Die Staatsgalerie zeigt eine Ausstellung über den verstorbenen Architekten ihres Gebäudes: „James F. Stirling – Notes from the Archive“.

Stuttgart - Die Sturm-und-Drang-Zeiten der Staatsgalerie sind eine Weile her, fast dreißig Jahre, so dass mancher sich vielleicht nicht mehr erinnern kann, dass dieser Bau Anfang der achtziger Jahre hierzulande einschlug wie ein Meteorit in eine Dinosaurierkolonie. In Stuttgart vor allem, das sich bis dahin ungehemmt einem funktionalistischen Wiederaufbau verschrieben hatte, mischte schon der Wettbewerbsentwurf die Architekturdebatte auf, und der fertige Bau wurde dann wahlweise als "Machwerk von Sozialkitsch" oder nazihaft monumental geschmäht. Inzwischen haben sich die Gemüter nicht nur beruhigt, sondern begriffen, dass sie es mit einem Meisterwerk der Postmoderne zu tun haben, mehr noch: einem Klassiker, dem Urknall der neueren Museumsbaugeschichte, der international eine Evolution spektakulärer Ausstellungshäuser in Gang setzte.

 

Jetzt ist James Frazer Stirling, der 1992 gestorbene Architekt der Staatsgalerie, zurück in seinem Museum - "heimgekehrt", wie es Anthony Vidler, der Kurator der Ausstellung über "Big Jim", ein bisschen pathetisch formuliert. Stuttgart ist die dritte und vorletzte Station der Schau, nach dem Yale Center for British Art im amerikanischen New Haven und der Tate Britain in London und vor dem Canadian Centre for Architecture in Montréal. Größtes und auf vielfältigste Weise erlebbares Ausstellungsobjekt im Maßstab 1:1, erklären Vidler und der Hausherr Sean Rainbird, sei auf dieser deutschen Etappe also die Staatsgalerie selbst.

Eine Hochglanzausstellung darf der Besucher nicht erwarten

Das Novum, dass in ihren heiligen Hallen erstmals Architektur ausgestellt wird, legitimiert sich durch die Hommage an den Schotten mit den lila Socken und der barocken Statur, der sie geschaffen hat. Trotzdem - "wir sind ein Kunstmuseum" - haben die Planskizzen und Modelle am Neckar einen funkelnden kunsthistorischen Appendix erhalten: eine von Peter Daners zusammengestellte Auswahl aus eigenen Beständen, die von Piranesi und Klenze über El Lissitzky bis zu den Bechers Einflüsse und Bezüge zu Stirlings Ideen- und Formenwelt aufzeigt.

Kurios erscheint nur, dass Stirling hier nicht wie in London in Stirling, seinem Clore-Gallery-Anbau der Tate, präsentiert wird, sondern neben Stirling: in der Alten Staatsgalerie von Georg Gottlob von Barth. Unglücklich ist Vidler mit dieser Entscheidung aber keineswegs, kommt die lineare Raumenfilade im Altbaudem chronologischen Aufbau seiner Schau doch mehr entgegen als Stirlings eigener Wechselausstellungsraum mit seinem rechteckigen Grundriss.

Eine Hochglanzausstellung darf der Besucher hier nicht erwarten. Bis auf das Porträt am Eingang, das den Architekten in voller Pracht auf einem Regency-Stuhl in seinem Haus im Londoner Stadtteil Belsize Park zeigt, zeichnet sie sich durch die vollständige Abwesenheit der üblichen Glamourfotos im Großformat aus. Der Untertitel "Notes from the Archive" - Notizen aus dem Archiv - ist wörtlich zu nehmen: Zu sehen bekommt man eine Art Werkstattbericht, einen Blick in Stirlings Hirn, der anhand von Skizzen, Plänen, Modellen, Fotografien und Notizbüchern dokumentiert, wie dieser Architekt dachte und arbeitete.

"Krise der Moderne"

Sichtbar wird ein Geist, der unentwegt zeichnend, in winzigen Skizzen Entwürfe durchprobiert, sie variiert, modifiziert, moduliert, dreht und wendet, bis die Lösung gefunden ist. Auf Tickets und Bordkarten der Nepal Airways - Stirling sitzt im Flieger nach Chandigarh, auf der Reise zu Le Corbusier - entsteht so der (ungebaute) Wettbewerbsentwurf für das Landesmuseum Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, das neben dem (ebenfalls unrealisierten) Entwurf für das Kölner Wallraf Richartz-Museum einen wichtigen Vorläufer der Stuttgarter Staatsgalerie bildet.

Sichtbar wird aber auch ein verspielter, erzählender, schalkhafter Kopf, der beispielsweise in seiner Diplomarbeit, dem Entwurf für ein Bürgerzentrum im englischen Newton Aycliffe, in die Schnittzeichnungen liebevoll Squashspieler, tanzende Paare und Turner an der Sprossenwand hineinzeichnet. Auf einem aquarellierten Blatt aus dem Jahr 1949 mit einer in expressionistischer Manier dargestellten Forststation schwebt der Architekturstudent Stirling höchstpersönlich im Helikopter über dem Berggipfel. Und im Grundriss der Ausstellungsräume der Staatsgalerie legt der Hobbyornithologe Stirling den Besucherparcours mit Bleistiftstrichen fest, die aussehen wie kleine Vogeltapper.

Auch der deutsche Ausstellungsuntertitel "Krise der Moderne" trifft den Kern der Ausstellung. Einem spielenden Menschen wie Stirling musste der um die Jahrhundertmitte überall herrschende International Style dogmatisch erstarrt vorkommen: eine selbst auferlegte Verarmung, die den möglichen Formenreichtum der Architektur, ihre unendlichen Ausdrucksmöglichkeiten radikal beschnitt.

Die Versöhnung von Funktionalität und Gestaltung

Schon früh zielt Stirling, der historische Stile und Bauweisen aufsaugt wie ein Schwamm, daher darauf ab, Funktionalität und Gestaltung in seinen Entwürfen zu versöhnen. Die Hochschulbauten in Cambridge und Leicester - Ikonen der britischen Nachkriegsarchitektur - bringen Bewegung in die dürre Kistenästhetik der Moderne, nehmen Einflüsse aus dem Futurismus und dem russischen Konstruktivismus auf - und dem Schiffsbau: Der auf schrägen Stützen lagernde Baukörper des Studentenwohnheims Queen's College in Oxford liegt wie in einer Werft.

Die Ausstellung macht klar, dass zwischen den rationalistischen Bauten der sechziger Jahre und den postmodernen Entwürfen der siebziger und achtziger Jahre kein Bruch in Stirlings Werk stattfindet, sondern eher eine Weiterentwicklung und Erweiterung des Formenrepertoires hin zu einem radikalen Eklektizismus. PopArt, Romanik, Altägypten, Klassizismus, Konstruktivismus, Schinkel, Wright, Rogers und Piano vereinigen sich in den Museumsbauten zu einem Stilmix, der die Staatsgalerie zu dem "informellen Monument" macht, als das Stirling sie gegen ihre Kritiker verteidigte.

Wesentlicher und revolutionärer ist aus heutiger Sicht aber nicht das postmoderne Zitatfeuerwerk, sondern dass Stirling, beginnend mit der Staatsgalerie, keine Monolithen mehr schuf, sondern "urbane Assemblagen", wie die Ausstellung es nennt: Gebäude, die selbst wie kleine Städte sind, sich in das Gewebe der Stadt einfügen und so Stadt schaffen.

Zur Person

Biografie James Stirling wurde 1926 in Glasgow geboren. Er studierte in Liverpool und gründete 1956 mit James Gowan sein eigenes Büro. Aus dieser Zeit stammt unter anderem das Gebäude der Ingenieurfakultät in Leicester. 1971 wurde Michael Wilford Partner des Büros, das sich nun Stirling, Wilford and Associates nannte. Seit Stirlings Tod 1992 leitet Michael Wilford das Büro. Die Stuttgarter Niederlassung des Büros wird von Manuel Schupp geführt, der ebenfalls schon an der Planung der Staatsgalerie mitarbeitete.

Ausstellung "James Frazer Stirling - Notes from the Archive" ist bis zum 15. Januar zu sehen, 10-18 Uhr, Di und Do bis 20 Uhr, montags geschlossen. Der Katalog liegt nur auf Englisch vor und kostet 39,90 Euro. Auf Deutsch ist ein informativer Kurzführer erhältlich.