Die Berthold-Leibinger-Stiftung (30 Jahre) und die Doris-Leibinger Stiftung (15 Jahre) feiern Geburtstag. Bei der Jubiläumsveranstaltung im Alten Schloss treten das Profil der Stiftungen und das der Stifter deutlich hervor.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Zwei Stiftungen, die unermüdlich im Hintergrund wirken und vieles bewirken, treten in die Öffentlichkeit: die Berthold-Leibinger-Stiftung und die Doris-Leibinger-Stiftung. Das 30-jährige Bestehen der nach dem Unternehmer und Mäzen Berthold Leibinger benannten Stiftung und das 15-jährige Bestehen der von seiner Frau Doris initiierten Stiftung, nehmen deren Kinder zum Anlass, an das Vorbild ihrer Eltern zu erinnern und die vielfältige Arbeit ihrer Stiftungen ins Bewusstsein zu rufen.

 

Dafür luden Nicola Leibinger-Kammüller, Regine Kammüller und Peter Leibinger am Dienstagabend zu einem Jubiläumsprogramm ins Alte Schloss nach Stuttgart ein. Die Dürnitz, auch historisch gesehen, ein Ort der Begegnung, wurde zur Bühne einer dezenten und zugleich selbstbewussten Präsentation, an die sich ein intensiver Austausch unter den 180 geladenen Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Kultur, Kirche und Stiftungswesen anschloss.

Vom „kulturellen Zwang“ zur Freude an der Kultur

In drei Gesprächsrunden, eingeleitet vom Geschäftsführer der Berthold-Leibinger-Stiftung Markus Wener, und leichtfüßig moderiert von dem Journalisten Andreas Platthaus, tritt an diesem Abend das Profil der beiden Stiftungen und des Stifter-Ehepaars hervor. Durch die Schilderungen der Kinder erhält es zudem eine sehr persönliche Note. Nicola Leibinger-Kammüller, Geschäftsführerin der Berthold-Leibinger-Stiftung und Vorstandsvorsitzende des Hochtechnologieunternehmens Trumpf, schildert die früh ausgeprägte Leidenschaft ihres Vaters für Literatur und Musik – und den „kulturellen Zwang“, der davon ausgehen konnte. Museumsbesuche gehörten selbstverständlich zum Familienprogramm, auch in Phasen, in denen man als Heranwachsende davon wenig wissen wollte. „Wir waren als Kinder von Literatur und Kunst umgeben – es gab kein Entrinnen“, sagt Nicola Leibinger-Kammüller in direkter und doch wertschätzenden Art: „Das ewige Zitieren von Thomas Mann ging mir auf die Nerven.“

Heute zitiert sie ihn selbst oder lauscht aufmerksam, wenn der Rezitator Rudolf Guckelsberger am Jubiläumsabend in der Dürnitz Thomas-Mann-Texte liest, in denen sich der Literaturnobelpreisträger aus dem amerikanischen Exil heraus gegen die Nazi-Diktatur wandte und seine Stimme für die Freiheit erhob. Berthold Leibinger, so berichtet Tochter Nicola, habe Manns Art zu schreiben und dessen Persönlichkeit verehrt. Die von ihr geführte Stiftung engagiert sich folgerichtig für den Fortbestand des Thomas Mann House in Los Angeles samt Fellowship-Programm.

Die beiden Stiftungen legen dar, wofür sie stehen und was sie tun

Ihre Gesprächspartnerin auf dem Podium ist Sandra Richter, Leiterin des Literaturarchivs in Marbach. Seit vielen Jahren profitiert es von der Förderung durch die Berthold-Leibinger-Stiftung. Jüngstes Beispiel ist der Erwerb des Rilkes-Archivs Gernsbach auch mittels Stiftungsgeldern. Richter plädiert dafür „diese Verbindungen sichtbar zu machen“. Das entspricht ganz der Intention des Abends. Präzise legen die beiden Stiftungen dar, wofür sie stehen und was sie tun. Und das ist eine Menge. Die Reihe der von Moderator Platthaus genannten Organisationen, Einrichtungen und Initiativen, die von den Stiftungen bedacht werden, ist lang.

In einer zweiten Gesprächsrunde porträtiert Regine Leibinger, Architektin in Berlin und Geschäftsführerin der Doris-Leibinger-Stiftung, ihre 2021 verstorbene Mutter. Mit der Gründung der Stiftung habe sie eigene soziale Akzente setzen wollen: „Ihr Fokus war auf benachteiligte Kinder gerichtet“, erzählt Regine Leibinger. Aus persönlichen Begegnungen ist viel Gutes entstanden – beispielsweise eine Kooperation mit der „Stiftung taubblind leben“.

Doris Leibinger, so schildert es ihre Tochter, habe die Eigenschaft gehabt, freigiebig zu sein, ohne gönnerhaft zu wirken. „Sie begegnete den Menschen auf Augenhöhe und mit Nächstenliebe.“ Davon sind auch sie und ihre Geschwister geprägt. Haben und Geben gehören bei den Leibingers zusammen. Martin Klumpp, der frühere Stuttgarter Prälat, hat dies immer wieder erfahren. Im Gespräch mit Regine Leibinger würdigt er den jahrelangen materiellen wie ideellen Einsatz ihrer Mutter in der Hospizarbeit. Als herausragend empfand er deren Engagement bei der von Widerständen begleiteten Gründung des Kinderhospizes in der Stafflenbergstraße vor fünf Jahren. Doris Leibingers geflügelter Satz „Was machen wir?!“, war weniger eine Frage, als ein Entschluss anzupacken.

Der Glücksfall der Unternehmensgeschichte

Auch die dritte Gesprächsrunde mit Peter Leibinger, Gesellschafter der Berthold-Leibinger-Stiftung und stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Trumpf, und dem Wissenschaftler Andreas Tünnermann, wirkt wie eine Charakterstudie – einer Studie des Vaters. Ende der 1970er Jahre hatte dieser den genialen Einfall, aus einfachen Laborlasern leistungsstarke Industrielaser zu entwickeln. Damit bahnte er den Weg in die Zukunft. Trumpf wurde vom Werkzeugmaschinenbauer zum Weltmarktführer in Lasertechnik. „Das war der Glücksfall unserer Unternehmensgeschichte“, betont Peter Leibinger. Heute sei der Laser die zentrale Hochtechnologie. Ohne Laser kein Internet, keine Mikrochips, keine E-Mobilität.“ Dazu passt die Ausschreibung des weltweit hoch angesehenen Laser-Innovations- und Zukunftspreises durch die Berthold-Leibinger-Stiftung, der regelmäßig in ein „Fest der Wissenschaft“ mündet. In einem Einspieler hört man den 2018 verstorbene Berthold Leibinger sagen: „Ich bin glücklich über diesen Preis.“

Erinnerung pflegen und Zukunft gestalten

Die technische Exzellenz des Vaters führt sein Sohn Peter darauf zurück, welch große Bedeutung er der Fantasie und der Kreativität beigemessen habe. Technik und Schriftstellerei würden sich deshalb im Grundsatz nicht unterscheiden: „Am Anfang steht immer ein weißes Blatt Papier.“ Hier schließt sich der Kreis zur Kunst und zur Musik: Die japanische Musikerin Mayumi Hirasaki veredelt den Jubiläumsabend mit Bach. Später werden Kurzführungen durch das Landesmuseum angeboten.

Zum Programm der Sichtbarmachung der beiden Stiftungen gehört auch ein Film, der den neuen Stiftungssitz in Hochdorf vorstellt. In das ehemalige herrschaftlichen Anwesen sind Doris und Berthold Leibinger in Gedanken mit eingezogen. Je ein Raum enthält persönliche Gegenstände der Mutter und des Vaters. Im Raum dazwischen lebt die Erinnerung an beide fort. Die Kinder setzen damit ein Zeichen: es ist ein Erinnerungs- und Zukunftsort zugleich.

Die beiden Stiftungen

Berthold-Leibinger-Stiftung
Der Unternehmer und ehemalige geschäftsführende Gesellschafter der Ditzinger Trumpf-Gruppe, Berthold Leibinger, hat bis zu seinem Tod 2018 als Mäzen gewirkt. Die von ihm 1992 gegründete Berthold-Leibinger-Stiftung wirkt über seinen Tod hinaus. In die Förderschwerpunkte Wissenschaft, Kultur, Soziales und kirchliche Vorhaben sind bisher 31,4 Millionen Euro geflossen. Das regionale Engagement spielt dabei ein große Rolle. Davon profitieren unter anderem die Internationalen Bachakademie und das Deutschen Literaturarchiv Marbach. Fördermittel fließen auch in das Thomas Mann House in Los Angeles und bei der Jerusalem Foundation. Die Berthold-Leibinger-Stiftung schreibt den weltweit angesehenen Laser-Innovations- und Zukunftspreis, den Comicbuchpreis und den sozial ausgerichteten Preis der „Berthold Leibinger Initiative Zeit für Zukunft“ (BLIZZ) aus. Die Mittel der Stiftung stammen überwiegend aus der mittelbaren Beteiligung von 9,5 Prozent am Technologieunternehmen Trumpf.

Doris-Leibinger-Stiftung
Um Kindern in Notsituationen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, gründete Doris Leibinger, Frau von Berthold Leibinger, 2007 eine eigene Stiftung. Auch sie wirkt über den Tod der Gründerin 2021 hinaus fort. Die Stiftung fördert unter anderem Einrichtungen für traumatisierte und schwerstkranke Kindern und Jugendliche und kooperiert mit der „Stiftung taubblind leben“. Gefördert wird auch der Verein Mobil mit Behinderung und das Stuttgarter Kinderhospiz. Die Fördersumme beläuft sich bisher auf insgesamt 3,8 Millionen Euro. Seit Sommer diesen Jahres haben beide Stiftungen ihren Sitz in Hochdorf.