Die Finanzkrise setzt kleineren und mittleren Stiftungen zu: Mit 33 Neugründungen im Regierungsbezirk war der Zuwachs 2012 so gering wie lange nicht mehr. Der Stiftungsboom hatte ebenso seine Gründe wie die aktuelle Abkühlung.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Jugendfreizeiten für Kinder aus bedürftigen Familien, Vorleseprojekte, die Förderung von Migrantenkindern, Hilfen für Wohnungslose oder der Bau von Einrichtungen für pflegebedürftige oder behinderte Menschen: im Bereich der Bildungs- und Sozialarbeit werden viele Projekte erst durch Stiftungen möglich. Wie die gesamte Republik hat auch die Region Stuttgart in den vergangenen Jahren einen Stiftungsboom erlebt. Im Regierungsbezirk ist die Zahl der Stiftungen seit dem Jahr 2000 von 593 auf 1166 im Vorjahr gestiegen (461 davon in Stuttgart), das entspricht praktisch einer Verdoppelung. Deren Vermögen beträgt nach Angaben des Regierungspräsidiums rund 3,4 Milliarden Euro. Doch die Dynamik lässt nach: die Finanzkrise verunsichert potenzielle Stifter, die geringen Zinsen verringern die Ausschüttungen, manche kleinere Stiftung kann ihren Zweck kaum noch erfüllen.

 

Der demografische Wandel, eine wachsende Zahl kinderloser Menschen, eine Erbschaftswelle und der Wunsch nicht weniger älterer und vermögender Bürger, noch zu Lebzeiten mit ihrem Geld etwas Gutes zu bewirken – der Stiftungsboom hat verschiedene Gründe. Zudem haben Träger der Wohlfahrtspflege wie die Evangelische Gesellschaft (Eva) oder die Caritas in Stuttgart erkannt, dass sie wegen der nicht einfachen Finanzlage und wechselhaften Spendeneinnahmen weitere Geldquellen benötigen.

„Der Markt ist hart umkämpft“

Es ist die Zeit nach der Oderflut und des Tsunamis in Thailand gewesen, als die Eva vor neun Jahren ihre Stiftung gegründet hat. „Man konnte nur noch schlecht planen“, erinnert sich Geschäftsführer Kai Dörfner, in dieser Lage habe man durch die Stiftungsgründung „mehr Unabhängigkeit“ gesucht. Ähnliche Motive haben den Caritasverband schon 1999 zu dem gleichen Schritt bewogen. „Die Katastrophenhelfer ziehen viele Mittel ab, der Markt ist hart umkämpft“, sagt Geschäftsführer Heinz Wolf. „Deshalb wollten wir einen Vermögensstock aufbauen, um unabhängiger von der Kirchensteuer zu werden.“

Über elf Millionen Euro verfügt die Stiftung der Eva inzwischen, aufgebracht von 170 Stiftern beziehungsweise von sogenannten Zustiftern. Die Ausschüttung von rund 140 000 Euro im vergangenen Jahr hat sich wegen der geringen Zinsen aber verglichen mit früheren Jahren halbiert. Dieser Rückgang kann nur dank des hohen Spendenaufkommens ausgeglichen werden, das die Eva in Stuttgart 2012 mit rund 2,6 Millionen Euro (plus 14 Prozent) erreicht hat. Etwa 180 Projekte von der Schulspeisung bis zum Notfallfonds für Wohnungslose wurden und werden mit den Stiftungsgeldern der Eva gefördert.

„Der Zinsertrag geht gegen Null“

Unter dem Dach der Caritas-Stiftung versammeln sich 20 größere Treuhandstiftungen mit einem Vermögen von 25 Millionen Euro. Dazu kommt ein Immobilienvermögen von rund zehn Millionen Euro. „Der sichere Zinsertrag geht wegen der Finanzkrise gegen null“, beschreibt Geschäftsführer Heinz Wolf die derzeitige Lage. „Darunter leiden alle Stiftungen.“ Zumal diese verpflichtet sind, einen Teil der Erträge für den Substanzerhalt einzusetzen. Dennoch hat die Caritas-Stiftung im Vorjahr rund 506.000 Euro ausgeschüttet. Dazu kommen knapp 447.000 Euro an Spenden.

Wegen der dürftigen Erträge für Anlagen ist die Stiftung schon vor einiger Zeit dazu übergegangen, ihr Geld verstärkt in Sozialimmobilien zu investieren. „Dadurch wollen wir ein Stück weit von den Kapitalmärkten und von der Finanzkrise unabhängiger werden“, erklärt Heinz Wolf. Durch die Kombination von Eigenmitteln und einem hohen Anteil an öffentlichen Fördergeldern könne man auf diesem Wege eine beträchtliche „Hebelwirkung“ erzielen. Wenn die Immobilie der Caritas zur Verfügung gestellt werde, erziele die Stiftungen eine „Sozialrendite“, die immer noch über anderen Anlagen liege, die Caritas bekomme dennoch günstigere Konditionen als am Markt. Auf diese Weise entsteht etwa im Osten Stuttgarts ein Wohnprojekt mit 40 Einheiten für behinderte und benachteiligte Menschen. Auch die Stiftung der Eva ist dabei, auf ähnliche Weise Sozialimmobilien zu finanzieren und die Gelder so „doppelt wirken zu lassen“, sagt Kai Dörfner.

Unter zwei Millionen macht eine Stiftung keinen Sinn

Die geringen Zinsen in der Folge der Finanzkrise sind für kleinere Stiftungen aber eine Bedrohung. Fachleute gehen davon aus, dass 15 Prozent ihren Stiftungszweck nur noch bedingt erfüllen können, weil nach Abzug der Mittel für den Substanzerhalt nichts oder nicht mehr viel übrig bleibt. Für den Initiativkreis Stuttgarter Stiftungen, in dem 140 Stiftungen aus der Region organisiert sind, gehört dieses Problem gegenwärtig zu den zentralen Themen. Bei Veranstaltungen gehe es vor allem um das sogenannte Vermögens-Pooling, sagt Geschäftsführerin Susanne Dieterich. Dabei tun sich Stiftungen zusammen, um mit ihrem Geld eine höhere Rendite zu erzielen. Irene Armbruster, die Geschäftsführerin der Stuttgarter Bürgerstiftung, sagt, wegen der geringen Erträge habe es derzeit keinen Sinn, mit einem Kapital „unter zwei Millionen Euro eine eigene Stiftung zu gründen“. Unter dem Dach der Bürgerstiftung befinden sich drei Treuhandstiftungen und eine Kunstsammlung, mit Zustiftungen haben 225 Bürger in elf Jahren 6,2 Millionen Euro zusammengetragen. Dieses erbringt im Jahr inklusive Spenden etwa 250 000 Euro.

Zwar werden auch jetzt noch Stiftungen gegründet und Zustiftungen gegeben oder Fonds aufgelegt, insgesamt aber hat die Dynamik merklich nachgelassen. Ein Indikator dafür: das Regierungspräsidium Stuttgart hat 2012 insgesamt 33 Stiftungsneugründungen registriert, das sind so wenige wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Heinz Wolf von der Caritas-Stiftung spricht von einer „Tendenz zur Flaute“. Man habe im Vorjahr zwar „viele gute Kontakte“ gehabt, neue Stiftungen seien aber nicht entstanden. „Die Menschen sind verunsichert“, sagt Wolf, weil sie nicht wüssten, „was wegen der Finanzkrise von ihrem Geld noch übrig bleibt“. Ähnliche Erfahrungen macht Kai Dörfner von der Eva-Stiftung. So habe man von einer Handvoll Zustiftern die Mittel nur noch als Darlehen erhalten. Dörfner sieht weitere gesellschaftliche Entwicklungen mit Folgen für das Stiftungswesen: Während die Nachkriegsgeneration ihr Leben lang gespart und nicht an sich gedacht habe, gönne sich die kommende Generation der Älteren selbst deutlich mehr, etwa teure Reisen. Auswirken werde sich auch, dass auf potenzielle Stifter heute teils beträchtliche Pflegekosten zukommen können. Zwar ist Kai Dörfner wie die anderen Akteure im Stiftungswesen der Stadt für die Zukunft zuversichtlich, das Interesse potenzieller Stifter sei groß, doch er stellt fest: „Es wird schwieriger.“