Joseph Michl kann, wenn er von einer Sache überzeugt ist, ein hartnäckiger Kämpfer sein. So war der Umweltschützer auch einer derjenigen, die den geplanten Nordostring verhindert haben.

Region: Verena Mayer (ena)

Joseph Michl zu diesem Gespräch zu bewegen ist so mühsam, wie das Holzhüttchen mit Wärme zu füllen, in dem das Gespräch schließlich stattfindet. Es steht auf einer abgelegenen Wiese in Stuttgart-Zazenhausen. Heizung – Fehlanzeige. Elektrisches Licht – gibt es nicht. Dafür heißen Kaffee aus der Thermoskanne und den rauschenden Schein einer Gaslampe. Wird schon werden. Im Zimmer nebenan brummen sich ganz leise acht Bienenvölker durch den Winter. Für sie hat Joseph Michl dieses kleine Holzhaus errichtet. Womit er für seinen Geschmack aber schon fast zu viel preisgegeben hat über sich. Bienen züchten! Honig machen! Das klingt doch sehr nach Klischee, nach Waldschrat-Klischee. Meint Joseph Michl, der lieber für die Natur arbeitet, statt über sich zu reden. Eigentlich.

 

Joseph Michl, 58 Jahre, Agraringenieur und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rechenzentrum der Universität Hohenheim, hat am Grünen Heiner mitgebaut, als Windräder noch exotischer waren als Ananas im deutschen Winter. Er hat Tausende Quadratmeter Wiesen gemäht, Hunderte Hecken gepflanzt und ungezählte Teiche angelegt, damit das rare Rebhuhn und die schützenswerte Wechselkröte Raum zum Leben haben. Joseph Michl, der beim Landesnaturschutzverband aktiv ist und beim BUND, hat zig Vorträge über den Besorgnis erregenden Verbrauch von Flächen und die unsinnige Zunahme des Verkehrs gehalten. Vor allem aber hat er einen Ring zerschlagen, an dem das Land zwei Jahrzehnte lang geschmiedet hatte: den Nordostring.

Man muss das nicht gut heißen. Man kann es aber beeindruckend finden, weil Joseph Michl einen Kampf gewonnen hat, in dem er der David war. Joseph Michl selbst würde sich nie so ausdrücken. Viel zu emotional. Er sagt ganz nüchtern: „Wir haben sehr erfolgreich gearbeitet.“

Michl erkundet die Strecke mit seinem Fahrrad

Joseph Michl lernt die Pläne für den Nordostring 1995 kennen. Der Umweltschützer erfährt von einem Gespräch im Ministerium, bei dem Umweltverbänden das angeblich letzte große Straßenbauprojekt in der Region schmackhaft gemacht werden sollte. Michl wird hellhörig, er informiert sich und kommt zu dem Ergebnis: Der Ring ist ein Unding. Die vierspurige Straße soll Waiblingen und Kornwestheim miteinander verbinden und zugleich dem Norden von Stuttgart, Teilen von Kornwestheim und Remseck eine Entlastung vom Verkehr bescheren. Michl erkundet die Strecke auf dem Fahrrad und kann nicht glauben, wie viel schöne Landschaft und wertvolle Ackerböden dieser Straße geopfert werden sollen. Außerdem studiert Michl das offizielle Verkehrsgutachten und stellt fest: „Der Nordostring ist keine Planung zur Entlastung der Bürger, sondern zur Förderung des überregionalen Durchgangsverkehrs.“ Er organisiert einen Informationsabend in der Zuffenhäuser Zehntscheuer, zu dem auch Betroffene aus Fellbach, Waiblingen, Kornwestheim, Ludwigsburg und Remseck kommen – der Beginn der Arge Nord-Ost, in der sich Bürgervereine aus der Region organisieren.

Joseph Michl ist am Kaiserstuhl aufgewachsen. Den Widerstand gegen das Atomkraftwerk Wyhl hat er hautnah miterlebt und dabei gelernt: „Man ist nicht machtlos!“ Als er 1987 seine erste eigene Widerstandsgruppe anführt, die Schutzgemeinschaft Krailenshalde, weiß Michl bereits: „Mischt man sich erst ein, wenn der Bagger anrollt, ist es zu spät.“ Michls Einmischung beginnt, als er eine Notiz über eine neue Bundesstraße („Krailenshaldentrasse“) in dem Landschaftsschutzgebiet zwischen Zuffenhausen, Feuerbach und Cannstatt im Amtsblatt entdeckt. In jahrelanger Protestarbeit gelingt es der Schutzgemeinschaft, die Pläne für die „Stadtautobahn“ zu verbannen. Joseph Michl weiß also schon ziemlich genau, was auf ihn zukommt, als er zum Ringbekämpfer wird.

Als im Herbst 2006 schließlich das Planfeststellungsverfahren beginnt, nimmt Joseph Michl seinen Jahresurlaub und vertieft sich in die öffentlich ausgelegten Pläne, die fünf dicke Ordner füllen. Vorerst geht es nur um eine Brücke über den Neckar südlich von Remseck-Aldingen. Doch für Michl und seine Gesinnungsgenossen ist dies der Einstieg in den Nordostring. Die Arge-Mitglieder ackern sich durch Schallgutachten, Schadstoffexpertisen, Umweltverträglichkeitsanalysen, Straßenpläne und Verkehrsgutachten. „Wenn man sich für etwas engagiert, muss man es mit jeder Konsequenz tun“, sagt Joseph Michl. Sonst ende aller Einsatz im Frust.

Der Analysierer

Beim Aktenstudium entdeckt die Arge Widersprüche: Wie kann es sein, dass für Straßen Entlastungen prognostiziert werden, über die nach dem Brückenbau definitiv mehr Fahrzeuge rollen würden? Antwort: die Planer sind insgesamt von zu viel Verkehr ausgegangen. Das Regierungspräsidium korrigiert seine Zahlen und speckt die Brückenpläne ab. Der Protest geht trotzdem weiter, die Fehlerfindung ebenfalls: Die Arge stellt fest, dass sich die Behörde bei ihrer neuen Prognose um Hunderte von Lastwagen verrechnet hat, was die geplante Brücke beeindruckend entlastend glänzen lässt. Bei der Auslegung des dritten Gutachtens – inzwischen hat das Frühjahr 2009 begonnen – beschleicht die Arge der Verdacht, dass die Zahlen, die den Prognosen zugrunde liegen, per se falsch sind: Wie kann es sein, dass die Stadt Stuttgart bei einer Zählung in Mühlhausen auf 4000 Fahrzeuge weniger kommt als das Regierungspräsidium in seinem Gutachten? Antwort: die Behörde hat lediglich alte Daten hochgerechnet. Das passt zu den Lücken im Lärmgutachten. Wie kann es sein, dass in den Plänen ein Waiblinger Kindergarten fehlt, der dort schon seit 15 Jahren steht? Antwort: die Planer arbeiten mit veralteten Katasterblättern.

Alles nur Versehen? Für Joseph Michl ist die Antwort darauf unwichtig. Er sagt: „Man darf nicht jammern und sich belogen fühlen, man muss gucken, wo man im Planungsverfahren eingreifen kann. Die Leute in den Behörden machen ihren Job, wir als Umweltschützer machen unseren. Wir müssen besser sein.“

Joseph Michl bekommt anonyme Briefe, in denen steht, dass er und seine Freunde zurück auf die Bäume sollen. Wirtschaftsverbände bezichtigen die Arge der Zahlenspielerei. Der Remsecker Oberbürgermeister wirft ihren widerspenstigen Anführer aus einer Bürgerversammlung. „Das gehört zur Folklore“, analysiert Michl und lässt sich von der mächtigen Lobby der Befürworter nicht beeindrucken. Einmal pro Woche trifft sich die Arge, um den Widerstand zu koordinieren. Sie verfasst Stellungnahmen, vernetzt sich mit Vereinen, schließt sich mit Kommunen kurz, initiiert Demos, malt Schilder, füttert ihre Homepage mit Mustereinsprüchen und organisiert Infoveranstaltungen in allen betroffenen Orten. „Das war ein Riesenaufwand“, sagt Michl heute. „Aber ohne wäre es nicht gegangen.“

Im Februar 2011 wird Joseph Michl (und seine Frau Annette) mit der Ehrenplakette der Stadt Fellbach ausgezeichnet, die den Nordostring vehement ablehnt. Ruhig, beharrlich und kompetent vertrete Joseph Michl seinen Standpunkt, schwärmt Christoph Palm. „Seine Kritik basiert immer auf wohlüberlegten, handfesten und wasserdicht begründeten Fakten.“

Die Zerschlagung des Rings

Im März 2011 werden die Ringpläne auf Eis gelegt. Das Regierungspräsidium will abwarten, wie sich die neue Landesregierung positioniert.

Im November 2011 verrät das grüne Verkehrsministerium, dass es die Planung momentan nicht weiterbetreibt.

Im März 2012 wird der Ring offiziell zerschlagen: Der Bau sei aus rechtlichen, ökologischen und politischen Gründen nicht realistisch, verkündet Minister Winfried Hermann. Und Joseph Michl zieht sein nüchternes Fazit: „Wir haben sehr erfolgreich gearbeitet.“ Jetzt muss die Arge nur noch eine Strategie austüftlen, mit der das Projekt aus dem Bundesverkehrswegeplan verbannt und damit endgültig eliminiert wird. „Das darf nicht wie ein Damoklesschwert über der Landschaft schweben.“

Für die Verlierer ist Michl ein Fortschrittsverhinderer, der keinen Blick für die Nöte der staugeplagten Autofahrer hat. Die übliche Perspektive sei leider immer noch die Windschutzscheibenperspektive, sagt Joseph Michl, der sich nur dann in ein (geliehenes) Auto setzt, wenn er mit mehr Werkzeug zu seinen 100 Obstbäumen in den Enzkreis muss, als in seinen Radanhänger passt.

Und was ist mit den Nöten der Pendler? – Sie wären zu lindern, indem der öffentliche Nahverkehr ausgebaut würde, sagt der Mann, der noch nie geflogen ist (außer aus dem Zuffenhäuser Bezirksbeirat, weil er seinen Grünen zu fundi war).

Muss man nicht auch an die Lastwagenfahrer denken, die ihre Fracht eilig zu den Abnehmern bringen müssen? – Die Straßen wären nicht so verstopft, würden die Waren nicht durch halb Europa gekarrt, bis sie auf unseren Tischen landen, sagt der Mann, der fast alles, was er zum Essen braucht, selbst anbaut.

In der Holzhütte, in deren Nebenzimmer die Bienen brummen, ist es wärmer geworden. Der Kaffee weniger, der Schein der Lampe dunkler. Joseph Michl hat jetzt doch eine ganze Menge erzählt, obwohl er erst so große Bedenken hatte. Warum eigentlich? Die Antwort: „Vielleicht können andere Bürgerinitiativen etwas von uns lernen.“