Exklusiv Nikolas Stihl, der Gesellschafter des gleichnamigen Motorsägenherstellers aus Waiblingen, kritisiert im Interview mit der StZ die deutsche Politik, spricht über Innovationen und über Persönliches.

Stuttgart – - Nikolas Stihl steht als Gesellschafter dem Beirat und Aufsichtsrat des Waiblinger Familienunternehmens vor. Er kritisiert die Politik, äußert sich über die Zukunft des Motorsägenherstellers und gibt ganz persönliche Einblicke.
Herr Stihl, die Wirtschaft hat bisher die Berliner Wohlfühlpolitik eher hingenommen. Erst seit die Konjunktur schwächelt, wird die Kritik lauter. Sehen Sie das auch so?
Da haben sich die zwei großen Parteien gegenseitig die Lieblingsprojekte genehmigt. Sowohl der Bundesverband der Deutschen Industrie als auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag haben deutlich vor der Einführung dieser Wohlfühlpolitik gewarnt. Die Politik hat ihre eigentliche Aufgabe, nämlich Grundlagen für Wachstum zu schaffen, völlig aus dem Blick verloren. In Sonntagsreden ist davon schon noch die Rede, in den Budgets findet man nichts davon. Das Geld, mit dem eigentlich Zukunftsinvestitionen gestemmt werden sollten, wurde für die Rente mit 63 und die Mütterrente ausgegeben.
Was müsste jetzt gemacht werden?
Wir müssten investieren, wirklich investieren. Wir haben eine marode Verkehrsinfrastruktur. Ich rede nicht mal von Neubau. Uns fehlen sieben Milliarden Euro im Jahr, um allein unsere Straßen halbwegs zu erhalten. Oder schauen Sie sich die flächendeckende Versorgung mit mobilem Internetzugang an. Es gibt Gegenden in Baden-Württemberg, da können Sie nicht mal mobil telefonieren. Wir haben die Energiewende eingeläutet, gebaut wurde bisher nichts. Und dann die Bildung:. Mein Sohn und ich haben uns die Uni Stuttgart angeschaut, wo ich selber studiert habe. Da ist nicht nur die gleiche, sondern tatsächlich dieselbe Einrichtung wie vor 30 Jahren.
Also nicht nur in Berlin, auch in Stuttgarter herrscht Tatenlosigkeit.
Berlin, Stuttgart Landesregierung und Stuttgart Stadt – es gilt für alle. Wenn Herr Kuhn 20 Prozent weniger Autos in der Stadt haben will, dann ist das lobenswert. Wenn Sie sich vorstellen, dass 20 Prozent zusätzliche Fahrgäste in die S-Bahnen drängen – die müssten auf dem Dach sitzen. Die Leistungsfähigkeit von S- und U-Bahnen ist schon jetzt am Anschlag.
Wird das gehört in der Politik?
Nein. Wenn Sie mit den Politikern reden, bekommen Sie ein verständnisvolles Nicken – aber die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln war meiner Ansicht nach noch nie so groß wie heute. Legt man das aufgelegte Investitionsprogramm und den tatsächlichen Bedarf daneben, da fehlen nicht zehn Prozent und auch nicht 20 Prozent, da fehlen bis zu 70 Prozent.
Sie kritisieren die Politik, gleichzeitig sind sie standorttreu. Wie passt das zusammen?
Wir wollen ja in Deutschland investieren. Wir kritisieren nicht mit der Drohung, dass wir verlagern wollen. Sondern wir kritisieren mit dem Ziel, dass unsere Vorschläge gehört werden – und dass die Weichen in die richtige Richtung gestellt werden.
Hat Deutschland ein Wahrnehmungsproblem? Halten wir uns für besser als wir womöglich sind?
Relativ geht es uns besser als vielen anderen Ländern. Aber die Fehlentwicklungen, die wir sehen, wirken sich mittelfristig aus. Allerspätestens 2020, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, haben wir ein sehr großes Problem. Ich sage voraus – und da gehört keine prophetische Gabe dazu –, dass wir 2020 mit den nötigen infrastrukturellen Maßnahmen im Energieversorgungsbereich nicht fertig sind.
Es klingt zynisch, aber würde ein Abschwung die Politik zur Besinnung bringen?
Ungern. Es lebt sich leichter, wenn es wirtschaftlich halbwegs läuft. Ich würde mich auch freuen, wenn ich hier falsch läge. Ich befürchte aber, dass ich recht behalte.