefährdet, heißt es beim Verband.
Eine Stiftung zum Beispiel wie die Ernst-Jünger-Stiftung der Kreissparkasse Biberach. Ihr Zweck ist der Betrieb und Erhalt der Dichtergedenkstätte im oberschwäbischen Wilflingen. Es handelt sich um die Oberförsterei, in der Jünger bis zu seinem Tod gelebt und gearbeitet hat. Wie der Biberacher Bankfachmann und Stiftungsleiter Georg Stickel sagt, ist mittlerweile das Stiftungskapital von 600 000 Euro auf mehr als eine Million aufgestockt worden. Noch profitiere die Stiftung von „hochverzinslichen Sparkassenbriefen“, doch wenn deren Laufzeit zu Ende sei, müssten Alternativen her, Rohstoffaktien zum Beispiel. Auch an die Vermietung einer Immobilie, die Jüngers 2010 verstorbene Ehefrau in die Stiftung eingebracht hat, wird inzwischen gedacht. „Das wird kein Selbstläufer“, warnt Georg Stickel. Langfristige Verpflichtungen will er meiden.
Keiner weiß, wie lange der Niedrigzinsen noch anhalten
Niemand weiß, was passiert, wenn die Magerzinsjahre noch lange so weitergehen. Die Nobelstiftung hat kürzlich angekündigt, sie werde in Zukunft Spenden einsammeln müssen, um die Kapitalerträge aufzufüttern. Bei der Stiftung Warentest ist der Mut zurückgekehrt. „Die Stimmung ist gut“, sagt die Stiftungssprecherin Heike van Laak. Dieses Frühjahr half das Verbraucherschutzministerium mit einer Finanzspritze in Höhe von 400 000 Euro. Der Verkauf des Testheftes und das Geschäft mit bezahlpflichtigen Artikeln im Internet habe gesteigert werden können. Es sehe 2013 so aus, sagt die Sprecherin, „ als ob wir wieder ein leichtes Plus erwirtschaften“.