Es sind Uhren, Briefe oder Füllfederhalter, die die Nationalsozialisten den Menschen raubten, die sie verschleppten. Diese Dinge den Nachfahren zurückzugeben, ist Ziel der Aktion #stolenMemory, die nun Station in Stuttgart macht.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Es sind Uhren, Schreibmäppchen, Bilder, Briefe und viele Schmuckstücke. Der Container, der bis 15. Februar vor der Stuttgarter Oper steht, beherbergt einen ganz besonderen Schatz. Es sind Teile einer Sammlung, welche die Arolsen Archives aufbewahren. Es sind die Besitztümer ehemaliger KZ-Häftlinge. Sie mussten diese Gegenstände abgeben, die sie bei ihrer Verhaftung und bei ihrer Deportation bei sich trugen. Jetzt ist diese Ausstellung im Rahmen des Programms anlässlich des Holocaustgedenktages auch in Stuttgart zu sehen.

 

2016 hat das Archiv, das mit seinen Dokumenten zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, die Aktion #StolenMemory gestartet. Freiwillige, auch viele Schülerinnen und Schüler, versuchen seitdem, mit den schriftlichen Unterlagen, die im Archiv vorhanden sind, die Nachfahren der Besitzer dieser Gegenstände zu finden und diese dann an sie zurückzugeben. Noch immer lagern im Archiv 2500 Gegenstände – wie die folgenden.

Mieczysław Borowiec’ Mäppchen

Gesucht werden noch immer die Angehörigen von Mieczysław Borowiec, geboren am 10. Juli 1905 in Lviv. Er war Forstingenieur. Die deutschen Besatzer verhafteten ihn in der polnischen Stadt Nowy Targ und deportierten ihn im Juni 1940 in das Konzentrationslager Auschwitz. Dort registrierte die SS ihn als politischen Häftling mit der Nummer 866. Später überstellten die Nationalsozialisten ihn ins KZ Neuengamme.

Mieczysław Borowiec starb am 3. Mai 1945 bei der irrtümlichen Bombardierung des KZ-Schiffes Cap Arcona. Er wurde in Sierksdorf an der Lübecker Bucht beerdigt. Bei seiner Verhaftung trug er eine Taschenuhr und ein Schreibetui mit einem Füller und einem Drehbleistift bei sich. Die SS kennzeichnete den Füller mit dem Anhänger „KL Auschwitz“. Als Mieczysław von Auschwitz nach Neuengamme verschleppt wurde, schickten die Nazis seine persönlichen Gegenstände in einem Umschlag mit nach Hamburg.

Daniel Schwarz’ Taschenuhr

Ebenfalls noch nicht gefunden sind die Nachfahren von Daniel Schwarz, geboren am 7. April 1901 in Budapest. Nach der Besetzung Ungarns im März 1944 begann dort die Deportation von Juden und Jüdinnen. Die deutschen Besatzer verschleppten mit Hilfe von Kollaborateuren rund 430 000 Menschen nach Auschwitz. Viele von ihnen wurden dort ermordet. Später folgten Transporte in andere Lager. Zusammen mit 880 Juden aus Budapest wurde Schwarz in das Konzentrationslager Neuengamme deportiert. Die SS registrierte ihn dort im November 1944 mit der Häftlingsnummer 65 217.

Er starb am 17. März 1945 in einem Außenlager in Bremen, in dem ungarische Juden Zwangsarbeit beim Bau des U-Boot-Bunkers Valentin leisteten. Die SS wies jüdische Häftlinge systematisch den härtesten Arbeitskommandos zu. Die Alliierten setzten seine Asche bei. Doch sie fanden keine Angehörigen, die sie über seinen Tod informieren konnten. Die Arolsen Archives bewahren Daniel Schwarz Taschenuhr auf.

Neonella Doboitschinas Erinnerungen

Ihre Freunde nannten sie Nelly. Die Rede ist von Neonella Doboitschina aus Russland, geboren am 11. Oktober 1923. Möglicherweise stammte sie aus Nowotscherkassk. Mit 20 Jahren geriet sie ins Visier der Gestapo. Sie gehörte zu der großen Zahl an Zwangsarbeiterinnen, mit denen das NS-Regime die Kriegswirtschaft am Laufen hielt. Gründe für Verhaftungen waren kleinste Vergehen, auch Kontakte zu Deutschen. Am 5. Mai 1944 deportierte die Gestapo die Studentin in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Im Juli 1944 wurde sie in das Lager Salzgitter-Watenstedt transportiert – ein Außenlager des KZ Neuengamme. Dort musste sie für die Rüstungsindustrie arbeiten. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Die Fotos mit Widmungen zeigen Erinnerungen aus glücklichen Zeiten.

Kurt Oefels’ silberne Uhr

Kurt Oefels hat die NS-Zeit überlebt. Dennoch werden seine Angehörigen gesucht. Wilhelm Kurt Oefels oder Oefele, geboren am 11. Januar 1910, machte eine Bäckerlehre in Oberhausen und lebte später in Hamburg. Bevor die Nationalsozialisten ihn am 11. März 1944 in das Konzentrationslager Neuengamme überstellten, saß er mehrmals wegen homosexuellen Handlungen, damals als „Unzucht“ bezeichnet, im Gefängnis ein. Die Nationalsozialisten boten ihm an, durch eine Kastration dem Konzentrationslager zu entgehen. Er lehnte dies offenbar ab. Bis zur Befreiung war er als Häftling der Kategorie „homo“ registriert. Wilhelm Oefels überlebte das Lager zwar, verstarb jedoch am 22. März 1948 in Hamburg, vermutlich an den Folgen der Zeit im Konzentrationslager. Bei der Einlieferung trug er eine silberne Armbanduhr und einen Siegelring bei sich.

Wiesława Brzyś Schmuck

„Meine Mutter war eine schicke Frau, die Wert auf eine elegante Erscheinung legte.“ Davon zeugen die persönlichen Gegenstände von Wiesława Brzyś, die ihr die Nationalsozialisten bei ihrer Einlieferung ins Konzentrationslager wegnahmen: eine goldene Armbanduhr, einen Bernsteinarmreif und Broschen. Endlich sind diese Erinnerungsstücke in den Händen ihrer Tochter und deren Familie. Die deutschen Besatzer schickten Wiesława Brzyś mit nur 15 Jahren aus Warschau zur Zwangsarbeit nach Wien. Durch die Hilfe ihres Vaters konnte sie zunächst nach Polen zurückkehren. Während des Warschauer Aufstands 1944 wurden Wiesława und ihre Eltern ins Konzentrationslager Stutthof eingeliefert. Die SS transportierte Mutter und Tochter in das KZ-Außenlager Hannover-Langenhagen und kurz vor Kriegsende nach Bergen-Belsen. Dort erlebten sie die Befreiung durch die britische Armee. Wiesławas Vater überlebte nicht.

Öffnungszeiten

#stolenMemory
Der Container mit der Wanderausstellung macht bis zum 15. Februar vor dem Stuttgarter Landtag Station.

Führungen
Die Volkshochschule bietet Kurse mit Führungen an: 2. Februar, 17 bis 18 Uhr, Kursnummer 222-14909; 7. Februar, 17 bis 18 Uhr, Kursnummer 222-14910;