Es geht um um die Geschäfte von morgen. Neue digitale Geschäftsmodelle entscheiden langfristig über den Erfolg, sagt Bertram Kandziora. Wie Stihl-Chef Kandziora Startups zur Integration in eigene Produkte nutzt, beschreibt er im Interview.

Waiblingen - Interview

 

Herr Kandziora, das Motto des Stihl-Gründers war: Den Menschen die Arbeit mit und in der Natur erleichtern. Was bringt die Digitalisierung Gartenbesitzern und Waldarbeitern?

Den Stihl Robotermäher iMow gibt es schon länger. Vor kurzem haben wir einen Bewässerungscomputer vorgestellt. Früher brauchte ich in heißen Sommerwochen eine Stunde, um meinen Garten zu bewässern. Diese Zeit spare ich heute ein.

Ihr Bewässerungssystem weiß, wann es regnet?

Unser Smart Garden Hub verwendet Daten von offiziellen und privaten Wetterstationen. Und Sensoren können die Bodenfeuchtigkeit messen. Unser intelligentes System passt die Wassermenge den aktuellen Bedingungen an, um einerseits die Pflanzen ausreichend zu versorgen, andererseits aber nicht unnötig zu wässern. Und es schaut in die Zukunft – wenn Regen angekündigt ist, gießt es nicht. Das spart bis zu 50 Prozent Wasser. Und nicht zuletzt: Um sich nicht in die Quere zu kommen, kommunizieren Mähroboter und Bewässerungscomputer miteinander.

Können Waldarbeiter auf ähnliche Vorteile hoffen? Wann kommt der Sägeroboter?

Theoretisch ist ein solcher Roboter möglich, praktisch eher unwahrscheinlich. Ich gehe davon aus, dass Bäume auch künftig von Waldarbeitern gefällt werden. Die Digitalisierung setzt beim Förster an.

Und das bedeutet?

Der Förster wählt aus, welche Bäume gefällt werden. Zwar wird der Förster auch weiterhin seine Farbkreuze auf die zu fällenden Bäume machen. Gleichzeitig kann er aber jetzt mit unserem System Logbuch per Knopfdruck die Position digital erfassen und per Spracheingabe Informationen hinterlegen, etwa wie der Baum gefällt und zerteilt werden soll. Die Daten gehen in eine digitale Karte und können auch per App auf einem Handy verwendet werden. Musste bisher der Waldarbeiter zum Fällen die mit den Farbkreuzen markierten Bäume im Wald suchen, wird er jetzt per App ohne Umweg direkt dort hingeführt und kann die vom Förster hinterlegten Details sehen. Sie können es sich wie ein Baum-Navi vorstellen.

Treffen Sie in der digitalen Welt auf neue Wettbewerber?

Natürlich gibt es neue Wettbewerber. Im Zweifel könnte z.B. auch WhatsApp ein Konkurrent für Memomeister sein. Per WhatsApp werden ja auch Bilder und Texte verteilt. Allerdings ist es damit nicht möglich, alle Aktivitäten abzubilden und zu vernetzen.

Wie kommen Sie auf Ihre digitalen Ideen?

Zuallererst haben wir über 17 000 Mitarbeiter, die voller Ideen sind. Letztes Jahr haben wir einen neuen Bereich Digitalisierung gebildet, deren Mitarbeiter ganz gezielt nach neuen Ideen innerhalb und außerhalb des Unternehmens suchen. In vielen Unternehmensbereichen wie z.B. der Entwicklung, dem Marketing oder der Produktion laufen schon diverse Digitalprojekte. Zudem arbeiten wir mit Start-up-Ansätzen. In den beiden letzten Jahren haben wir uns an Start-ups beteiligt, mehrere initiiert und finanziert und mit anderen zusammengearbeitet. Der nächste Schritt geht nach USA. Dort sitzen viele der Start-ups, die für uns besonders interessant sind. Anders als in Deutschland sind sie meist gut finanziert und haben bereits mehrere Kapitalrunden hinter sich – und erste Erfolge mit ihren Produkten erzielt.

Warum für Stihl-Chef Kandziora Startups in den USA weiter sind

Ungewöhnlich klingt das nicht, Risikokapital ist in den USA schließlich kein Engpass.

Das stimmt. Dort gibt es eine gute Venture Capital Infrastruktur. Und diese Fonds begutachten permanent Konzepte, Ideen und Markterfolge der Start-ups, bevor sie weiter investieren. Wenn man sich an einem solchen Fonds beteiligt, dann kann man bei diesen Runden dabei sein und jede Menge Ideen bekommen.

Also können sie einfach abkupfern?

Nein, das ist nicht das Ziel. Ein Vorteil von Start-ups ist, dass sie schnell sind, und das wollen wir nutzen. Und da die Start-ups über die Fonds gut finanziert sind, ist Geld für sie nicht so wichtig.

Und wie hilft Stihl-Chef Kandziora Startups?

Start-ups brauchen Marktzugang und sie brauchen Produkte, in die sie ihre Technologie integrieren und damit Verkaufserfolge erzielen können. Sie brauchen schlicht Partner wie Stihl. Wenn die Mitarbeiter unseres Digitalisierungsbereichs bei Start-ups spannende Ideen oder Lösungen finden, bringen sie das Start-up mit dem entsprechenden Stihl-Produktbereich zusammen, der dann die Kooperation startet. Wir haben bereits einige Kooperationen. Und wir streben eine noch viel größere Dynamik an.

Ist die Suche nach neuen Geschäftsmodellen und neuen Anwendungsgebieten perspektivisch für Stihl überlebenswichtig?

Nicht in drei Jahren, aber langfristig werden solche neuen Geschäftsmodelle zumindest erfolgsentscheidend sein.

Externe Startups sind schneller als interne

Gehört zu Ihrem Lernerfolg, dass sie den eher risikoscheuen Weg gehen und nicht auf eigene Start-ups setzen?

Das hat nichts mit risikoscheu oder kostengünstig zu tun. Es geht darum, auf dem schnellsten Weg zu Erfolg versprechenden digitalen Geschäftsmodellen zu kommen. Reifere Start-ups haben ja nicht nur die Idee, sondern auch schon erste Produkte und somit einen Vorsprung von ein oder zwei Jahren. Wir beschleunigen die Umsetzung unserer Digitalstrategie, ohne die bisherigen Ansätze aufzugeben.

Technologische Führerschaft war bisher für Stihl wichtig. Wenn Stihl-Chef Kandziora Startups dafür braucht, gibt man dann dieses Ziel auf?

Ganz und gar nicht. Kooperationen sind bei Technologieentwicklungen durchaus üblich. Denken Sie nur an die Automobilindustrie, die mit Zulieferern ABS, Einspritzung oder Airbags entwickelt hat. Natürlich hat man den inneren Drang, etwas ohne Dritte zu entwickeln, damit man es exklusiv hat. Uns ist wichtig, mit optimalen Lösungen unseren Kunden die Arbeit zu erleichtern – selbst wenn sie das Ergebnis einer Kooperation sind. Die überzeugende Lösung entsteht meist erst in der Zusammenarbeit, das ursprüngliche System des Kooperationspartners ist nur die Basis und verkürzt die Entwicklungszeit.

Wie viele Digitalkunden haben sie?

Natürlich immer noch viel zu wenig. Der Umsatz in dem Bereich ist noch sehr überschaubar. Das ist aber nicht überraschend. Zukunftsstrategien muss man frühzeitig entwickeln, Umsatz und Ergebnis kommen dann zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt. Das war bei unseren Akku-Produkten nicht anders. Wir haben 2006 mit der Entwicklung begonnen und seither in deutlich dreistelliger Millionenhöhe investiert. Bis man bei neuen Technologien die Investitionen wieder erwirtschaftet hat, sind Zeiträume von 10 bis 15 Jahren nicht untypisch, sei es bei unseren Akkuprodukten oder der Einspritztechnologie der Automobilindustrie. Bei der Digitalisierung, mit der wir in der heutigen Ausrichtung vor zwei Jahren begonnen haben, erwarten wir eine ähnliche Vorlaufkurve.

Also erwarten Sie 2030 Gewinne.

Bei der Digitalisierung geht das schneller.

Sie wirken recht gelassen angesichts solch langer Zeiträume.

Unsere Eigentümer denken langfristig. Und wir haben einen sehr strategisch ausgerichteten Beirat, der den Zeitbedarf für neue Technologien gut kennt. Wir haben ja auch Erfahrung mit langfristigen Strategien. Nehmen Sie nochmals den Wechsel von benzinbetriebenen hin zu batteriebetriebenen Geräten. Geld verdienen wir derzeit mit den benzinbetriebenen Produkten, die die neuen Projekte finanzieren – und darüber hinaus noch ein schönes Ergebnis abwerfen. Und nicht zu vergessen: Sollten Akkuprodukte die Benzinprodukte noch stärker ersetzen, ist Stihl mit einem umfangreichen Akkuprogramm darauf vorbereitet, dank einer strategischen Entscheidung vor 12 Jahren.