Auf dem Weg zu einer neuen Regierungskoalition gibt es viele Stolpersteine. Keiner scheint so unverrückbar wie die von der CSU ins Spiel gebrachte Obergrenze gegen den Flüchtlingszustrom. Doch auch bei diesem Thema sind Kompromisse möglich.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Der CSU-Chef Horst Seehofer hat es mit seiner Obergrenze schon in die Geschichtsbücher geschafft. Heinrich August Winkler, Nestor der deutschen Historikerzunft, schreibt in seinem neuen Werk („Zerbricht der Westen?“), erschienen im August: Das Asylrecht gelte nur unter dem Vorbehalt, dass niemand zu etwas verpflichtet werden könne, „was seine Kräfte übersteigt“. Winklers Votum für eine Obergrenze liest sich so: „Die Aufnahme- und Integrationsfähigkeit des Asyl gewährenden Staates setzen der Verwirklichung dieses Rechts Grenzen.“ Zahlen nennt er freilich nicht. Seehofers eventuelle Bündnispartner im Rahmen einer Jamaikakoalition denken zudem völlig anders: Sowohl die Kanzlerin als auch die Grünen und die FDP lehnen eine förmliche Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen ab. Damit wird diese Forderung der CSU womöglich zum Sprengsatz der Sondierungsgespräche. Kompromisse sind aber denkbar.

 

Wer hat die Obergrenze erfunden?

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte schon im August 2014, ein Jahr vor Beginn der Flüchtlingskrise, eine Obergrenze für die Aufnahme von Asylbewerbern angeregt. „Ich halte die Debatte über die Frage, wie viele Flüchtlinge Deutschland auch als reiches Land aufnehmen kann, für notwendig“, sagte er damals. CSU-Chef Seehofer hat das Stichwort dann im Spätsommer 2015 aufgegriffen. Seine Partei sprach sich für eine Obergrenze von maximal 200 000 Flüchtlingen im Jahr aus – zu einer Zeit, in der monatlich 400 000 kamen. Zu Beginn des Wahlkampfs relativierte Seehofer seine bis dahin als unumstößlich etikettierte Forderung ein bisschen. Er stufte sie von einer unverzichtbaren Bedingung für eine Regierungsbeteiligung der CSU herab zu einem politischen Ziel, das im Koalitionsvertrag festgeschrieben werden müsse. „Wenn anstelle der Obergrenze ,Kontingent‘ steht, das ist nicht mein Problem“, sagte der CSU-Vorsitzende im August. Wichtig sei ihm eine Begrenzung. Und an der Zahl 200 000 wolle er auch festhalten. Die Junge Union der CDU hatte sich schon im Herbst 2015 für ein Limit von 250 000 ausgesprochen, konnte sich damit auf dem folgenden CDU-Parteitag allerdings nicht durchsetzen.

Wie ist die Rechtslage?

Das Grundrecht auf politisches Asyl kennt kein Limit – so wie alle anderen Grundrechte auch nicht. Allerdings verwiesen Verfassungsexperten auf den Rechtsgrundsatz „ultra posse nemo obligatur“ (lateinisch: „Über das Können hinaus wird niemand verpflichtet“). Die moralische Pflicht zu helfen hat also eine Grenze: die der Machbarkeit. Der frühere Verfassungsrichter Udo di Fabio schrieb in einem Gutachten für Seehofer, dass der Bund im Falle einer Flüchtlingskrise wie 2015 „zumindest einstweilen die gesetzmäßige Sicherung der Bundesgrenze gewährleisten“ müsse. Das Wort Obergrenze benutzte er freilich nicht. „Eine Obergrenze lässt sich numerisch nicht exakt aus der Verfassung ableiten“, sagt der Freiburger Rechtswissenschaftler Dieter Murswiek. Aus der Verfassung ergebe sich jedoch, „dass es eine Obergrenze geben muss, die sich aus den Erfordernissen der Wahrung der nationalen Identität und daher insbesondere aus der Beachtung der realen Integrationskapazität ergibt“. Auch der Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze aus Bochum kritisiert, „dass das Recht auf Asyl etwas verabsolutiert wird“. Seine Kollegin Christine Langenfeld aus Göttingen meint jedoch, eine feste Obergrenze für Schutzbedürftige sei mit dem Völkerrecht nicht vereinbar.

Gibt es die Obergrenze längst?

Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Verhältnisse erscheint der Streit über Seehofers Obergrenze überflüssig. Sein Limit wird im laufenden Jahr auch ohne gesetzliche Obergrenze wohl kaum erreicht. In den ersten acht Monaten kamen 124 000 Flüchtlinge nach Deutschland – hochgerechnet auf das ganze Jahr 2017 wären das 186 000. Seit April 2016 hat sich die Zahl der Neuankömmlinge bei 15 000 im Monat stabilisiert. Das ist auf die Blockade der Balkanroute und den Pakt mit der Türkei zurückzuführen. Von den 480 000 Asylanträgen, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2017 bearbeitet hat, darunter auch Altfälle aus den Vorjahren, wurden nur 0,6 Prozent für asylberechtigt befunden. 56 Prozent haben keinerlei Schutzanspruch. Bei 186 000 Neuankömmlingen hieße das: Nur 82 000 wären vorerst bleibeberechtigt.

Taugt Österreich als Muster?

Österreich hat sich im vergangenen Jahr eine Obergrenze von 37 500 Asylbewerbern verordnet. Offiziell wurde das jedoch nur als Richtwert deklariert. Gemessen an der Bevölkerung ist dieses Limit doppelt so hoch wie Seehofers 200 000. Mit einigen Rechentricks gelang es, den Richtwert einzuhalten. Schon Ende November 2016 waren 40 000 Asylanträge registriert worden, nur 23 500 wurden jedoch zugelassen, dazu 9000 Altfälle.

Welche Kompromisse sind denkbar?

Reformen im Asylrecht sind nur im europäischen Kontext denkbar. Da sämtliche EU-Staaten wesentlich striktere Vorstellungen als die deutsche Kanzlerin von der Aufnahme weiterer Flüchtlinge haben, ist anzunehmen, dass Seehofers Obergrenze im Rahmen einer europäischen Quotenregelung nie erreicht würde. Denkbar wäre zudem, das Limit für Flüchtlinge mit einem Einwanderungsgesetz zu verknüpfen, das Grüne und FDP sowie breite Kreise der Union befürworten. Eine mögliche Kompromisslinie haben Innenpolitiker der Union schon Ende 2015 vorformuliert: „Zuwanderung ist auf ein Maß zu begrenzen, das die gesellschaftliche Akzeptanz nicht übersteigt und die Integrationsfähigkeit dieses Landes auch langfristig gewährleistet“, so heißt es in einer damals beschlossenen „Berliner Erklärung“. Es müsse eine „konsequente Linie“ gezogen werden, um eine Überlastung zu vermeiden, sagt der CDU-Abgeordnete Armin Schuster aus Weil am Rhein. Er plädiert für ein flexibles Limit: „Ob wir es Kontingente, atmender Richtwert oder Obergrenze nennen, ist nicht entscheidend.“